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Kairo

© Katharina Eglau

Ägypten: Eine Brise vom Nil

In Kairo ist der Hochsommer fast unerträglich – abends strömen die Menschen auf die Brücken.

Unten auf dem Nil rauscht eine Luxusjacht durch, mit einer singenden Hochzeitsgesellschaft. Oben vibiriert die Gamaa-Brücke im Takt unter der Last der in sechs Spuren vorbeiqualmenden Linienbusse, Minivans und Personenwagen. Jeden Abend verwandeln sich ihre breiten asphaltierten Fußgängerwege mit Einbruch der Dunkelheit in das ungewöhnlichste Open-Air-Café der Stadt. Die weißen, roten und gelben Plastikstühle entlang der staubigen Geländer sind voll besetzt, fliegende Teekocher und Colaverkäufer bedienen die Kundschaft, die inmitten der Abgase die leichte Brise genießt, die nilaufwärts weht.

„Wir kommen zweimal die Woche hierher, um zu entspannen“, sagt Gamal Shebl, der in einem Lebensmittelgeschäft als Verkäufer arbeitet. Zusammen mit seiner Mutter und seiner Verlobten essen sie Schokoladenwaffeln und schauen versonnen auf das sich kräuselnde schwarz-blaue Wasser. Eine gute halbe Stunde Fahrt von ihrer Wohnung nehmen sie dafür in Kauf, sagt Gamal, dessen Stimme für einen Moment im Röhren und Hupen eines vorbeirasenden Motorrads untergeht.

Kairo im Hochsommer. Tagsüber liegt brütende Hitze über der 20-Millionen-Metropole. Dass sie die stärkste Luftverschmutzung auf dem gesamten afrikanischen Kontinent hat, haben ihre Bewohner von der Weltklimaorganisation schriftlich. Die Wohlhabenden verziehen sich rechtzeitig zum großen Urlaub in ihre Sommerhäuser am Mittelmeer. Und alle anderen, bei denen es nur für den kleinen Urlaub reicht, suchen Abend für Abend nach einem kleinen, kühlen Fleckchen in dem dampfenden, übervölkerten Häusermeer.

Die luftigen Nilbrücken sind die bevorzugten Plätze. Paare stehen Hand in Hand am Geländer, junge Leute trotzen dem allgegenwärtigen Lärm hupender Autos mit ihrer Gitarre. Und dazwischen dösen Angler, die den ganzen Abend zwei, drei kleine Fischlein, oft aber auch nur dornige Zweige aus dem trüben Wasser ziehen.

Viel Grün hat die Stadt nicht zu bieten. Bürgersteige dienen auch als Müllhalden oder sind mit parkenden Autos zugepflastert. Die wenigen Parks verlangen Gebühren, die sich die Mehrheit der Bevölkerung nicht leisten kann. Einzig der Eintritt in den Zoo ist erschwinglich, und so sind hier am Wochenende die Tiere Nebensache. Auf den breiten Wegen zwischen den Gehegen hocken die Familien und picknicken, während die Affen und Löwen geduldig zuschauen. „Wir kommen hierher, weil wir mal raus müssen“, sagt ein junger Vater, während er seinen beiden Töchtern eine rosa Zuckerwatte spendiert. „Selbst wenn man nicht viel Geld hat, jeder Mensch braucht etwas Freude und Zerstreuung.”

Eine so verstopfte und überhitzte Stadt müsste eigentlich aggressiv machen. Doch die meisten Menschen hier sind freundlich, lachen – auch über sich selbst – und tragen ihr Leben mit Humor. Selbst auf Verkehrsinseln im Kreisverkehr lassen sich Leute am Abend auf einer Wolldecke nieder. Andere hocken am Straßenrand auf einem verstaubten Blumenkübel oder zwischen parkenden Autos auf einer Bordsteinkante, ganz in den Koran vertieft – Abschalten vom täglichen Wahnsinn. „Ägypter sind Überlebenskünstler“, weiß Abdel-Halim Ibrahim Abdel-Halim, Professor für Architektur an der Universität Kairo. Ihn wundere immer, wie Menschen unter solchen Umständen nicht nur durchhalten, sondern auch noch Glück empfinden könnten. „Für mich ist das der Kern der ägyptischen Kultur: Sie hat viele tausend Jahre erlebt, und sie wird weiter überleben.“

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