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Aschewolke über Europa: Ein Vulkan gibt Rätsel auf

Über 63.000 Flüge sind seit Donnerstag wegen der Vulkanasche ausgefallen. Welche Folgen hat das?

Von Normalisierung ist der europäische Luftverkehr noch weit entfernt. Das verärgert die Passagiere, aber auch die Fluggesellschaften reagieren mit Kritik.

Was genau kritisieren die Fluggesellschaften?

Nachdem Testflüge der niederländischen KLM und der Lufthansa keinerlei Beeinträchtigungen ergaben, wächst die Kritik der Luftverkehrsgesellschaften an der nahezu kompletten Einstellung des europäischen Luftverkehrs. Die KLM ließ am Samstagabend um 19.45 Uhr eine zweistrahlige Boeing 737-800 in Amsterdam-Schiphol zu einem 75-minütigen Testflug ohne Passagiere starten, bei dem die Maschine auf eine Flughöhe von bis zu 13 Kilometern stieg. Dabei gab es keinerlei Probleme. Die Luftqualität sei einwandfrei gewesen, teilte die Fluggesellschaft mit. Anschließend wurde das Flugzeug in die KLM-Werft gebracht und genau untersucht. Auch dort wurden keinerlei Schäden durch Vulkanasche festgestellt. Daraufhin erteilte das holländische Verkehrsministerium der KLM gestern die Erlaubnis, eine Maschine mit zahlreichen Piloten nach Düsseldorf starten zu lassen, die sieben dort gestrandete Maschinen zurück nach Amsterdam fliegen sollen. Auch diese Flüge werden als Test gewertet. Wenn sie alle problemlos verlaufen, hoffe man auf eine schnelle Wiederaufnahme des Luftverkehrs, sagte KLM-Chef Peter Hartmann.

Bei den Testflügen steht die KLM auch im engen Kontakt zur Lufthansa. Diese hatte am Sonnabend zehn Langstreckenjets von München nach Frankfurt überführt. Dabei waren die Flugzeuge, wie ein Sprecher bestätigte, bis auf Höhen von 8000 Metern gestiegen. Auch hier habe es bei der Untersuchung nach der Landung keine Hinweise auf ein Zusammentreffen mit der Vulkanasche gegeben.

„Durch das Flugverbot, das ausschließlich auf Computerberechnungen beruht, entsteht ein volkswirtschaftlicher Schaden in Milliardenhöhe“, erklärte Lufthansa-Sprecher Klaus Walther gegenüber der „Bild am Sonntag“. „Darum fordern wir für die Zukunft, dass vor einem Flugverbot verlässliche Messungen vorliegen müssen.“ Auch die zweitgrößte deutsche Fluggesellschaft Air Berlin kritisiert die Messverfahren.

Wie sicher sind die Erkenntnisse über die Asche in der Luft?

Ulrich Schumann vom Institut für Physik der Atmosphäre des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen gehört zu den ganz wenigen Menschen in Deutschland, die messen könnten, welche Mengen Asche und Gase der Ausbruch des Eyjafjalla-Vulkans in die Luft Mitteleuropas getragen hat. Dazu aber muss er ein Forschungsflugzeug mit den geeigneten Messgeräten ausrüsten und dann „vor Ort“ messen. Neben dem technischen Gerät braucht das DLR auch noch die Erlaubnis für den Start. Das alles am Wochenende zu organisieren, war nicht möglich.

Die Flugsicherungsbehörden benötigen nicht nur in Deutschland möglichst genaue Werte über die Auswirkungen der Eruption in Island auf die Atmosphäre Mitteleuropas. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) kann diese Zahlen nicht liefern. Zum letzten Mal kamen an Pfingsten 1783 Asche und Gase nach einem Vulkanausbruch nach Europa und sorgten dort für einen kühlen Sommer mit ziemlichen Missernten. Seither war Vulkanasche kein Thema in Mitteleuropa und der DWD hat keine Methoden, um die Asche zu messen. Ballonsonden registrieren zwar sehr genau die Temperatur, Druck und andere Eigenschaften der Luft, können aber Asche allenfalls indirekt bemerken. Auch die Lidar-Lasergeräte des DWD sind nicht für eine Staubmessung ausgerüstet. Mit solchen Methoden haben Meteorologen von der bayerischen Station Hohenpeißenberg am Sonntag zum Beispiel erheblich geringere Ozonkonzentrationen als an anderen Tagen gemessen. Vulkane wiederum stoßen große Mengen Schwefeldioxid aus, die bei Sonnenschein die Ozonschicht in der Höhe abbauen können. Der DWD folgerte, dass über dem Hohenpeißenberg Schwefeldioxid aus dem isländischen Vulkan in der Luft schwebt.

