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Die Vorstellung vom gezimmerten Kreuz entspricht nicht unbedingt den historischen Tatsachen.

© dpa

Archäologe: Jesus starb nicht am Kreuz, sondern an einer Baumgabel

Starb Jesus an einer Baumgabel? Ein italienischer Archäologe revolutioniert jetzt das Bild vom Kreuz. Die Römer benutzten für ihre Kreuzigungen auch Pfosten oder x-förmige Balken.

Jesus wurde nicht ans Kreuz, sondern an eine Art Baumgabel geschlagen - das legen Forschungen des italienischen Archäologen und Anthropologen Matteo Borrini nahe. Nach seiner Untersuchung des Turiner Grabtuchs starb der Mann, dessen Abbild es zeigt, mit hochgereckten Armen. Demnach wäre Jesus entgegen der Bildtradition an ein Y-förmiges Kreuz genagelt worden, womöglich eine große Astgabel.

Matteo Borrini ist forensischer Archäologe

Borrini beackert das entlegene Feld der forensischen Archäologie. Seine Spezialität sind Analysen von Blutspuren längst verstorbener Menschen. Unter diesem Blickwinkel weckten einige rostbraune Linien auf dem Turiner Leinen sein Interesse. Welche Position musste der Mann am Kreuz eingenommen haben, damit das Blut aus seinen Handwunden genau diesen Kurs zu den Ellbogen nahm? Gemeinsam mit Luigi Garlaschelli, Chemiker in Pavia mit einem Faible für bizarre Phänomene, experimentierte Borrini mit einer am Handgelenk befestigten Kanüle und Blutkonserven. Sein Ergebnis, das er laut der britischen Zeitschrift „NewScientist“ bei einem Kongress der Amerikanischen Akademie für Gerichtsmedizin in Seattle vorstellte: Die Spuren sprechen für eine Kreuzigung - jedoch in einer „Y“-Form, nicht in der angenommenen „T“-Haltung.

Die Römer richteten die Männer in verschiedensten Körperhaltungen hin

Rein archäologisch wäre das an sich keine grundstürzende Erkenntnis. Römer nutzten für Kreuzigungen so ziemlich alles, was irgendwie niet- und nagelfest war. Pfähle mit Querholz, X-förmige Balken, einfache Pfosten - und eben auch Baumgabeln. Der jüdische Historiker Flavius Josephus beschreibt, wie sich römische Soldaten einen grausamen Spaß daraus machten, Gefangene in den verschiedensten Körperhaltungen hinzurichten. Nur wie sah das Kreuz Jesu aus? Die Bibel lässt es im Dunkeln. Zwar berichten die Evangelisten Matthäus und Johannes, man habe bei der Hinrichtung Jesu „über seinem Kopf“ beziehungsweise „oben am Kreuz“ eine Tafel mit dem Verurteilungsgrund angebracht - was bei einem „Y“ natürlich nicht ginge. Das ältere Markus-Evangelium macht aber keine Ortsangabe für diesen „titulus crucis“. Er könnte auch einfach am Fuß des Kreuzes abgestellt worden sein.

Bielefelder Neutestamentler bezweifelt das "Y"

Der emeritierte Bielefelder Neutestamentler Willibald Bösen hält indes wenig von Spekulationen über die Gestalt des Kreuzes. Dabei haben sich wenige so sehr mit der Materie befasst wie er als Autor des Buches „Der letzte Tag des Jesus von Nazaret“. „Es gibt keinen Beweis, dass das Kreuz in einer bestimmten Form vorzustellen ist“, sagt Bösen. Nur dass es kein „Y“ gewesen sei, hält er für ziemlich sicher. Es fängt an mit dem Turiner Grabtuch: Wer dessen Echtheit behauptet, so Bösen, „gerät in Beweisnot“. Dann spricht gegen die Gabelform, dass nach einhelligem Zeugnis der Evangelien Jesus sein Kreuz selbst zur Schädelstätte schleppen sollte: Für einen zuvor gegeißelten, ohnehin halbtoten Delinquenten ist das laut Bösen bestenfalls mit dem Querbalken möglich, dem sogenannten „patibulum“.

Der Rest ist Kunstgeschichte

Und schließlich hatten die Römer angesichts der Häufigkeit von Hinrichtungen allen Grund, die Sache rationell über die Bühne zu bringen. Allein die senkrechten Pfosten im felsigen Untergrund zu verankern, ist nichts, was man jedesmal neu machen möchte. „Die Soldaten haben den einfachsten Weg gewählt“, meint Bösen. Er geht davon aus, „dass die drei - oder mehr - Pfähle fest auf Golgota standen und nur jeweils bestückt werden mussten“. Der Rest ist Kunstgeschichte: Jesus an einem Y-förmigen Gabelkreuz wurde in der späten Gotik zu einem beliebten Andachtsbild, vor allem im Rheinland. Die Darstellung war nicht von der Archäologie, sondern von der Theologie bestimmt: Sie sollte an den Lebensbaum erinnern.

Ein anderer Kreuzestyp, der Jesus mit steil aufwärtsweisenden Armen zeigt, machte der Amtskirche ab dem 17. Jahrhundert eher Bauchschmerzen: Er galt als Ausdruck der verurteilten Lehre von Cornelius Jansen (1585-1638), Christus sei nur für eine schmale Schar Auserwählter gestorben.
Ob großes Ypsilon oder T-Modell - das Heil der Welt hängt wohl nicht an der äußeren Form. Nicht zuletzt Goldschmiede dürften dankbar sein, wenn alles beim Alten bliebe. Das obere kurze Kreuzesende ist immer noch der beste Punkt für Befestigungs-Ösen von Halskettchen. (KNA)

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