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Panorama: An der Schleuse Nicht einmal der Erreger ist bekannt

In Europa werden zahlreiche Flughäfen von den Gesundheitsbehörden kontrolliert, nicht aber in Deutschland – warum? Experten in Berlin untersuchen die mysteriöse Krankheit „Sars“, können die Gefahr aber noch nicht einschätzen

DIE UNBEKANNTE LUNGENENTZÜNDUNG

Nach dem Einschleppen einer neuen, bisher unbekannten Form der Lungenentzündung nach Deutschland leiteten mehrere Länder in Europa umfassende Vorkehrungen an den Flughäfen ein – nicht aber in Deutschland.

Am Freitag war, wie berichtet, ein Arzt aus Singapur bei der Zwischenlandung in Frankfurt wegen des schweren akuten Atemnotsyndroms (Severe Acute Respiratory Syndrome, „Sars“) in die Isolierstation der Universitätsklinik – der modernsten Europas – eingeliefert worden. Über die tatsächliche Gefahr dieser Krankheit sind sich die Experten noch nicht im Klaren. Der Mediziner, der sich auf der Rückreise von einem Besuch in New York befand, hatte zuvor in seiner Heimat einen Sars-Patienten behandelt. Weil er aus New York kam, berichteten amerikanische Fernsehsender am Wochenende besorgt über diese Krankheit, deren Ausmaß und deren Gefahr Rätsel aufgibt. In den letzten Tagen sind – überwiegend in China und Vietnam – etwa 150 Menschen erkrankt.

Bei der Lufthansa sieht man nach Angaben eines Sprechers bisher keine Notwendigkeit für besondere Schutzvorkehrungen. Nach Angaben der Behörden sei die Ansteckungsgefahr auf den direkten Kontakt durch Tröpfcheninfektion beschränkt, der gemeinsame Aufenthalt in einem geschlossenen Raum wie einer Flugzeugkabine reiche nicht aus. Trete eine akute Erkrankung bei einem Passagier auf, werde zunächst nach einem Arzt an Bord gesucht. Befindet sich keiner unter den Reisenden, nimmt die Crew über Funk Kontakt mit dem ärztlichen Dienst der Gesellschaft in Frankfurt auf, der eine Ferndiagnose versucht. Bei Seuchengefahr werde der Zielflughafen verständigt, alles weitere sei dann Sache der Gesundheitsbehörden.

An den Berliner Flughäfen stehen für diese Fälle Quarantäneräume bereit, sagte ein Flughafen-Sprecher. Wegen der fehlenden Interkontinentalverbindungen nach Asien gibt es in Tegel und Tempelhof kaum Möglichkeiten für gezielte Kontrollen. Die Passagiere reisen mit Maschinen aus Städten wie Frankfurt oder Amsterdam, London oder Zürich weiter, die nichts über ihre tatsächliche Herkunft ahnen lassen. Lag der Umsteigeflughafen in der EU, findet in Berlin nicht einmal mehr eine Passkontrolle statt. Dennoch gab es in den vergangenen Jahren wiederholt Fälle, wo bei Passagieren, die aus exotischen Ländern kamen, der Verdacht auf Infektionskrankheiten bestand. Hier wurden die Reisenden jeweils vom zuständigen Amtsarzt in engem Kontakt mit dem Robert-Koch-Institut isoliert.

Asienheimkehrer untersucht

Am Frankfurter Flughafen haben die Gesundheitsämter bisher keine zusätzlichen Kontrollen angeordnet, sagte der dortige Verkehrsleiter. Auch in München gibt es bisher keine besonderen Vorkehrungen, so Flughafen-Sprecher Robert Wilhelm. Wenn an Bord eines Fluges eine Erkrankung auftrete, werde die Maschine auf eine Außenposition dirigiert und in die Obhut der Mediziner gegeben. Die übrigen Passagiere des Singapore-Airlines-Fluges trafen gestern Vormittag mit einer Ersatzmaschine in Singapur ein. Sie wurden auch dort von den Gesundheitsbehörden befragt und untersucht. Weitere Erkrankungen wurden nicht festgestellt, sagte Airline-Sprecher Peter Tomasch. Heute will der Vorstand der Luftverkehrsgesellschaft über zusätzliche Schutzmaßnahmen beraten. Der Arzt hatte bereits in New York an Krankheitssymptomen gelitten, die Reise aber trotzdem angetreten.

In Wien gehen Flughafenärzte an Bord gelandeter Maschinen aus China und Singapur. Sie informieren die Passagiere über die Symptome und achten auf Auffälligkeiten. Reisende mit bedenklichen Anzeichen wird nahegelegt, sich zu einem Arzt oder in ein Krankenhaus zu begeben, nur im Ausnahmefall sollen Zwangseinweisungen erfolgen, sagte Dr. Hubert Hrabcik, Sektionschef im Gesundheitsministerium. Am Zürcher Flughafen wurde das Bordpersonal der Fluggesellschaften auf das Krankheitsbild „sensibilisiert", teilte die Betreibergesellschaft mit. Ein Sars-Verdacht bestehe, wenn Fieber über 38 Grad Celsius, Atemnot oder Husten sowie ein Aufenthalt in China einschließlich Hongkong oder Vietnam zusammentreffen. Wenn der Verdacht bestehe, dass sich an Bord einer Maschine ein Erkrankter befindet, würden alle Reisenden einer Untersuchung unterzogen.

