zum Hauptinhalt
Wahlkampfzirkus. Rick Perry, Gouverneur von Texas, hatte vor einem Millionenpublikum einen schweren Aussetzer und redete sich um Kopf und Kragen. Seither bewegt sein Blackout die ganze Nation. Sein Kontrahent Herman Cain (links) kämpft derweil mit den Vorwürfen mehrerer Frauen, die sich von ihm sexuell belästigt fühlten. Foto: Scott Olson/Getty Images/AFP

© AFP

Panorama: Alles menschlich

Einen Aussetzer hat jeder mal. Für Texas-Gouverneur Rick Perry aber könnte sein Blackout die Hoffnung auf das Weiße Haus beenden

Jedem Menschen ist das wohl schon passiert. Hundert Mal hat er einen Satz souverän ausgesprochen. Doch in dem Moment, in dem es darauf ankommt, ist da plötzlich ein schwarzes Loch im Kopf.

Seit vier Tagen leidet Amerika mit Rick Perry, einem der führenden Präsidentschaftskandidaten der Republikaner. Spott gibt es auch, hauptsächlich in den auf Politikpersiflage spezialisierten „Late-Night-Shows“ der TV-Sender. Verbreiteter ist das Mitgefühl mit Perry. „Das ist eine Situation, wo man nicht mal mehr Schadenfreude empfindet“, sagt der Strategieberater eines Rivalen, „sondern die meisten Zuschauer ein flaues Gefühl im Magen bekommen und sich am liebsten in eine Ecke verkriechen.“

Im August hatte Perry seine Kandidatur angekündigt. In den 13 Wochen seither hat er mehr als hundert Mal seine übliche Wahlkampfrede gehalten und flüssig die Forderung vorgetragen, dass er drei Bundesministerien abschaffen möchte: Bildung, Handel und Energie. Deren Arbeitsbereiche gehören seiner Meinung nach in die Zuständigkeit der Einzelstaaten. Bei der Debatte der konservativen Kandidaten am Mittwoch hatte er einen Aussetzer. Er beendet nach Meinung vieler Wahlkampfstrategen Perrys Chancen auf die Präsidentschaft.

53 Sekunden können sich zu einer Ewigkeit dehnen. „Drei Ministerien sind weg, wenn ich im Weißen Haus bin“, begann er mithilfe seiner Finger aufzuzählen, „erstens Bildung, zweitens Handel und drittens …“, dann stockte er. „Was war das dritte nochmal?“ Mit einer komisch-verzweifelten Geste griff er sich an den Kopf. Das Publikum lachte. Dann blickte er hilfesuchend seine Rivalen an. Der neben ihm stehende Ron Paul, ebenfalls Texaner und ein noch größerer Feind einer machtvollen Bundesregierung, sprang ein, freilich nicht hilfreich, sondern attackierend. „Fünf sollten Sie schließen! Fünf!“ Zur Unterstreichung hielt er Perry die ausgestreckten Finger der rechten Hand entgegen.

„Oh, fünf?“, versuchte Perry sich auf seinen Text zu besinnen. „Okay. Also, Handel, Bildung und …“ Immer noch ließ ihn sein Gedächtnis im Stich. „Umweltschutz“, soufflierte eine Stimme von der anderen Seite. Es war Mitt Romney, den fast alle Experten für den eigentlichen Favoriten halten. Diese Hilfe nahm Perry dankend an. „… und Umweltschutz“, vollendete er den mehrfach unterbrochenen Satz und versuchte, den Patzer mit einem breiten Lachen zu überspielen. Das Publikum applaudierte und lachte mit. Doch der Moderator gab sich nicht zufrieden. „Ernsthaft, Herr Gouverneur? Sie wollen das Amt für Umweltschutz schließen?“

„No, Sir, no“, antwortete Perry. Noch immer erweckte er den Anschein, als könne er vor Lachen kaum reden. „Das Amt für Umweltschutz muss von Grund auf neu organisiert werden.“ – „Sie können das dritte Ministerium nicht nennen?“, hakte der Moderator nach. „Das dritte Ministerium, das ich schließen will … Bildung …“ Wieder stockte er. „Ich schaff’s nicht …“ – „Handel“, half der Moderator. „Handel“, wiederholte Perry. „… Lassen Sie uns sehen …“, er blickte auf seine Notizen. „… Ich schaff’s nicht. Ich kann das dritte nicht nennen … Sorry … Oops!“ Perrys Miene war nun betreten. Im Publikum lachte niemand mehr.