Ähnlich operiert auch das Vulcanic Ash Advisory Centre (VAAC) in London, das für Vulkan-Luftraumwarnungen über dem Nordostatlantik und damit für den Großteil des Flugverkehrs zwischen Europa und Nordamerika zuständig ist. Die Briten erhalten Daten der Behörden in Island, welche Mengen von Asche der Eyjafjalla-Vulkan in welche Luftschichten geschleudert hat. Mit speziellen und nach VAAC-Angaben sehr zuverlässigen Wettermodellen berechnen Computer dann in 15 Minuten, wie die Wolke sich in den nächsten Stunden ausbreiten wird. Da die Eruptionswolke in größerer Entfernung vom Vulkan auch auf Satellitenbildern nicht mehr zu sehen ist, nutzen Forscher winzige Temperaturunterschiede zwischen Asche und dem Rest der Atmosphäre, um von Satelliten aus die Ausbreitung der Wolke auch direkt zu beobachten. Nach dem Vulkanausbruch am Mittwoch habe das VAAC am Freitag auch Forscher in die Luft geschickt, damit sie Proben von Partikeln in verschiedenen Teilen der Aschewolke nehmen. Die Auswertung dieser Daten habe ebenfalls Anlass zur Warnung gegeben.

Für Vulkanasche im Luftraum über Kontinentaleuropa und Afrika ist dagegen die VAAC im französischen Toulouse zuständig. Ungefähr hundert Langstreckenflüge seien seit den 1980er Jahren durch Vulkanasche in Probleme geraten, erklären die Franzosen. Somit sei Vorsicht geraten.

Warum können Flugzeuge nicht tiefer fliegen?

In den bisher grundsätzlich als ungefährlich eingestuften Flughöhen bis 3000 Meter lässt sich ein geordneter Luftverkehr nicht bewerkstelligen. Einmal wird wegen der Dichte des Flugbetriebs über Europa mehr Luftraum benötigt, um alle Flugzeuge in sicherem Abstand voneinander fliegen zu lassen. Außerdem verbrauchen die Flugzeuge in geringerer Höhe weitaus mehr Treibstoff, was die Reichweite der Maschinen deutlich reduziert. So musste am Samstag ein Airbus A 321 der russischen Ural Airlines, der sich auf dem Flug von Moskau nach Rom befand, auf dem gesperrten Flughafen Wien landen, weil ihm das Kerosin auszugehen drohte. Die Piloten waren wegen der Asche niedriger als üblich geflogen.

Welche Rechte haben Verbraucher in dieser Situation?

Der Vulkanausbruch gilt als „höhere Gewalt“, deshalb können Passagiere, die vom Flugverbot betroffen sind, nicht mit Schadenersatz rechnen. Sie können jedoch kostenlos auf einen anderen Flug umbuchen oder stornieren. Bei einer Stornierung können die Kunden ihr Geld für den ausgefallenen Flug zurückverlangen – entweder von der Fluggesellschaft oder vom Reisebüro. Wer schon an einem Flughafen festsitzt, hat Anspruch auf Betreuungsleistungen. „Airlines, die von einem europäischen Flughafen abfliegen, oder ihren Sitz in Europa haben, müssen sich um ihre Reisenden kümmern“, sagt Sabine Fischer, Reiserechtsexpertin der Verbraucherzentrale Brandenburg. Bei Verspätungen ab zwei Stunden haben Fluggäste laut EU-Verordnung Anspruch auf Telefonate, Getränke, Mahlzeiten und gegebenenfalls eine Hotelübernachtung. Wer fünf Stunden wartet, kann eine Erstattung des Flugpreises verlangen. Die Fluggesellschaft muss zudem für die ausgefallen Flüge eine Ersatzbeförderung organisieren. Eine Pauschalreise kann wegen der Sperrung des Luftraums nur storniert werden, wenn sie sich durch die Verzögerung nicht mehr lohnt. Verschiebt sich der Abflug bei längeren Reisen nur um wenige Tage, kann der Reisepreis anteilig gemindert werden.

