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Ein Statist der Samtenen Revolution. Als der Umbruch in der CSSR praktisch besiegelt ist, reist der Eisenbahner Alois Nebel aus dem Altvatergebirge in die Hauptstadt Prag. Im Hauptbahnhof wird Kveta, die Toilettenfrau, zur Liebe seines Lebens. Als Vaclav Havel Präsident wird, portioniert Nebel Klopapier.

© Neue Visionen Filmverleih/dpa

Alois Nebel im deutschen Kino: Das verfilmte Kursbuch

„Alois Nebel“ ist in Tschechien schon lange Kult – nun sucht die schicksalhafte Eisenbahner-Geschichte um die Vertreibung der Sudetendeutschen und die Wende-Monate 1989 eine neue Heimat in Deutschland.

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Es gibt wohl kaum ein melancholischeres Fortbewegungsmittel als den Zug: eine Herberge auf Zeit, nie wirklich am Ziel, immer in Bewegung. Zum Beispiel ins Altvatergebirge, früheres Sudetenland. Los ab Berlin Hauptbahnhof mit dem Eurocity 173 um 8.46 Uhr, umsteigen in Pardubice in den Express-Zug bis Zabreh. Planmäßige Reisezeit: zehn Stunden, fünf Minuten.

Von diesem Donnerstag an lässt sich die Heimat von Alois Nebel, dem Protagonisten von Tomas Lunaks gleichnamiger Comic-Verfilmung, auch im deutschen Kino erkunden, knapp drei Jahre nach dem Filmstart in Tschechien.Es ist eine Geschichte über Erinnerungen. Von solchen wird Nebel heimgesucht: Routiniert und wortkarg verrichtet er seinen Dienst als Fahrdienstleiter in dem Ort Bily Potok. Im Herbst 1989 ruft das Erscheinen eines mysteriösen Fremden Visionen aus der Vergangenheit in ihm hervor: Als Kind sah er mit an, wie ein Deutscher 1945 bei der Vertreibung der Sudetendeutschen auf dem Bahnhof erschossen wurde. Nebel ist ein traumatisierter Zeuge der deutsch-tschechischen Geschichte.

Lange Zeit war die Vertreibung ein Tabuthema in Tschechien, doch nicht zuletzt wegen Alois Nebel ist dies heute anders: Der 2003 veröffentlichte Comic war nicht nur die erste Graphic Novel des Landes, sondern ist mittlerweile zum Kultbuch avanciert. Jaroslav Rudis und Jaromir Svejdiks schwarz-weißer Eisenbahner-Blues brachte das Kunststück fertig, junge wie alte Leser in Deutschland und Tschechien gleichermaßen für das Thema zu interessieren und mit Alois Nebel eine Art unbeabsichtigten Versöhner zu schaffen. Die im Rotoskopieverfahren hergestellte Verfilmung von 2011 unterstreicht diesen Erfolg: 2012 erhielt „Alois Nebel“ den Europäischen Filmpreis in der Kategorie Bester Animationsfilm. In Tschechien hatte er bisher schon 130 000 Zuschauer – recht viel in einem Land, in dem Zeichentrickfilme vor allem für Kinder gemacht wurden.

Selbst beim Happy-End bleibt Alois Nebel mürrisch

Im Comic ist Nebel ein gutmütiger schweijkscher Anti-Held, auf der Leinwand eher ein ohnmächtiger Beobachter. Immer, wenn der einsame Bahnhof mal wieder vom Unwetter überzogen wird, liest er die Ankunfts- und Haltezeiten der Züge vor wie ein schützendes Mantra, um die Geister der Vergangenheit zu vertreiben. Zusammen mit einem stummen Fremden wird er in eine Irrenanstalt abgeschoben und findet sich nach seiner Entlassung in den Wirren der Wende wieder, bevor sich der Kreis der Geschichte in Bily Potok wieder schließt. Selbst beim Happy-End bleibt Alois Nebel mürrisch.

Wunderbare Grautöne
Wunderbare Grautöne

© Neue Visionen Filmverleih/dpa

Tomas Lunak übersetzte Svejdiks Bilder: Weiß, Grau und Schwarz werden zu vielen Farbtönen – und fangen die schwermütige Stimmung des mährischen Altvatergebirges hervorragend ein. Mit echten Schauspielern wurde an 40 Tagen ein realer Film gedreht. Zweieinhalb Jahre brauchten die Macher, um daraus einen Trickfilm zu machen. Und sie sind froh, dass der Film endlich auch in Deutschland in die Kinos kommt. „Der gehört hierher, aber das hat ein bisschen gebraucht“, sagte Comicbuch-Autor Rudis am Dienstagabend bei der Vorpremiere im Moviemento-Kino in Kreuzberg. Schon wegen des Wortspiels, das erst die deutsche Sprache ermöglicht – aus „Nebel“ wird umgekehrt gelesen „Leben“.

Was wird das deutsche Publikum faszinieren? Die tschechischen Zuschauer reizte die neue Perspektive auf die Vertreibung der Sudetendeutschen. Die Russen erinnerte Nebel an eine Figur aus der tragischen Literatur. In Deutschland, mutmaßt Rudis, könnte nun der andere Blick auf die Wende begeistern – Mauerfall, Samtene Revolution, Abzug der Sowjetarmee.

Neugierig macht auch die Landschaft, mitten in Europa und doch am Ende der Welt. Selbst in den Tourismus-Prospekten der Region heißt es, dass der Altvater-Gipfel, 1491 Meter hoch, das raueste Klima Tschechiens hat. Die durchschnittliche Jahrestemperatur liegt bei einem Grad. Wanderwege werden dort zu Wallfahrten. Eine Ecke, sagt Rudis, „wo nichts passiert und nur das Wetter etwas Bewegung bringt“. Immerhin: Die Tschechische Eisenbahn CD hat die Strecke im Altvatergebirge kürzlich modernisiert. Die Züge fahren dort mit durchschnittlich 45 Stundenkilometern. Und lassen einem so noch immer Zeit zum Nachdenken.

"Alois Nebel" startet am 12. Dezember in 32 deutschen Kinos, in Berlin im Central, im Moviemento und im Acud (OmU), ab 2. Januar 2014 kommt das Krokodil-Kino hinzu. Weitere Informationen hier.

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