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Panorama: Argumente mit Gewicht

Drei Ministerinnen haben eine Initiative gegen Essstörungen bei Jugendlichen gestartet

Viele waren gekommen und lösten sich auf dem Podium in fliegendem Wechsel ab: Ministerinnen, Journalistinnen, Models und Modemacherinnen. Sie alle riefen zu einer gemeinsamen Kampagne gegen den Schlankheitswahn auf. Im Kampf gegen Magersucht und Bulimie haben insgesamt drei Bundesministerinnen gemeinsam die Initiative „Leben hat Gewicht“ gestartet. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, Familienministerin Ursula von der Leyen und Bildungsministerin Annette Schavan stellten das Projekt am Donnerstag zusammen mit der Feministin Alice Schwarzer in Berlin vor. Im Zentrum steht dabei die Aufklärung. Die Ministerinnen kritisierten aber auch „Magermodels“ und appellierten an die Mode- und Werbebranche, sich an der Initiative zu beteiligen. Der Deutsche Werberat warf anschließend der Politik vor, es sich mit der Kritik an der Werbung zu einfach zu machen.

„Schlankheitswahn ist heute die Sucht Nummer eins unter Frauen in der westlichen Welt“, sagte „Emma“-Herausgeberin Alice Schwarzer. Sie hatte die Initiative angeregt. „Ausgerechnet in der Zeit, in der Frauen die Welt offensteht, machen sie ihren eigenen Körper zu ihrem Gefängnis.“ Während Männer Karriere machten, würden Frauen Kalorien zählen. Dagegen erhob sie mit den anderen Frauen das Wort.

Nach einer Studie des Robert-Koch-Instituts in Berlin weist jeder fünfte der 11- bis 17-jährigen Jugendlichen Symptome einer Essstörung auf. Damit gehören Essstörungen im Kindes- und Jugendalter zu den häufigsten chronischen Gesundheitsproblemen. Die Zahlen seien erschreckend, sagte Gesundheitsministerin Ulla Schmidt: „56 Prozent der 13- bis 14-Jährigen wollen dünner sein, 63 Prozent finden, dass sie nicht gut aussehen.“ Die Umfrage unter mehr als 17000 Jugendlichen ist die erste ihrer Art. Frühere Zahlen hätten auf Schätzungen beruht, sagte die Ministerin. Sie rief die Mode- und Werbebranche zu einer Selbstverpflichtungserklärung gegen untergewichtige Models auf: „Magermodels gehören weder auf den Laufsteg noch in die Werbung.“ Sie selbst will Essstörungen auch in dem nationalen Aktionsplan „Gesunde Ernährung und Bewegung“ thematisieren, der im kommenden Frühjahr beschlossen werden soll. Außerdem sollen Selbsthilfeprojekte in den nächsten drei Jahren mit 250000 Euro gefördert werden. Die Krankheitsbilder von Essstörungen können ganz unterschiedlich sein. Am bekanntesten sind die Magersucht und die Bulimie, bei der sich Betroffene nach Fressanfällen zwanghaft dazu bringen, das Essen wieder zu erbrechen. Dazu gehört aber auch das sogenannte Binge Eating mit immer wiederkehrenden Fressattacken ohne gewichtsregulierende Gegensteuerung. Die Krankheitsbilder gehen oft ineinander über, allen gemeinsam ist ein gestörtes Verhältnis zum eigenen Körper.

„Die Magersucht ist überwiegend weiblich und sehr jung“, sagte Familienministerin Ursula von der Leyen. Von zehn Magersüchtigen seien neun Mädchen oder junge Frauen. Jeder zehnte Betroffene sterbe an den Folgen der Magersucht. Die Ursachen lägen häufig in der Ablehnung der körperlichen Entwicklung in der Pubertät. „Es geht nicht ums Kalorienzählen, sondern es ist der verzweifelte Schrei einer Seele, die in einem Rollenkonflikt steckt.“ Daher komme es entscheidend auf Prävention schon im Kindergarten und in der Grundschule an. „Wir müssen Kinder zu starken Persönlichkeiten erziehen.“

„Früher kamen 14- bis 15-Jährige zu uns, heute sind es 8- bis 9-Jährige.“ Martina Hartmann, Suchttherapeutin von der Beratungsstelle „Dick & Dünn e.V.“ weiß, wovon sie spricht. Prävention sei wichtig, darin stimme sie mit Ministerin von der Leyen überein. Doch wünscht sie sich mehr tatsächliche Unterstützung in ihrer Arbeit. Die Beratungsstelle wird von der Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit gefördert, allerdings sei die Personaldecke so dünn, dass sie und ihre Kolleginnen kaum an Schulen gehen könnten. „Außerdem müssen die Schulen die Workshops bezahlen, das kann doch nicht Sinn der Sache sein.“ Es müssten auch essgestörte Mütter angesprochen werden. „Magersüchtige Mütter überfüttern ihre Kinder oft, fettsüchtige geben ihren Babys zu wenig Nahrung.“

Bundesforschungsministerin Annette Schavan drängte darauf, den „verführerischen und zerstörerischen“ Bildern extrem dünner Prominenter andere Vorbilder entgegenzusetzen. Wie die anderen Ministerinnen appellierte sie an die Medien, daran mitzuwirken. „In meinem Unternehmen gibt es keine Fotos von Mädchen, die deutlich krank sind“, sagte die Designerin Jette Joop. Sie kenne auch keinen Mann, der das besonders attraktiv fände. Sie befürwortete die Selbstverpflichtungserklärung der italienischen Modekammer, wonach nur solche Models zu Werbezwecken auftreten, die mit ärztlichem Attest nachweisen können, dass sie nicht unter Essstörungen leiden.

Ute Zauft

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