Wird das Nachtflugverbot zeitweilig aufgehoben?

Am Wochenende konnten die Anwohner in Tegel und Schönefeld die Ruhe am Himmel sogar tagsüber genießen. Ob der Krach auch in der Nacht zurückkommt, sobald der Flugverkehr wieder aufgenommen wird, ist in Berlin noch nicht entschieden. Während in Schönefeld bis zur Inbetriebnahme des neuen Flughafens als leise eingestufte Maschinen ununterbrochen starten und landen dürfen, gilt in Tegel von 23 Uhr bis 6 Uhr ein Nachtflugverbot. Verspätete Maschinen dürfen auch bis 24 Uhr noch landen; danach ist eine Sondergenehmigung erforderlich, die Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) erteilen muss. Als nach dem ersten Flugverbot in der Nacht zu Freitag der Betrieb nochmals kurzfristig aufgenommen werden durfte, wurden Starts und Landungen bis 2 Uhr erlaubt. Einen Antrag auf weitere Nachtflüge hat die Flughafengesellschaft noch nicht gestellt. Man stehe aber in engem Kontakt mit der Genehmigungsbehörde, sagte Sprecher Leif Erichsen. Auch in anderen Bundesländern wird eine Aufhebung diskutiert.

Wie gefährlich ist die Vulkanasche für die Gesundheit?

Die meisten Fachleute sehen in der Vulkanstaubwolke derzeit keine Gesundheitsgefahr für Bewohner des europäischen Festlands. Dazu ist die Konzentration der Staubteilchen viel zu gering. Die Vulkanasche besteht zum größten Teil aus feinen Glaspartikeln, die als ungiftig und harmlos gelten, wenn man nicht größere Mengen einatmet. Lediglich in der direkten Nachbarschaft des Vulkans könne man von einem gewissen Risiko sprechen, sagte der Toxikologe Ken Donaldson von der Universität von Edinburgh.

Er nehme an, dass die Vulkanasche „zu keinen Reaktionen in der Lunge“ führen werde, sagte Karl-Christian Bergmann, Atemwegsexperte an der Berliner Charité. Auch vorbelastete Asthmatiker bräuchten sich nicht zu sorgen: „Von der jetzigen Aschewolke geht keine Gesundheitsgefahr aus, sie wird erst dann gefährlich, wenn der Staub in viel größeren Mengen sinkt“, sagte Bergmann gegenüber „stern.de“. Das könnte laut Deutschem Wetterdienst von Dienstag an passieren, weil dann ein Tiefdruckgebiet das Wetter bestimmt, dessen Strömung aus Island kommt. Sollte der Vulkan also weiter Asche in die Luft spucken, könnte diese sich mit den Wolken mischen und mit den Tropfen abregnen. Die Asche würde so aus der Luft ausgewaschen.

Warnungen der Weltgesundheitsorganisation, Europäer sollten unter Umständen in geschlossenen Räumen bleiben oder Atemmasken tragen, bezeichneten Experten als „hysterisch“ und überzogen. Kurzzeitig könnten gerötete oder tränende Augen, eine juckende Nase und trockener Husten auftreten.

Wie aktiv ist der Vulkan noch?

Der Eyjafjalla stößt unverändert Rauch und Asche in die Atmosphäre. Wie das Ministerium für Zivilschutz in Reykjavik am Sonntag mitteilte, treiben Winde die Wolke in etwa acht Kilometer Höhe auf den europäischen Kontinent zu. Eine Sprecherin gab an, dass der Anteil der für die Luftfahrt gefährlichen Asche am Sonntag weniger hoch gewesen sei als am Vortag. Grundlegende Änderungen seien aber nicht eingetreten. „Die Prognosen für die nächsten Tage sehen ebenfalls nicht so gut aus“, sagte sie. Auch die Messungen seismischer Aktivitäten im Gebiet um den Gletscher seien nicht beruhigend.

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