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Panorama: Amoklauf: Im Wahn

"Galvano Studios vergolden alles", verkündet ein Firmen-Schriftzug in der Nähe des Bahnhofs. Von dort zieht sich eine Allee schmuckloser Flachbauten bis in die Zuger Altstadt.

"Galvano Studios vergolden alles", verkündet ein Firmen-Schriftzug in der Nähe des Bahnhofs. Von dort zieht sich eine Allee schmuckloser Flachbauten bis in die Zuger Altstadt. Hinter uniformen Fassaden sitzen jene Banker und "Finanzoptimierer", denen Zug seinen legendären Ruf der Geldvermehrung verdankt.

Die Kleinstadt am Zuger See, am Rande der Alpen, deren schneebedeckte Gipfel in strahlendem Spätsommerlicht blinken, ist eine der größten und diskretesten Finanzmetropolen. Tausende von Briefkastenfirmen und Holdings schätzen die Dumping-Steuern. In Zug stehen keine Twin Towers und die Prominenz flaniert lieber in Zürich, Davos, St. Moritz oder Gstaad. Die kleinen Klingelschilder mit Hinweisen auf "Investments"- oder "Trade + Consulting" sind alles andere als protzig. Deswegen sind den Zugern auch Bodyguards oder Sicherheits-Checks fremd. Das wird sich ändern, nachdem ein Amokläufer im Zuger Kantonsparlament ein Blutbad angerichtet hat.

Mit mehreren Waffen hat er 14 Menschen getötet, weitere 15 verletzt und sich selbst erschossen. Mit den Selbstmordattentätern von New York und Washington und auch mit dem Finanzplatz Zug hat dies jedoch nichts zu tun, auch wenn ein Bekennerschreiben die "Zuger Mafia" beschimpft. Der Hintergrund von Friedrich Leibachers Tat ist irrational. Makaber. Ein Kneipenstreit. Zwischen Leibacher und einem Busfahrer muss es vor drei Jahren zu einem Wortgefecht gekommen sein. Daraufhin beschuldigte der 57jährige Leibacher den Fahrer, Alkoholiker zu sein. Der Lokalzeitung tischte Leibacher eine Geschichte auf, wonach sein Intimfeind bei Zwischenstopps jeweils einen "Kaffe Träsch" (Kaffee mit Schnaps) und ein "Rigi hell" (Biermarke) kippe. Die Zuger Verkehrsbetriebe antworteten mit einer Klage, die Leibacher mit einer Fülle von Anzeigen erwiderte. Am Mittwoch hat das Zuger Obergericht Leibachers Anträge abgeschmettert.

Für den Verschwörungstheoretiker Leibacher scheint das die Bestätigung seiner Komplottängste gewesen zu sein, wonach Verkehrsbetriebe, Politiker und Justiz unter einer Decke steckten. Das bizarre Attentat hat die gemütliche Schweiz hart getroffen. Bislang konnten sich Politiker sicher fühlen. Selbst im Berner Bundeshaus, dem nationalen Regierungs- und Parlamentssitz, sitzt nur ein Pförtner am Eingang. Minister und Bundespräsident mussten nicht auf den Dienst von Leibwächtern zurückgreifen. Schweizer Politiker pflegen gerne das Image der Volksnähe und sind schon mal mit der Familie auf der Skipiste anzutreffen. In Zug war die Polizei gestern sehr stark präsent. Das Kantonsparlament war geschlossen, so dass Reporter und Kamerateams die Blumenrabatten vor dem Eingang zertrampelten. Trauernde brachten Rosen an den Tatort und Mahntafeln mit Aufschriften wie "Warum?" und "Wir müssen jetzt stark sein" an.Entlang der Mauer brannten Kerzen. Die Behörden gaben in einer Pressekonferenz Einzelheiten bekannt.

Für seine Attacke hat Leibacher ein Sturmgewehr, eine Pistole und einen Kanister mit Brandsatz verwendet. Leibachers "Hauptfeind", Wirtschaftsdirektor Robert Bisig, den Leibacher als Kopf einer Verschörung bezeichnet hatte, konnte sich unter dem Tisch verstecken.

Die Hauptwaffe, ein Sturmgewehr 90, wird noch Anlass für eine innenpolitische Debatte sein. Es ist jene legendäre Schnellfeuerwaffe, die jeder Milizsoldat zu Hause im Schrank stehen hat. Zwar war Leibacher nie beim Militär und nach Angaben der Polizei stammt die Tatwaffe nicht aus Armeebeständen. Es ist aber nicht verboten, nach dem Ausscheiden aus dem Militärdienst das Sturmgewehr zu verkaufen.

Zur Zeit besitzen 450 000 Schweizer, aktive Milizsoldaten und Reservisten, ein Sturmgewehr, 75 000 Offiziere haben eine Dienstpistole. Zwar müssen Waffe und Munition stets getrennt voneinander aufbewahrt werden, und die Anzahl der Patronen wird regelmäßig kontrolliert. Immer wieder ist es jedoch zu Mordanschlägen mit der Dienstwaffe gekommen. Im Juli erst wurde der Rechtsextremist Marcel Strebel von einem Bekannten erschossen. Letztes Jahr attackierte ein Rechtsradikaler eine alternative Wohnsiedlung in Bern.

Auch Friedrich Leibacher, der 1970 wegen Vermögensdelikten und Unzucht mit Kindern in ein Arbeitserziehungslager eingewiesen wurde, ist mit (verbalen) rechten Aktionen auffällig geworden. Bislang waren die Initiativen von Waffengegnern erfolglos. Der Zuger Amoklauf, der schwerste Mordanschlag in der Schweizer Rechtsgeschichte, könnte jetzt zu einem Umdenken führen.

Der Strafrechtsprofessor Martin Killias forderte gestern in einem Interview mit dem Zürcher Tages-Anzeiger, eine Verschärfung des Waffengesetzes gegen den Widerstand der Waffenlobby "Pro Tell" durchzusetzen. Händler dürfen Waffen nur an Besitzer von Waffenscheinen verkaufen. Der Verkauf unter Privatleuten ist allerdings erlaubt, auch dann, wenn die Waffe im Geschäft nur mit Waffenschein erworben werden kann. Der Verkäufer muss lediglich die Identität und die Volljährigkeit des Käufers feststellen.

Eine weitere Gesetzeslücke: Die Gemeinden geben den Waffenschein aus und prüfen lediglich das Strafregister. Killias fordert eine umfassende Überprüfung des Leumunds. In Bern haben die Ereignisse bereits Veränderungen bewirkt. Im Bundeshaus wurden gestern Metalldetektoren und Vorrichtungen für Gepäckkontrollen installiert.

Felix Ruhl

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