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Nominiert: Die Inderin Sunitha Krishnan (l.) kämpft gegen sexuelle Ausbeutung.

© Aurora

Aurora-Preis zur Förderung von Menschlichkeit: Retter in der Not

Mit dem Aurora Preis werden Menschen geehrt, die den Schwächsten der Schwachen helfen. Am Sonntag wird die Auszeichnung zum dritten Mal in Armenien vergeben.

Sunitha Krishnan war 15 Jahre alt, als acht Männer über sie herfielen und brutal vergewaltigten. Mit Glück überlebte sie – musste dann aber erleben, dass ihre eigene Familie ihr die Schuld an dem Verbrechen gab und ihre Gemeinschaft sie ausstieß.

Doch die junge Inderin gab nicht auf, im Gegenteil. Sie beschloss, ihr Leben dem Kampf gegen sexuelle Ausbeutung und Menschenhandel zu widmen, erwarb einen Abschluss in Sozialarbeit und gründete 1996 die Organisation „Prajwala“, die bis heute rund 18.000 Frauen und Kinder aus sexueller Ausbeutung gerettet hat.

„Ich habe gelernt, das Leid als Quelle der Kraft zu sehen“, sagt Sunitha Krishnan heute. Die Kraft der 46-Jährigen mit dem freundlichen Lächeln und der silbernen Nickelbrille muss schier übermenschlich sein. „Prajwala“, die ihren Sitz im südindischen Hyderabad hat, ist eine der weltweit größten zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sexuell ausgebeuteten Frauen und Kindern hilft.

Zurück in ein normales Leben

Und die Zahl der Opfer ist riesig. Laut den Schätzungen der Organisation sind allein in Indien 18 Millionen Frauen und Kinder davon betroffen, 200.000 werden jedes Jahr in die Prostitution gezwungen, darunter 65.000 Kinder unter 15 Jahren. „Prajwala“ bietet den Opfern rechtliche, medizinische und psychologische Hilfe, unterstützt sie bei der Wiedereingliederung in ein normales Leben.

Für ihr Engagement wird Sunitha Krishnan an diesem Wochenende geehrt: Sie ist, zusammen mit dem Rohingya-Anführer U Kyaw Hla Aung und dem Franziskanermönch Héctor Tomás González Castillo, für den diesjährigen Aurora-Preis nominiert. Der „humanitäre Nobelpreis“ wird am Sonntag in der armenischen Hauptstadt Eriwan verliehen und ist mit 1,1 Millionen Euro dotiert.

Von dieser Summe erhält der oder die Preisträgerin allerdings nur 100.000 Euro. Das restliche Geld wird er oder sie an andere Organisationen weitergeben, die für ähnliche Zwecke arbeiten. Die beiden Finalisten, die nicht zum Hauptpreisträger gekürt werden, erhalten jeweils 100.000 Euro für ihre Arbeit.

Prominent besetze Auswahlkommission

Der Auswahlkommission unter dem Ko-Vorsitz des Oscarpreisträgers und Schauspielers George Clooney gehören unter anderem die drei Friedensnobelpreisträger Oscar Arias, Shirin Ebadi und Leymah Gbowee, die ehemalige Präsidentin Irlands Mary Robinson, der Gründer von Ärzte ohne Grenzen Bernard Kouchner und die ehemalige Botschafterin der USA bei den Vereinten Nationen Samantha Power an. Die Kommission wählte die drei Finalisten aus rund 750 eingegangenen Nominierungen und 509 Kandidaten aus 115 Ländern aus.

Preisgeld, das man weitergibt: Das passt zu der Grundidee der Aurora Humanitarian Initiative, die von drei Philanthropen mit armenischen Wurzeln ins Leben gerufen wurde. Gelebte Dankbarkeit ist das Motto. Mit der Initiative wollen die Gründer an die Menschen erinnern, die während des Genozids an den Armeniern den Verfolgten halfen.

