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© dpa

Amy Winehouse: Das Publikum hat ihre Seele

Amy Winehouse – wie sie war lange keine mehr. Sie leidet an sich, und alle leiden mit ihr. Bei all ihren letzten Konzerten wirkte sie wie eine verlorene Seele, die neben sich steht.

Bei der Feier um die MTV Music Awards erhielt am Donnerstag in München Amy Winehouse unter tosendem Jubel des Publikums eine weitere Auszeichnung, den einzigen Preis, der nicht vom Publikum, sondern von den Musikerkollegen vergeben wurde: „Artists’ Choice“. Etwas wackelig stöckelte die 24-jährige Sängerin auf die Bühne, nahm die Trophäe entgegen, schaute unsicher und nicht besonders glücklich ins Leere, blieb eine Weile auf dem Podium stehen, wisperte kurz „Thank you“ und verschwand wieder.

Nicht so schlimm, eigentlich sogar sympathisch, wenn jemand auf den ganzen aufgeblasenen Rummel mit Schüchternheit reagiert, nichts zu sagen weiß. Man denke an das Verhalten des großen Bob Dylan bei Preisverleihungen.

Aber bei Amy Winehouse ist da noch etwas anderes. Bei all ihren letzten Konzerten wirkte sie wie eine verlorene Seele, die neben sich steht. Eine, die unter dem Einfluss starker Mittel steht. Eine, die dringend Hilfe benötigt. Ist das der Grund, warum Amy Winehouse derzeit alle Aufmerksamkeit auf sich zieht? Dass alle, nicht nur Mick Jagger, sich Sorgen um sie machen?

Da ist eine herausragende Soulsängerin, wie es lange vor ihr keine gab. Und dieses Talent droht jederzeit umzukippen. Vielleicht ist es diese Mischung, die das Publikum in Bann hält. Es weiß nicht, ob diese großartige Künstlerin morgen noch leben wird.

Aufgewachsen im Norden Londons als Tochter eines Taxifahrers und einer Apothekerin, kam Amy Winehouse früh in Kontakt mit der Musik von Billie Holiday, Frank Sinatra und Ray Charles, interessierte sich als Teenager für amerikanische Rapper und bekam schon mit 17 Jahren ihren ersten Plattenvertrag. Das Debütalbum „Frank“ zeigte dann auch gleich eine erstaunliche Begabung als Jazzsängerin, der es mehr um den individuellen Ausdruck eigener Gefühle ging als um antrainierte Vokaltechniken.

„Es geht nur um die Musik“, erklärte Winehouse dem britischen „Guardian“ im Jahr 2004, „es ist das Einzige im Leben, wo ich Würde habe.“

Inzwischen hat sie ihr zweites Album veröffentlicht, „Back To Black“, und sich weg vom klassischen Jazz in Richtung Soul und Motown, R&B und dem Sound der Sixties-Girlgroups orientiert, vom Gesangsstil der Vorbilder Billie Holiday und Nina Simone hin zu dem von Aretha Franklin, den Supremes, Shirelles, Ronettes. Eine höchst erfolgreiche Angelegenheit, mit der Single „Rehab“ als erstem Top-Ten-Hit und schlagartig steigender Popularität in Europa und jetzt auch in Amerika.

„They tried to make me go to rehab, I said no no no“, singt Amy in dem Lied trotzig. Nein, nein, nein, einen Entzug werde sie nicht machen. Und ihre Plattenfirma hat sie werbewirksam unterstützt in dieser Haltung, die man zunächst als lustig empfand, dann jedoch immer weniger, je mehr sich Winehouse mit immer bedrohlicher werdendem Alkohol- und Drogenkonsum zu ruinieren und ihr großes Talent zu verspielen begann. Als Winehouse als über die Stränge schlagende Skandalnudel Schlagzeilen machte in der gnadenlosen Regenbogenpresse, wurde dieses Image offenbar auch verkaufsfördernd eingesetzt vom Management und auf der offiziellen Website weiter geschürt: unter anderem mit Mixanleitungen zu Amys Lieblingsdrink „Rickstasy“, einer schrägen Geschmacksverirrung aus Wodka, Southern Comfort, Bailey’s und Bananenlikör.

Sie trinke diese Unmengen Alkohol, weil sie unsicher sei, hatte Winehouse in einem Interview gestanden, und dass sie auch mit Kokain und Heroin ihre Irritationen betäube. Und je unsicherer sie sei, sich selbst und dem Leben gegenüber, desto größere Haarteile müsse sie in ihrer monströsen Frisur verarbeiten, die inzwischen mehr als an einen Bienenstock an die Bärenfellmützen der königlichen englischen Garden erinnert.

Immer exzessiver wurde der Drogenkonsum der letzten Zeit, immer höher der Haarturm, immer dürrer die magersüchtige Sängerin, immer wilder die Horrorgeschichten um eifersüchtige Prügeleien mit dem Ehemann und andere Exzesse. Amy musste nicht erst künstlich zur rebellischen Schlampe gestylt werden. Sie war so, von Natur. Sie war „echt“. Diese Authentizität ist ein weiterer entscheidender Faktor, der ihre Faszination ausmacht.

Gleichzeitig wurde sie immer unsicherer, schüchterner, ängstlicher und wackliger auf den Beinen, je mehr ihr der phänomenale Erfolg und die überbordenden Erwartungen des Publikums über den Kopf zu wachsen schienen.

Immer schlechter wurden die Konzerte, wenn sie denn überhaupt noch stattfanden und nicht wieder abgesagt wurden, wie so oft in letzter Zeit. Erst kürzlich enttäuschte die begabte Soulsängerin mit einem uninspiriert freudlos vertorkelten Auftritt in Berlin, mit gerade mal zehn Songs in kläglichen 50 Minuten. Und wie sich die Konzertberichte ähneln: stundenlange Verspätung, verpatzte Einsätze, eine geistesabwesende Amy, die ganz offensichtlich keinen Spaß mehr hat, auf der Bühne zu stehen, die ihr Repertoire wie ein programmierter Automat runternudelt.

Sicher hat sie recht, wenn sie sagt, die Musik sei doch wichtiger als alle Skandalgeschichten. Aber wenn von der Musik schließlich auch nichts mehr bleibt, wird irgendwann auch der letzte Funken Würde aus ihrem Leben verschwinden. Dem Publikum tut es weh, einem solchen Prozess zuschauen zu müssen.

Amy Winehouse sollte sich mehr an ihre großen Musikerkollegen Mick Jagger und Ron Wood und deren dringende Warnungen halten als an die Einflüsterungen dummer Jungs und Skandalrabauken vom Schlage eines Pete Doherty.

Es wäre tragisch, würde der Stern der Amy Winehouse verglühen, bevor er richtig gestrahlt hat.

H.P. Daniels

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