zum Hauptinhalt

Argentinien: Das Spiel ist aus - nicht nur für River Plate

Der Abstieg des weltweit bekannten und landesweit beliebten Vereins River Plate und die folgende Randale sind nicht nur ein Trauma für Fußballfans. Wie der Untergang eines argentinischen Fußballklubs den Niedergang des ganzen Landes wiederspiegelt.

Gottseidank war Andrés nicht im Stadion. Der Esel aus dem Zoo von Córdoba hatte, ähnlich wie die Krake Paul bei der Fußball-WM 2010, durch das Aussuchen eines von drei Heustapeln das Unmögliche vorausgesagt: dass der Argentinische Rekordmeister River Plate Buenos Aires absteigen würde, zum ersten Mal in der 110-jährigen Vereinsgeschichte. Als es am Sonntag so kam und River im Entscheidungsspiel gegen den Zweitligisten Belgrano aus Córdoba nicht gewinnen konnte, war es besser, dass Andrés bei den Ausschreitungen nach Spielschluss nicht vor Ort war. Er wäre wohl nach Spielschluss bei den Straßenschlachten in Buenos Aires übel malträtiert worden. Bei den Ausschreitungen wurden 70 Menschen verletzt, darunter 33 Polizisten.

Der Abstieg des weltbekannten und landesweit beliebten Vereins und die folgende Randale sind nicht nur ein Trauma für Fußballfans. Im Untergang des mit 33 Titeln erfolgreichsten Vereins Argentiniens spiegeln sich der moralische Niedergang des ganzen Landes und die Missstände, die dort in Sport, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik herrschen.

Die Krawalle begannen schon während des Spiels mit Steinwürfen und eskalierten. Autos brannten, Geschäfte wurden geplündert. 50 Randalierer wurden festgenommen. Nun steht vor allem Cristina Fernández de Kirchner in der Kritik. Die populistische Präsidentin und ihre Regierung hatten gegen den Rat der Sicherheitsbehörden angeordnet, dass das entscheidende Spiel um den Abstieg in dem River-Plate-Stadion „Monumental“ vor 60 000 Zuschauern stattfinden sollte. Dabei war schon beim 0:2 im Hinspiel am Mittwoch in Córdoba ein halbes Dutzend River-Fans auf den Platz gestürmt und hatte die verängstigten Fußballer herumgeschubst. Auf Plakaten am Stadion drohten sie vor dem Rückspiel: „Für uns geht es um die Geschichte, für euch um euer Leben.“

Doch für Cristina Kirchner, die vor einer Woche ihre erneute Kandidatur für das Präsidentenamt angekündigt hatte, ging es auch darum, vor den Wahlen im Oktober die Bilder eines leeren Stadions zu vermeiden – ein Drittel der fußballverrückten Argentinier sind River-Fans und potenzielle Wähler. Ein schönes Bild ist wichtig in Argentinien, auch in der Wirtschaft, die sich nach der Krise zum Jahrtausendwechsel zwar erholt hat. Genau weiß das aber niemand, Wirtschaftszahlen werden von der Regierung geschönt.

Nun muss Kirchner mit den blutigen Bildern rund um das Stadion leben. Und mit der bürgerlichen Opposition, die der Linkspolitikerin wieder einmal vorwirft, die Armen zu bevorteilen, die sich zu einfach Waffen besorgen könnten, während Kirchner das Privateigentum zu wenig schütze. In Nuñez und Belgrano, den Stadtteilen um das Monumental-Stadion, wohnen vornehmlich Angehörige der Oberschicht. Das Staatsfernsehen, dass sich auf Betreiben der Regierung die Fernsehrechte gesichert hatte und die Fußballübertragungen auch für politische Botschaften nutzt, blendete bei Beginn der Krawalle erst ein Schwarzbild ein und schaltete dann zum Hockey.

Doch die Sicherheitsdebatte kann Kirchner nicht so einfach ausblenden, die Ängste der Argentinier könnten wahlentscheidend werden. Arm und Reich misstrauen sich weiter tief. Das bürgerliche Lager beklagt die vermeintlich schlechte Sicherheitslage, bei vielen Armen herrscht Sozialneid, auch geschürt von der Regierung, die Umverteilung propagiert. River Plate ist traditionell der Klub der Oberschicht, die sich gerne englisch gibt und gern Rugby und Polo spielt. Die Anhänger Rivers werden „Millonarios“ genannt, Millionäre. Im Gegensatz dazu steht der ewige Lokalrivale aus Buenos Aires, die Boca Juniors, der Arbeiterklub aus dem armen Hafenviertel Boca. Die Linie zwischen Arm und Reich spaltet ganz Fußball-Argentinien, nicht nur bei den legendären Derby-Duellen der beiden Klubs, den „Superclásicos“. Nach Rivers Abstieg wird es die vorerst nicht mehr geben. Dabei hatte die argentinische Liga vor Jahren extra eine Abstiegswertung eingeführt, die die großen Klubs bevorteilt, da sie die Durchschnittspunktzahl der letzten drei Jahre heranzieht, was kleine Klubs und Aufsteiger benachteiligt. Doch die Unterschiede verschwimmen allmählich, auch zwischen den beiden Rivalen aus Buenos Aires. Während Boca nur noch Eintrittskarten an zahlende Vereinsmitglieder und Touristengruppen verkauft, kommen die River-Fans längst auch aus den Armutsvierteln. Die gewaltbereiten Anhänger haben bei fast allen Klubs großen Einfluss, bei River sollen sie am Eintrittskartenverkauf mitverdient haben, nicht nur bei Fußballspielen, sondern auch bei Konzerten im Stadion. Das ist auch ein Grund, warum River mittlerweile hochverschuldet ist. Dazu kommt, dass die 200 Millionen Euro, die der Verein verdiente, indem er talentierte Kicker nach Europa verkaufte, in dunklen Kanälen versickert sind. Korruption ist weiter ein großes Problem in Argentinien, nicht nur im Fußball.

Die Politiker geben nur halbherzige Bekundungen ab, gegen die gewaltbereiten Fans vorzugehen. Denn seit jeher bedienen sie sich der Krawallmacher, um bei eigenen und gegnerischen Demonstrationen die Macht auf der Straße zu sichern.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false