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Panorama: Auf wackligem Grund

Berlin - Experten streiten darüber, ob Erdbeben vorhersagbar sind oder nicht. Ein Italiener sorgte in der vergangenen Woche für Unbehagen unter den Seismologen.

Berlin - Experten streiten darüber, ob Erdbeben vorhersagbar sind oder nicht. Ein Italiener sorgte in der vergangenen Woche für Unbehagen unter den Seismologen. Gioacchino Giuliani will die Katastrophe vorhergesehen haben. „Italien gehört mit Griechenland zu den am meisten gefährdeten Gebieten in Europa“, sagt Rainer Kind vom Geoforschungszentrum in Potsdam. „Alle zehn bis 20 Jahre kommt es dort zu Beben dieser Stärke.“ Der Wissenschaftler sieht allerdings keinen Beweis für die Treffsicherheit derartiger Vorhersagen, wie sie Giuliani machte.

Aufgrund der Bewegung der Erdkruste wird der Untergrund um L’Aquila gedehnt. Die Gesteinspakete halten einiges an Spannung aus, wird sie jedoch zu groß, zerreißen die Schichten relativ plötzlich: Die Erde bebt.

Ursache für die Verschiebungen ist der afrikanische Kontinent, der nach Norden wandert. Aus Satellitenmessungen haben Geoforscher rekonstruiert, dass sich die afrikanische Platte mit einer Geschwindigkeit von ein bis zwei Zentimetern pro Jahr unter den eurasischen Kontinent schiebt. Die Bruchlinie zwischen den Kontinenten verläuft um die Westseite des italienischen Stiefels herum. Täglich komme es in Italien zu Erdbeben, sagt Kind. Diese seien jedoch oftmals zu schwach, um von der dort ansässigen Bevölkerung wahrgenommen zu werden oder gar Schäden anzurichten.

Die großen Beben jedoch bleiben rätselhaft. Indem Geoforscher analysieren, wie häufig und wie heftig die Erde in der Vergangenheit bebte, können sie berechnen, wie groß die gegenwärtige Wahrscheinlichkeit für solche Katastrophen ist. Etwa, dass das Risiko für ein schweres Beben in Istanbul binnen der nächsten 30 Jahre bei gut 60 Prozent liegt, während es in Berlin nahezu null ist. An welchem Tag oder gar zu welcher Uhrzeit es zu den Erschütterungen kommt, können die Wissenschaftler aber noch immer nicht vorhersagen.

Daran ändert auch die Aufregung um Giuliani nichts, der bereits Ende März vor einem Beben in den Abruzzen gewarnt hatte. Der italienische Forscher hatte verstärkte Ausdünstungen des Gases Radon aus dem Untergrund gemessen, was er als Vorzeichen eines Bebens interpretierte. „Ein Zusammenhang ist nicht ausgeschlossen, aber auch nicht bewiesen“, kommentiert Kind.

Radon bildet sich beim Zerfall radioaktiver Elemente in der Erdkruste. Wenn vor einem Beben winzige Spalten geöffnet werden, können größere Mengen des Gases an die Oberfläche strömen. „Aber den Mikrorissen muss nicht zwangsläufig ein heftiges Beben folgen“, sagt Kind. „Es kann auch alles ruhig bleiben.“ Was einer Warnung wie der Giulianis aber in jedem Falle folgt, ist Panik. „Deshalb wollten die Behörden gegen ihn vorgehen“, sagt Kind. „So ganz hat seine Prognose ja auch nicht gestimmt: Er hatte von wenigen Stunden gesprochen, am Ende waren es mehrere Tage.“ Um zu demonstrieren, dass das Verfahren wirklich funktioniert, müsse es auch andere Beben vorhersagen. „Der Beweis steht noch aus“, sagt Kind.

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