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Amoklauf in Winnenden: "Es gab einen großen Knall"

Ein 17-Jähriger läuft in seiner alten Schule Amok und tötet 15 Menschen. Erst die Polizei kann den flüchtigen Täter stoppen. Die Menschen vor Ort stehen unter Schock, sind fassungslos und finden keine Erklärung für die Tat des jungen Mannes. Eine Reportage aus Winnenden von Andreas Böhme.

Elf Menschen sind schon tot, als der Notruf aus der Albertville-Realschule um 9 Uhr 33 im Winnender Polizeirevier eintrifft. Zwei Interventionsteams rasen los – und finden ein Blutbad vor. Mitten in der großen Pause war ein 17-Jähriger ehemaliger Schüler in die Klassenzimmer eingedrungen und hatte wild um sich geschossen. "Es gab einen großen Knall", berichtet eine Schülerin, da seien sie alle aus der Hofpause hingerannt. Einen Mann in schwarzer Kleidung habe sie gesehen, mit einer silberfarbenen Maske vor dem Gesicht. Und dann wären alle nur noch um ihr Leben gerannt.

Längst nicht alle haben es geschafft. Acht Schülerinnen und Schüler werden auf der Stelle getötet. Auch drei Lehrerinnen sterben in dem Kugelhagel, darunter eine Referendarin, die erst vor vier Wochen ihren Dienst angetreten hatte. Zwei Mädchen werden durch die Schüsse schwer verletzt, eine stirbt noch am Mittag in der Klinik.

Täter stirbt bei Feuergefecht mit der Polizei

Doch der Täter hat noch nicht genug. Er flüchtet zu Fuß in Richtung Innenstadt und erschießt in einem Parkgelände einen Mitarbeiter der psychiatrischen Klinik. Hernach kapert ein Auto, setzt sich an Steuer und rast in die Nachbarstadt Wendlingen. Im Einkaufszentrum hält er an, steigt aus und erschießt zwei Mitarbeiter eines Autohauses. Im anschließenden Feuergefecht verletzt er zwei Polizisten schwer, bis er schließlich selbst von der Polizei erschossen wird. Drei Stunden nach dem Notruf zieht die Polizei eine erste Bilanz: 15 Menschen und der Täter fallen einem Amoklauf zum Opfer, für den es bislang keine Erklärung gibt.

Alles, was im Großraum Stuttgart Blaulicht hat, raste zunächst zum Tatort. Gleich mehrere Hubschrauber sind in der Luft, denn lange ist unsicher, ob es wirklich nur ein Einzeltäter ist oder ob nicht doch eine Gruppe hinter der Bluttat steckt. Drei Stunden Angst, dann wird der großräumige Absperrring gelockert. Bis zu diesem Moment hatten alle Schulen des Landkreises Rems-Murr ihre Schüler vorsichtshalber in den Klassenzimmern festgehalten. In der Stadt wurden die Schulen überdies von der Polizei gesichert, auch besorgte Eltern durften nicht durch. Anrufe scheiterten, die Mobilfunknetze brachen zusammen.

Warum ausgerechnet hier?

Winnenden, eine schwäbische Kleinstadt, knapp eine halbe Stunde nordöstlich von Stuttgart. Warum ausgerechnet hier? Der Kultusminister, der Justizminister, der Innenminister und Regierungschef Günther Oettinger wissen es nicht. Sie kommen sind aus allen Himmelsrichtungen zu einer ersten, improvisierten Pressekonferenz in Schulturnhalle. Alle kreidebleich bis auf den ewig sonnengebräunten Polizeiminister, der mit den Tränen kämpft und sichtlich um Fassung ringt. "Die Schule ist der Ort der Zukunft einer Gesellschaft, ein Ort der Nächstenliebe", sagt Ministerpräsident Günther Oettinger, ein Angriff darauf "besonders gemein".

Auch Kultusminister Helmut Rau ist fassungslos. "Das ist die größte Katastrophe, die an einer Schule passieren kann". Das Schulzentrum in Winnenden umfasst alle vier Schultypen und hat rund 1000 Schüler. Die Realschule allein zählt 580 Kinder und 32 Lehrer. Auch hier gibt es die von Rau 2006 eingeführten Krisenteams, die Rettungspläne erstellen und auch Empfehlungen für das Verhalten bei Amokläufen erstellen. Erste Hilfe aber leisteten die Interventionsteams der Polizei, die in jedem Revier und in jeder Schicht rund um die Uhr bereit stehen und vor allem verhindern sollen, dass sich Amokläufer in den Klassenzimmern verbarrikadieren.

Wer aber ist dieser Täter? Was sind seine Motive? Bekannt ist lediglich bislang, dass der 17-Jährige im vergangenen Jahr seine Mittlere Reife in der Albertville-Realschule abgelegt hat. Die Schulleiterin schildert ihn als "völlig unauffällig", und nach der Schulzeit habe er eine Lehre begonnen. Die Waffe stammt aus dem Gewehrschrank seiner Eltern. Der Vater gilt als Waffennarr, aber nicht als rechtsextrem. Mehr als ein Dutzend Feuerwaffen findet die Polizei dort vor, alle ungesichert. Und eine, die Beretta-Pistole, fehlt am Mittwochmorgen, dazu 50 Schuss Munition. Drei Stunden später beginnt einer der Pädagogen des Schulzentrums mit der entsetzlichen Aufgabe, die getöteten 14 und 15 Jahre alten Schulkinder zu identifizieren.

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