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Panorama: Angriff aus der Luft

Riesige Heuschreckenschwärme überfallen die Kanarischen Inseln. Die Behörden wiegeln ab. Steht die große Plage noch bevor?

Heuschrecken überfallen Europa. Viele Urlauber auf der spanischen Kanaren-Ferieninsel Fuerteventura fühlten sich in den letzten Tagen wie in einem Horrorfilm. Heerscharen dieser rosaroten Riesenhüpfer umschwirrten Urlauber, die in der berühmten Dünenregion von Corralejo am Strand spazieren gehen wollten. Die Feriengäste flüchteten entnervt und angeekelt in ihre Hotelzimmer und verrammelten Fenster und Türen. Und schauten entsetzt auf die wolkenartigen Schwärme, die draußen durch die Luft flatterten. Mehr als 200 Millionen dieser Biester sind von Afrika kommend auf Fuerteventura eingefallen, wo sich die Lage am Dienstagnachmittag wieder etwas entspannte. „Das ist fast wie im Hitchcock-Thriller ,Die Vögel’“, berichtete angewidert ein Bewohner.

Die Regierung der Kanaren bemühte sich derweil zu beruhigen. Auch die Reiseindustrie sieht die Lage „nicht dramatisch“. „Die Menschen müssen sich keine Sorgen machen“, sagt ein Behördensprecher. Die bis zu zehn Zentimeter großen Insekten seien harmlos, stechen und beißen nicht. Von ihnen gehe keine Gefahr aus. Wenigstens nicht für die Menschen.

Eine Gefahr besteht für die Bauern, die um ihre Tomaten- und Kartoffelernten fürchten. „Die können alles vernichten, was grün ist“, erregt sich die Bäuerin Matilde Martin. Die Wüstenheuschrecken, die vor allem auf Fuerteventura und der Nachbarinsel Lanzarote einfielen, wollen vor allem fressen. Die Bauern, die kurz vor der Ernte stehen, beten zum Himmel, dass die Behörden, welche die Plage zunächst unterschätzten („alles unter Kontrolle“), wenigstens nun Recht haben: Die Schwärme seien nicht sehr gefräßig, sagte der kanarische Agrarminister Pedro Rodriguez, die Heuschrecken seien „alt und erschöpft“. Er warnte vor einer Ausräucherung der Insekten mit Gift. Trotzdem wurden Sprühaktionen mit Insektiziden beobachtet. In einigen Wochen seien die meisten Heuschrecken vermutlich tot. Und ein Windwechsel werde verhindern, dass weitere Heuschrecken-Armeen übers Meer kommen.

Doch niemand möchte ausschließen, dass schon bald noch größere Schwärme sich von Westafrika mit dem Atlantikwind auf die Kanaren tragen lassen. Denn in Afrika, wo derzeit die schlimmste Heuschreckenplage seit Jahrzehnten die Ernten vernichtet, ist die Lage kritisch, warnte die Weltgesundheitsorganisation FAO. Falls dort bis Frühjahr, wenn die Weibchen Eier legen, die Schwärme mit Milliarden von Insekten nicht vernichtet seien, könne die Plage noch schlimmer werden. Dann rüstet sich eine neue Generation für den Angriff auf Europa. Den letzten Alarm auf den Kanaren gab es 1988. 1954 richteten Heuschrecken schwere Schäden an.

Die Inseln sind im Winter ein beliebtes Reiseziel. Wegen hoher Preise gingen im vorigen Jahr die Buchungen zurück. Eine Heuschreckenplage würde Versuche, die Kanaren wieder als Reiseziel zu forcieren, beeinträchtigen.

Ralph Schulze[Madrid]

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