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Amoklauf: "Was geht in so jemandem vor?"

Zwei Tage nach dem Amoklauf eines 18-Jährigen haben sich die Menschen in Emsdetten zusammengefunden, um die schrecklichen Geschehnisse bei einem Gedenkgottesdienst zu verarbeiten.

Emsdetten - Der Amoklauf in der Geschwister-Scholl-Realschule hat das kleine Städtchen im Münsterland aus seiner herbstlichen Ruhe gerissen. "Wir stehen noch völlig unter Schock", sagt eine Mutter, die mit ihren beiden Töchtern an dem ökumenischen Gottesdienst in der Pfarrkirche St. Pankratius teilnimmt.

Es sind so viele Menschen gekommen, dass die Gläubigen in der Kirche bis in die hintersten Reihen stehen. Nicht nur Schüler, Eltern, Lehrer und Seelsorger sind da. Auch zahlreiche Emsdettener Mitbürger besuchen den Gottesdienst, vor allem ältere Menschen. Alle wollen ihre Solidarität mit den Opfern und ihre tiefe Betroffenheit ausdrücken. "Man fragt sich immer wieder, warum hat das bei dem Jungen vorher keiner gemerkt", sagt eine ältere Dame.

Katholische und protestantische Geistliche zelebrieren zusammen den Gottesdienst. Einer der Pfarrer sagt, den Amokläufer hätten die meisten der Anwesenden gekannt. "Er war wohl mit zerstörerischen Mächten umgeben", mutmaßt er und fragt: "Was geht in so jemandem vor?" Die Gottesdienstbesucher beten für die Verletzten. Auch an die Eltern des 18-jährigen Schützen wird gedacht. Sie waren, so ist zu hören, nach der furchtbaren Nachricht zusammengebrochen und müssen weiter ärztlich behandelt werden.

Dank an die Helfer

Hinten in der Kirche zünden die Menschen Kerzen an. Bei den Fürbitten bedanken sich Geistliche, Eltern und Schüler bei den vielen Helfern, Polizisten und Seelsorgern. Man sei dankbar, dass die Polizei so schnell und umsichtig gehandelt habe. Womöglich hätte es sonst ein Blutbad gegeben, heißt es immer wieder.

Ein anderer Geistlicher sagt in seiner Predigt, die Geschehnisse vor zwei Tagen seien vielen vorgekommen "wie im Film". "Es wird einem klar, wie verletzbar das Leben ist, wie nahe der Tod", fasst er die Gefühle vieler Anwesender in Worte. "Alles, was bisher normal war, scheint nicht mehr sicher." Als Höhepunkt des Gottesdienstes beten die Emsdettener gemeinsam das "Vater unser". Alle fassen sich dabei an den Händen - bilden eine große, lange Menschenkette durch die ganze Kirche.

Mitleid mit der Familie des Amokschützen

Nach dem Gottesdienst liest Schulleiterin Carola Keller Einträge aus dem Buch vor, das in den vergangenen beiden Tagen öffentlich auslag und in das Schüler und Eltern ihre Gedanken eintragen konnten. "Niemand hätte gedacht, dass so etwas passieren könnte - erst recht nicht bei uns", schreibt darin eine Schülerin. Ein anderer Schüler notiert, man solle auch Mitleid haben für die Familie des Amokschützen: "Sie können nichts dafür." Zum Abschluss spricht Keller allen Anwesenden Mut zu: "Ich bin überzeugt, wenn wir das traumatische Ereignis gemeinsam bewältigen, können wir das hinbekommen." Spontan erntet sie dafür minutenlangen Applaus.

Im Anschluss an den Gottesdienst versammeln sich die Schüler der Geschwister-Scholl-Realschule klassenweise vor der Kirche. Sie werden auf andere Schulen des Ortes verteilt, der Unterricht soll für die älteren von ihnen direkt weitergehen. Begleitet wird jede Klasse von einem Seelsorger. Psychologische Betreuung ist auch für die nächsten Tage noch vorgesehen. "Ich hab' ganz schön viel Angst, und nachts kann ich nicht schlafen", sagt ein kleiner Junge. Aber auch die älteren Schüler, die sonst eher als cool gelten, sind nach wie vor tief betroffen. "Hoffentlich kehrt bald wieder Normalität ein", sagt einer nachdenklich. (Von Beate Wild, ddp)

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