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Alice Schwarzer

© dpa

Alice Schwarzer: Der Chef hat Geburtstag

Alice Schwarzer wird 65 und ist nicht die alte: Sie erfindet sich immer wieder neu - und hat noch viele Überraschungen im Köcher.

Die 68er gehen in Rente? Ein gruseliger Gedanke. „Forever Young“ wird aber auch langsam zur Herausforderung. Dringend gesucht werden also Rollenmodelle, die Auswege zeigen können.

Vielleicht ist das ein Fall für Alice Schwarzer. Sie hat sich schon zu Zeiten immer wieder neu erfunden, als das noch gar kein Trend war, hat sich über alle Erwartungshaltungen, die vor allem sie selber aufgebaut hat, mühelos hinweggesetzt und ist dabei zur Großmeisterin des Authentischen gediehen. Von der Oberemanze zur Glamourqueen? Kein Problem, wenn es der Aufmerksamkeit für die richtigen Themen dient. Vor diesem Hintergrund ist der heutige Tag vielleicht ein spannender Anfang. Alice Schwarzer, die sich nie auf ihren Status als Ikone des deutschen Feminismus beschränkt, sondern sich immer weiterentwickelt hat, wird 65. Und sie wirkt wie ein Mensch, der noch viele Überraschungen im Köcher hat.

In den frühen Jahren hat sie sich wie keine zweite Frau angeboten, auf finstere Klischees festgelegt zu werden: die männerfressende Emanze, ein echtes Schreckgespenst in jenen jungen Jahren, als die 68er-Revolution in weite Kreise des bürgerlichen West-Deutschlands noch nicht eingesickert war. Um die Abschaffung des sogenannten „Gehorsamsparagrafen“, der dem Mann in einer Ehe das Letztentscheidungsrecht zugestand, war noch 1957 erbittert gestritten worden. Schwarzer provoziert gern und lässt nicht locker, wo sie Unrecht sieht, besonders solches, das an Frauen begangen wird. Gefälligkeit war nie ihre Sache, das Gegenteil aber auch nicht. Sie achtet durchaus auf Äußerlichkeiten. Wenn sie ihrem eigenen Stil entsprechen.

In den vergleichsweise entpolitisierten Jahren der Spaßgesellschaft rund um die Jahrtausendwende sah man sie auch mal wild tanzend beim Bundespresseball oder als blitzlichtumwitterte frisch frisierte Fetenflaneurin bei Berliner Society-Events. Streitbar zu sein, heißt für sie gerade nicht, in Sack und Asche zu gehen. Dagegen sprechen schon ihre ausgeprägte Frankophilie und die Lust an gutem Essen. Auf ihrem Küchentisch, um den sie nach französischer Art gern Freunde versammelt, steht auch mal Selbstgebackenes.

Alice Schwarzer war immer eine Frau der Widersprüche: Ihre Mutter war ledig, als Einzelkind wuchs sie in Wuppertal bei einem sehr mütterlichen Großvater und einer politisch charaktervollen Großmutter auf. Mütterliche Männer scheinen für die Erziehung starker Frauen besonders geeignet zu sein. Schwarzers Jugend hat ihr offenbar genug Urvertrauen gegeben, später keinem notwendigen Streit aus dem Weg zu gehen. Paris lernte sie 1964 als Au-Pair-Mädchen lieben. Als der französische Botschafter sie genau vierzig Jahre später in der Botschaft am Pariser Platz zum „Ritter der Ehrenlegion ernannte und dabei sagte: „Liebe Alice, Sie als Pariserin wissen, dass auch Paris sie liebt“, konnte man Deutschlands oberste Kämpferin für die Frauenrechte ob dieser Charme-Attacke sehr gerührt erleben.

Während des Studiums in Paris lernte sie die französische Frauenbewegung von innen kennen und erlebte dort wohl ihre politische Initialzündung. Ihr erster Coup war der Stern-Artikel „Ich habe abgetrieben“ von 1971. Dreißig Jahre später gab sie zu, dass sie und andere Mitstreiterinnen von damals gar nicht abgetrieben hatten – es ging darum, verkrustete Strukturen aufzubrechen. 1975 diskutierte sie mit der Antifeministin Esther Vilar im Fernsehen, im Sommer 2001 mit Verona Feldbusch, die sich damals gern als Dummchen vom Dienst inszenierte. Beide zu ihrer Zeit höchst populären Kontrahentinnen sind fast vergessen, Alice Schwarzer ist präsent wie nie.

Viele Ausgaben von Emma, viele Bücher und viele Preise, darunter das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, haben ihren Mythos ausgebaut. Schwarzer fand immer neue Themen: Nach dem 11. September warnte sie vor falscher Toleranz angesichts des wachsenden Einflusses des Islam und der Unterdrückung muslimischer Frauen. Sie übte eine in ihrer Generation seltene Frauensolidarität, ließ sich dabei politisch aber nicht festlegen: Der „Stern“ sah in ihr vor zwei Jahren gar die Kanzlerinmacherin.

Wo Alice Schwarzer live dabei ist, wird heftig und immer interessant diskutiert: Keine Klischee, keine Phrase hat in ihrer Gegenwart Bestand. Hinter dem eher verbiesterten Image, das sie in konservativen Kreisen lange hatte, versteckte sich der wache Blick, der Ungerechtigkeiten anprangerte und unkonventionelle Lösungen suchte. Kritik musste sie nicht nur von Männern und Antifeministinnen einstecken, sondern auch aus den eigenen Reihen. Dabei ist eigentlich klar, dass man ein Unternehmen wie „Emma“ nicht in Kuschelatmosphäre durchziehen und auf dem Markt etablieren kann. Ihre Mitarbeiter bei „Emma“ nennen sie „der Chef“. Sie gilt als fordernd. Schließlich macht sie selber das Meistmögliche aus ihren Talenten.

Ihr Großvater war noch eine Ausnahmeerscheinung mit seiner Mütterlichkeit. Heute dürfen Jungs weinen, auch darüber, dass sie von den Mädchen immer wieder überflügelt werden. Alice Schwarzer kommt jetzt in das Alter, in dem man als Politiker noch ganz groß rauskommen kann. Vielleicht will es die deutsche Gründlichkeit irgendwann, dass die oberste Feministin des Landes auch dessen erste Präsidentin wird.

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