Es gibt kaum jemanden in den USA, der nicht ein Video dieser 53 Sekunden in Internet oder Fernsehen gesehen, den Mitschnitt im Radio gehört oder das Wortprotokoll in der Zeitung gelesen hat. Die Medien gehen zweischneidig mit Perrys Aussetzer um. Sie waren in den Tagen seit der Debatte voll von Interviews mit Gehirnspezialisten und Psychologen, die allesamt erklären, Perrys Missgeschick sei zutiefst menschlich – und folglich kein Grund zur Beunruhigung oder politischen Verdammnis. Die Anspannung, eine plötzliche Ablenkung oder, gerade umgekehrt, eine besonders hohe Konzentration, können einen solchen Blackout auslösen. Sie erinnern an ähnliche Aussetzer anderer Prominenter. Als Christina Aguilera beim Super Bowl, dem Endspiel der Footballsaison, die Nationalhymne sang, vergaß sie einen Teil der Worte. Der Oberste Richter, John Roberts, verdrehte den Text, als er Präsident Obama 2009 den Amtseid abnahm. Deutschen Politikern ist Vergleichbares unterlaufen. Edmund Stoiber redete die Talkshowmoderatorin Sabine Christiansen auf dem Höhepunkt der Rivalität um die Kanzlerkandidatur 2002 mit „Frau Merkel“ an.

Parallel zu den verständnisvollen Deutungen berichten die US-Medien jedoch, wie schädlich sich der Schnitzer auf Perrys Präsidentschaftsbewerbung auswirke. Schon in früheren Debatten war aufgefallen, dass der Texas-Gouverneur nicht so eloquent ist wie seine Konkurrenten, ganz zu schweigen von Präsident Barack Obama, der als glänzender Redner gilt. Wie soll ein Kandidat Perry gegen ihn in TV-Debatten bestehen? Als die Kandidaten am Samstagabend erneut debattierten – nun über Außenpolitik – bangten viele, wenn Perry den Mund aufmachte. Diesmal gab es keine Aussetzer.

Zusammen mit zwei weiteren Einschnitten der vergangenen Woche haben sich die Aussichten für die Wahl 2012 grundlegend verschoben. Mit mehreren Tagen Verzögerung leidet der bisherige Spitzenreiter in den Umfragen, Herman Cain, nun doch unter den Vorwürfen mehrerer Frauen, er habe seine Macht als Vorgesetzter missbraucht und sie, als er von 1996 bis 1999 Präsident des Restaurantverbandes war, sexuell belästigt. Zunächst taten Republikaner diese Meldungen als eine schäbige Kampagne linker Medien ab – und die rechte Basis schien dieser Erklärung zu folgen. Tagelang blieb Cains Spitzenstellung in den Umfragen unverändert. Aus anfangs zwei Fällen sind inzwischen vier geworden. In zwei Fällen kennt Amerika Name und Gesicht. Sharon Bialek erzählte vor laufender Kamera, sie habe Cain um Hilfe bei der Bewerbung um einen Job gebeten. Als er sie danach zum Hotel fuhr, habe er unter ihren Rock gefasst und Sex als Gegenleistung gefordert. Caren Kraushaar war beim Restaurantverband angestellt, als Cain ihr, wie sie sagt, über Wochen unerwünschte Avancen machte. Der Verband zahlte ihr 45 000 Dollar, um die Affäre zu bereinigen. Seit diese Informationen bekannt sind, hat Cain die Führung in den Umfragen verloren. In den nächsten Tagen wollen die Frauen eine gemeinsame Pressekonferenz geben.

Der zweite Einschnitt: Bei mehreren regionalen Volksabstimmungen haben die Wähler ideologische Projekte der Republikaner abgelehnt, darunter in Ohio die Entmachtung der Gewerkschaften für öffentlich Angestellte und in Mississippi die Ausdehnung des Schutzes für Ungeborene auf eine im Reagenzglas befruchtete Zelle. Führende Kommentatoren geben Obama nun doch wieder gute Chancen auf die Wiederwahl 2012.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false