Die französischen Gesundheitsbehörden haben empfohlen, Reisen in die betroffenen asiatischen Länder zu verschieben. Acht Krankenhäuser wurden für die Aufnahme von Sars-Patienten vorbereitet. Personen, die seit dem 1. März aus China oder Vietnam zurückgekehrt sind und unter Grippesymptomen leiden, wurden aufgefordert, sich zu melden. In Italien wurden Passagierkontrollen an den internationalen Verkehrsflughäfen von Rom und Mailand angeordnet. In Großbritannien wurden Asienheimkehrer aufgefordert, auf Anzeichen der mysteriösen Form der Lungenentzündung zu achten.

Von Hartmut Wewetzer

Asien, Amerika, Australien, Europa – innerhalb weniger Monate hat sich eine rätselhafte Atemwegserkrankung ausgebreitet und beunruhigt nun die Gesundheitsbehörden in aller Welt. Hunderte sind erkrankt, von neun Todesfällen bisher ist die Rede. Allein in der vergangenen Woche sollen mehr als 150 Fälle aufgetreten sein. Betroffen sind vor allem China, Indonesien, Singapur, Thailand, Vietnam und die Philippinen. Und über den weltweiten Flugverkehr hat der mysteriöse Erreger einer untypischen Form von Lungenentzündung dieser Tage Kanada und Deutschland erreicht.

„Schweres akutes respiratorisches Syndrom“ oder kurz „Sars“ nennen die Fachleute die Erkrankung. Bislang hat man die Ursache dieser Form der „atypischen“ Lungenentzündung nicht aufgeklärt. „Atypisch“ heißen diese Infektionen deshalb, weil sie den Arzt zunächst in die Irre führen. Denn eine „klassische“ Lungenentzündung lässt sich durch sorgfältiges Abhorchen und Abklopfen der Lunge gut feststellen. Im Blut finden sich mehr weiße Blutkörperchen als sonst.

Bei der atypischen Lungenentzündung ist das anders. Die Zahl der weißen Blutkörpchern ist meist nicht erhöht oder kann sogar verringert sein, und die Lunge scheint nicht auffällig verändert, wenn man sie abhorcht. Die Patienten haben eher trockenen Husten und Fieber. Aber das Röntgenbild der Lunge ist verräterisch und zeigt eine auffällige alarmierende Verschattung des Atemorgans.

Typische Erreger von atypischen Lungenentzündungen sind Viren sowie „exotische“ Bakterien wie Mykoplasmen, Chlamydien, Legionellen, Rickettsien und (bei Aids-Patienten) der einzellige Parasit Pneumocystis carinii. Im Fall von „Sars“ vermuten die Behörden einen Virus als Erreger – vielleicht deshalb, weil die bei Bakterien bewährten Antibiotika bisher versagten.

Noch aber ist kein Erreger nachgewiesen. Bisher ist auch nicht endgültig ausgeschlossen, dass es sich um ein Grippevirus handelt. Seit Jahren befürchten Fachleute, dass eine aggressive Variante eines in Hongkong gefundenen Hühnergrippe-Virus namens H5N1 auf Menschen übergehen könnte.

„Sars“ beginnt wie eine typische Grippe: Fieber über 38 Grad, trockener Husten, Muskelschmerzen, greift dann aber offenbar rasch auf die Lunge über, so dass die Opfer über Kurzatmigkeit klagen. Die Krankheit verläuft schwer, und es kommt zu Todesfällen. Mittlerweile gibt es aber auch schon Patienten, die die Infektion offenbar weitgehend überwunden haben.

Wie kann man sich schützen und wie ansteckend ist der Keim? Die Weltgesundheitsorganisation sieht in dem „Sars“-Erreger eine weltweite Gefahr und hält die Reisenden zur Wachsamkeit an, spricht sich aber bisher gegen Reisebeschränkungen aus.

„Wir nehmen an, dass sich der Erreger über die Atemwege, also Tröpfchen oder noch feinere Aerosole, verbreitet“, sagt Susanne Glasmacher, Sprecherin des Robert-Koch-Instituts. „Aber das ist bisher nur Spekulation – wir wissen noch zu wenig.“

Immerhin sind in einem Krankenhaus in Hongkong gleich 23 Mitarbeiter mit Sars-Symptomen erkrankt. In Hanoi traf es 20 Mitarbeiter nach Aufnahme eines Patienten. Das Hamburger Bernhard-Nocht-Institut spricht deshalb von einer hochansteckenden Infektion. Andererseits wies Julie Gerberding von der US-Seuchenbehörde CDC darauf hin, dass wohl nur direkter und längerer Kontakt zu einem Infizierten die Krankheit überträgt. „Es gibt keinen Hinweis darauf, dass kurzer Kontakt oder die gemeinsame Anwesenheit in einer Menschenmenge den Keim verbreitet“, sagte Gerberding. Auch die Mitpassagiere der in Frankfurt gelandeten Maschine blieben offenbar verschont.

Rainer W. During

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