zum Hauptinhalt

Ängste: "Brennende Kühe zerstörten die Idylle"

Der Soziologe Ortwin Renn über BSE, den ideologischen Naturwahn der Deutschen, tierliebende Engländer und hysterische Amerikaner, die ohne Pillen nirgendwo hingehen.

Herr Renn, Tschernobyl, Vogelgrippe, BSE - die Deutschen werden regelmäßig von Ängsten heimgesucht. Was hat es damit auf sich?

Bei vielen dieser Ängste gibt es Grundlagen, die nicht völlig idiotisch sind und über die man sich zu Recht sorgt. Andererseits sind die Reaktionen häufig übertrieben gewesen. Bei der Asian Flu (Vogelgrippe, Anm. d. Red.) haben Soldaten in Gasmasken und weißen Anzügen Schrecken unter der Bevölkerung hervorgerufen, obwohl eigentlich so gut wie nichts passiert war. Nur wenige Katzen und Vögel waren gestorben.

Währenddessen hat die größte Pandemie, die wir hatten, die Spanische Grippe vor dem Ersten Weltkrieg, immerhin dreißig Millionen Menschen umgebracht - damit ist dann auch nicht zu spaßen.

Wie war das bei BSE?

Der Schaden war insgesamt ausgesprochen gering und das ganze wurde völlig überbewertet. Wir haben in den letzten dreißig Jahren hochgerechnet etwa 180 BSE-Todesfälle unter den 300 Millionen Europäern gehabt. Im selben Zeitraum starben 136.000 an Salmonellenvergiftung, 12.000 an Kolivergiftungen. Noch ein Vergleich: Ungefähr die gleiche Zahl ist am Trinken von parfümiertem Lampenöl gestorben.

Was löste die Angst aus?

BSE war sicher die Reaktion auf eine völlig industrialisierte Viehwirtschaft. Die Idee, dass hunderttausende von Kühen und Schafen jedes Jahr durch die Gegend gefahren werden, künstlich befruchtet, dass alles nur ein großes Agrarbusiness ist, das war für viele Menschen ein Riesenschock. Außerdem war die Werbung auf Bilder der brennenden Scheiterhaufen von Kühen nicht vorbereitet. Auf den Packungen grasten noch die Hühner und der Bauer machte seinen eigenen Käse. BSE zerstörte diese Idylle.

In Südorea gehen die Menschen gerade gegen Rindfleisch aus den USA auf die Straße.

Das ist geradezu skurril. Die Amerikaner hatten überhaupt kein BSE - und nun scheint in Südkorea die ganze Regierung zu wackeln, weil man die Importe nicht zulassen will. Das ist eine Hysterie, die wahrscheinlich gar nichts mit BSE zu tun hat sondern mit Antiamerikanismus.

Wer profitiert von den Hysterien, außer natürlich den Medien?

Es gibt eine ganze Industrie, die von der Hysterie lebt. Das fängt bei Wünschelrutengängern an: Gegen die elektromagnetische Strahlung von Handys gibt es in esoterischen Magazinen eine Menge angeblicher magnetischer Entstrahler oder Anzüge, durch die die Strahlen nicht durchkommen sollen. Auch im Lebensmittelbereich wird davon profitiert - und so entsteht eine Angstindustrie.

Sind wir Deutschen eine besonders hysterische Nation?

Ich habe den Eindruck, jede Nation hat ihre eigene Hysterie. Wir Deutschen haben eine ausgesprochen idyllische Naturvorstellung. Die hat kein Land so stark wie wir. Dazu zählt der Deutsche Wald, man denke an das Waldsterben - da haben die Franzosen doch drüber gelacht. Diese Vorstellung kommt aus der Romantik, wie bei Caspar David Friedrich, da gibt es eine lange Tradition und alles was diesem Bild widerspricht, wird sehr stark übersteigert aufgenommen.

Die Engländer zum Beispiel haben eine ungeheure Angst vor Tierversuchen. Jeden Tag werden dort irgendwelche armen Versuchstiere befreit. Das ist eine richtig nationale Bewegung, beziehungsweise fast eine Hysterie. In den USA besteht eine Hysterie gegenüber angeblichen Viren und Bakterien, die jenseits jeglicher Realität liegt - worüber wiederum wir lachen und die Amerikaner nicht, die überallhin ihre Pillen mitnehmen.

Die Franzosen dagegen reagieren stark auf die Veränderungen ihrer ästhetischen Kultur. Wenn man denen etwas vor die Nase baut, das dem Bild der Stadtkultur widerspricht, können die extrem aggressiv werden. So hat jede Nation irgend eine Angst, die sich mit der Geschichte oder Mentalität erklären lässt.

Und wovor haben Sie Angst?

Ich habe Höhenangst, hatte ich schon als Kind - obwohl ich weiß, dass ich nicht runterfalle. Die ist einfach als Bauchgefühl da.

Ortwin Renn ist Professor an der Universitt Stuttgart Neben seinem Forschungsschwerpunkt Risikosoziologie lehrt er in den Gebieten Technik und Umweltsoziologie Diskursanalyse und Mediation. Er war Leiter der Nationalen Risikokommission die im Jahr 2000 von der Bundesregierung eingesetzt wurde um den Umgang mit umweltbezogenen Gesundheitsrisiken in Deutschland zu untersuchen.

Ein Interview von Marie Preuß

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false