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Panorama: Auf den Schock folgt die Freude - das erste Jahr verläuft für die Eltern chaotisch

"Gratulation, Sie bekommen Zwillinge." Diese Nachricht ist für viele betroffene Schwangere im ersten Moment ein Schock.

"Gratulation, Sie bekommen Zwillinge." Diese Nachricht ist für viele betroffene Schwangere im ersten Moment ein Schock. Sofort kreisen die Gedanken um den passenden Kinderwagen, ein größeres Auto oder eine größere Wohnung. Erst später kommt dann die Freude über die bevorstehende Geburt von Zwillingen, die eben etwas ganz Besonderes zu werden verspricht.

Obwohl in Deutschland die Zahl der jährlichen Zwillingsgeburten seit den siebziger Jahren kontinuierlich von 7186 auf 11465 gestiegen ist, sind natürliche Mehrlingsgeburten nach wie vor eine Seltenheit: Die Chance, Zwillinge zu bekommen, liegt in Deutschland und dem restlichen Europa bei etwa eins zu 100, die Chance auf eineiige Zwillinge liegt weltweit sogar nur bei drei zu 1000.

Doch nicht nur die Geburt, sondern vor allem die Zwillinge selbst sind etwas Besonderes, weiß Zwillingsmutter Angelika Sachwitz aus eigener Erfahrung zu berichten: "Es ist wirklich unglaublich, wie gleich sich unsere eineiigen Zwillinge verhalten. Sie bewegen sich gleich, erlernen und verwenden beide den gleichen Wortschatz und es braucht immer einer die Nähe des anderen."

Doch auch für sie kam die Diagnose überraschend. "Die Nachricht, wir würden gleich zwei Kinder auf einmal bekommen, war für mich ein totaler Schock", erinnert sie sich.

Doch das habe sich schnell geändert und auch ihr Mann sei begeistert gewesen über den bevorstehenden Familienzuwachs. "Von Bekannten haben wir in dieser Zeit viel Negatives über Mehrlingsgeburten gehört, das hörte sich alles ganz schrecklich an", so Angelika Sachwitz, die deshalb anderen Schwangeren rät, sich gar nicht so ausführlich zu informieren, sondern sich vielmehr auf die Geburt zu freuen.

"Das erste Jahr nach der Geburt gestaltete sich dann trotz guter Vorbereitung etwas chaotisch", lacht die Mutter von inzwischen fünf Kindern, "denn Zwillinge fordern eben auch doppelt soviel Zeit." Seitdem rechne sie in ganz anderen Zeitdimensionen: "Bis alle fünf Kinder angezogen sind und im Auto sitzen, vergeht in der Regel eine Stunde." Dennoch bereiten ihr die zweijährigen Zwillinge jeden Tag soviel Spaß, dass die Belastungen in den Hintergrund treten, oder kurz: "Zwillinge sind etwas Wunderbares".

Das hofft auch Elfe Stütz, die im Herbst Zwillinge erwartet. Eigentlich habe sie ja nur ein Kind gewollt, deshalb kam die Diagnose in der achten Woche etwas überraschend, aber "ich gehe die Sache ganz positiv an". Dass bei einer Mehrlingsschwangerschaft die werdende Mutter besonders intensiv überwacht wird, kann sie nur bestätigen.

Der Grund hierfür liegt im erhöhten Risiko, das eine Mehrlingsgeburt mit sich bringt. So kommt beispielsweise jedes dritte Pärchen als Frühgeburt - noch vor der 37. Schwangerschaftswoche - zur Welt. Deshalb sollten sich Zwillingsmütter während der Schwangerschaft besonders schonen und sich schon einmal mit der Wahl der richtigen Klinik auseinandersetzen, so der Rat vieler Gynäkologen. Bei Zwillingsgeburten empfehle sich eine gut ausgestattete Klinik zu wählen, die über moderne Technik und eine Neugeborenen-Intensiv-Station verfügt, für den Fall, dass eine intensivmedizinische Betreuung durch eine Frühgeburt notwendig werden sollte.

Ob Zwillingsschwangerschaften beschwerlicher sind als andere, kann nicht pauschal gesagt werden. Sehr wahrscheinlich ist hingegen, dass die Bewegungen der Kinder früher zu spüren sind, denn Zwillinge haben weniger Platz zum Strampeln. "Ich habe meine beiden in der 14. Woche zum ersten Mal gespürt", erinnert sich Elfe Stütz und streichelt sanft über ihren Bauch.

Seitdem kann sie auch jeden Zwilling charakterisieren: "Der Linke ist lebhafter und schreckhafter. Das merke ich beispielsweise, wenn der Wecker klingelt oder eine Tür zufällt." Sie sei schon jetzt gespannt darauf, ob sich Zwillinge tatsächlich so parallel entwickeln, wie die Forschung es seit vielen Jahren beobachtet. Demnach verläuft die menschliche Entwicklung in Schüben, die bei eineiigen Zwillingen zur selben Zeit stattfinden. Dass dem so ist, können die zwanzigjährigen Zwillinge Mareen und Madlen Sorban nur bestätigen. "Wir hatten schon immer die gleichen Interessen, ob zu Hause oder in der Schule, wo wir zum Beispiel die gleichen Kurse belegt haben", sagt Madlen. Auch in der Freizeit schlage das Zwillingsverhalten spürbar durch: "Wir haben die gleichen Vorlieben, was Musikrichtungen angeht, und den gleichen Geschmack beim Kleiderkauf."

Die typische Zwillingskleidung fanden sie bis zur zweiten Klasse keineswegs peinlich. Im Gegenteil: Sie sei nicht wegzudenken gewesen, erinnern sich die beiden, die nicht nur mit den gleichen Röcken ausgestattet wurden, sondern auch die gleiche Frisur verpasst bekamen. "Wenn es zum Fotografen ging, war es ohnehin ein Muss, als Zwillinge aufzutreten." Insgesamt sehen es die beiden jungen Frauen als Bereicherung, eine Zwillingsschwester zu haben, "schließlich hat jede von uns immer ihre beste Freundin dabei und wir erleben viel mehr gemeinsam als andere Geschwister".

So positiv viele Schwangere, Eltern und Zwillinge selbst mit diesem Thema umgehen, so kritisch sieht der ABC-Club, die Internationale Drillings- und Mehrlings-Initiative, den weltweiten Anstieg von Mehrlingsgeburten. "Dieser deutliche Anstieg in den letzten zehn Jahren geht vor allem auf eine medikamentöse Hormonbehandlung oder künstliche Befruchtung zur Erfüllung des Kinderwunsches zurück", macht die erste Vorsitzende, Dorothea Maekeler, deutlich.

Das Problem sei, dass heute mehr Paare ungewollt kinderlos sind als noch vor zwanzig Jahren. Diese versuchten es nun mit verschiedenen Methoden, die häufig aufgrund von "Überdosierungen" zu Mehrlingsgeburten führten. "Wir beobachten immer wieder, dass sich die Eltern nicht mit Themen auseinandersetzen wie Frühgeburt mit allen ihren Risiken, entstehende finanzielle Engpässe oder einfache praktische Alltagsüberlegungen", kritisiert Maekeler. Vor allem für Schwangere sei der ABC-Club ein Rettungsanker, denn hier können sich werdende Eltern Rat und Hilfe einholen.

Klaus Peter Betz

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