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Panorama: Aufregung in Wellen

Sie belauern sich wie Raubtiere. Seit Tagen geht das schon so.

Sie belauern sich wie Raubtiere. Seit Tagen geht das schon so. Beinahe stündlich gibt es einen Führungswechsel. Dann gelingt es einer Yacht, den spärlichen Wind ein bisschen geschickter zu nutzen und sich an den Kontrahenten vorbeizuschieben. Doch absetzen kann sie sich nicht. Sofort setzt auf den anderen Booten ein hektisches Treiben ein, Segel werden gewechselt, ein neuer Kurs ausprobiert. Die Freiwache, die eigentlich schlafen darf, wuchtet den ganzen Ballast auf und unter Deck von einer Seite zur anderen. Das zehrt an den Nerven jedes Seglers, auch wenn er ausgeruht ist und abends eine Dusche nehmen kann.

Doch die Besatzungen der Volvo Ocean Racer haben bereits einen ermüdenden Ritt durch den südlichen Indischen Ozean hinter sich und noch etwa 1600 Seemeilen bis Sydney vor sich. Seitdem sie vor 18 Tagen in Kapstadt gestartet sind, trägt kein Segler mehr trockene Kleidung am Leib, die Gelenke sind wund gescheuert, die Muskeln durch die auch psychische Anspannung keinen Augenblick zur Ruhe gekommen.

Es ist normal, dass Segelprofis sich selbst und dem Material nichts schenken. Aber dass gleich fünf Rennteilnehmer nach mehr als 4800 Seemeilen in Sichtweite voneinander um Positionen kämpfen, ist äußerst ungewöhnlich - und demonstriert, wie eng die Leistungsbreite bei einer der härtesten Segelregatten der Welt geworden ist. Es sei "ein Matchrace mit fünf Booten", witzeln die Skipper, die sich in den noch verbleibenden 1500 Meilen mehr denn je durch taktische Winkelzüge auszustechen versuchen. So ist die deutsche "Illbruck", kurz nachdem sie Eclipse Island an der Süwestküste Australiens umrundet hat, nach Süden ausgebrochen. Die meisten anderen Yachten haben eine nördlichere Route gewählt und fallen derzeit etwas zurück. Nur die schwedische "SEB" liegt etwa zehn Meilen voraus.

Die zweite Etappe des Volvo Ocean Race von Kapstadt nach Sydney gilt als eine von zwei Königsetappen, die durch das berüchtigte Südpolarmeer führen. Schon drei Tage nach dem Start wurden erste Eisberge gesichtet. Die meiste Zeit über jagte das Feld jenen stürmischen Tiedruckgebieten hinterher, die auf der südlichen Erdkugel um den Globus rasen. Dabei wurden Spitzengeschwindigkeiten von fast 35 Knoten (das sind 65 Stundenkilometer) erreicht: "Blast reaching nennen wir das", schreibt Richard Clark von der "Illbruck", die anfänglich wegen einer defekten Verschlussklappe am Bug zurückgefallen war. "Blast meint, dass du ständig wie mit einem Hochdruckreiniger oder einem Wasserwerfer besprüht wirst. Der Southern Ocean kann ein hässlicher, wirklich bösartiger Ort sein. Gestern, als ich in diesen abscheulichen Bedingungen gesteuert habe, war ich froh, die Hälfte der Zeit überhaupt meine Augen öffnen zu können." Die Boote surfen enorme Wellenberge hinab, während Wassermassen über das flache, schutzlose Deck schießen und es furchtbar kalt ist. Dennoch erleben Crews solche Momente wie im Rausch, johlen und schreien vor Glück - und glauben sich in ihrem Kampf allein. Um so erstaunter war man am 10. Renntag auf der "Assa Abloy", als die "Illbruck" in der Nacht nur wenige Meter achteraus durch das Heckwasser kreuzte.

Kaum eines der 60-Fuß-Schiffe ist nach diesen Bedingungen noch heil. Überall leckt Wasser durch, die Ruderanlagen sind verbeult und die Windmesser weggeflogen. So gab die "Tyco" wegen eines Ruderbruchs auf, ein Crewmitglied der "Amor Sports One" musste mit Verdacht auf Darmverschluss ins Krankenhaus gebracht werden und auch der "SEB"-Navigator Marcel van Triest ging vor Eclipse Island von Bord, um wegen eines Trauerfalls nach Hause zu fliegen. Obwohl das schwedische Team seither in Führung liegt, ist der Verlust des Cheftaktikers eine bittere Hypothek. Denn in den schwachwindigen Küstengewässern Australiens sind die prophetischen Fähigkeiten der Navigatoren gefragter denn je.

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