Erinnerung an den Armenien-Genozid

„Die Armenier, die vor 100 Jahren den Völkermord durchleiden mussten, haben die universelle Fähigkeit die Schwächsten der Schwachen zu unterstützen selbst erlebt“, sagt Vartan Gregorian, Mitglied der Auswahlkommission, Präsident der Carnegie Corporation von New York und Mitbegründer der Aurora Humanitarian Initiative. „Ziel von Aurora ist es, die Risikobereitschaft und das Engagement dieser Menschen zu würdigen, indem wir den Kreislauf der Dankbarkeit und des Gebens fortsetzen.

Der Völkermord an den Armeniern dauerte von 1915 bis 1923 – bis 2023 soll der Preis vergeben werden. Im vergangenen Jahr ging die Auszeichnung an den katholischen Missionar und Arzt Tom Catena, der als einziger Chirurg in den vom Krieg verwüsteten Nuba-Bergen im Südsudan tätig ist. Den ersten Aurora-Preis 2016 erhielt Marguerite Barankitse, die Waisenkindern und Flüchtlingen in Burundi Zuflucht bietet.

Die Aurora-Finalisten stammen aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen, gemeinsam ist ihnen das Engagement für die Schwächsten der Schwachen.

Auch nominiert: U Kyaw Hla Aung aus Myanmar berät verfolgte Rohingya.
Auch nominiert: U Kyaw Hla Aung aus Myanmar berät verfolgte Rohingya.

© Aurora

Der zweite Finalist U Kyaw Hla Aung ist ein Rohingya-Muslim, der zwölf Jahre im Gefängnis verbrachte, weil er friedlich gegen die Diskriminierung und Gewalt gegenüber den Rohingya protestierte.

Heute setzt der Rechtsanwalt in Myanmar seine Sachkenntnis dafür ein, um für Gleichberechtigung und Menschenrechte für seine Gemeinschaft zu kämpfen. Für ihn ist Bildung der Schlüssel, um den Kreislauf des Missbrauchs zu durchbrechen.

„Die Behörden haben versucht, alle Muslime zu Analphabeten zu machen, damit sie noch ärmer werden“ sagt U Kyaw Hla Aung. „Es ist ihre Politik, den Menschen Bildung zu verweigern, damit sie ungebildeten Muslimen vorwerfen können, Einwanderer aus Bangladesch zu sein. Ohne Bildung haben die Menschen Angst, ihre Rechte einzufordern.“

Ebenfalls nominiert: Der Mexikaner Héctor Tomás González Castillo (r.o.) kümmert sich um Migranten.
Ebenfalls nominiert: Der Mexikaner Héctor Tomás González Castillo (r.o.) kümmert sich um Migranten.

© Aurora

Der dritte Nominierte, Héctor Tomás González Castillo, ist ein Franziskanermönch, der in Mexiko einen Zufluchtsort für Migranten geschaffen hat. Die Herberge heißt „La 72“ in Gedenken an 72 Migranten, die 2011 auf ihrer Reise durch Mexiko entführt, gefoltert und massakriert wurden. In „La 72“ erhalten Migranten Verpflegung, Wasser und Beratung. Jeden Tag heißt die Herberge 70 bis 80 Neuankömmlinge willkommen, darunter viele Frauen, die in ihren Heimatländern oder unterwegs vergewaltigt wurden. „La 72“ ist die erste Einrichtung, die sich auf Hilfe für LGBTMenschen spezialisiert hat. „Natürlich sind alle, die bei uns ankommen, schutzbedürftig“, sagt Pater Castillo. „Einige sind jedoch besonders schutzbedürftig, und das sind die Menschen aus der LGBTGemeinschaft.“

Ob Mexiko, Myanmar oder Indien: Die Menschenrechtsverletzungen, gegen die die Aurora Humanitarian Inititative ein Zeichen setzt, sind global. Sunitha Krishnan betrachtet ihre Arbeit als eine Anstrengung, die weit über die Grenzen Indiens hinausreicht. Ich bin hier, um zu zeigen, was in Indien geschieht, und der ganzen Welt begreiflich zu machen, dass keine Form von Sexualverbrechen an Frauen und Kindern toleriert werden darf.“

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