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Panorama: Aus Liebe

Die deutsche Ordensärztin Ruth Pfau betreibt in Pakistan die renommierteste Lepraklinik der Welt

Von Julia Rehder

Manche Menschen müssen sich nicht entscheiden. Die Dinge passieren, weil sie passieren sollen. Bei Ruth Pfau war es so.

Eigentlich war Pakistan als kurzer Zwischenstopp eingeplant. Die Reise der damals 31-jährigen Medizinerin, die drei Jahre zuvor einer katholischen Ordensgemeinschaft beigetreten war, sollte sie weiter nach Indien führen. Dort wollte sie als Frauenärztin arbeiten. In Pakistan machte sie Halt, um Visaprobleme zu klären. Die pakistanische Hafenstadt Karatschi erschien ihr zunächst auch alles andere als einladend. „Nichts wie weg hier", war ihr erster Gedanke. Doch dann geschah etwas, das die 73-Jährige in ihrer Autobiographie „Verrückter kann man gar nicht leben" mit folgenden Worten beschreibt: „Es war, wie wenn man seine große Liebe trifft." Und eine große Liebe, davon ist die zierliche Dame mit den hellgrauen Haaren überzeugt, trifft man eben nur ein Mal im Leben. Als Ruth Pfau die Ghettos mit den Leprakranken zu Gesicht bekam und merkte, dass die Menschen wie Aussätzige behandelt wurden und bei höllischem Gestank zwischen Ratten und Abfall vor sich hin vegetierten, wußte sie: „Hier werde ich gebraucht." Ruth Pfau blieb.

Inzwischen sind 42 Jahre vergangen. Die Ordensfrau ist das dritte Mal auf Deutschlandtour, um für Unterstützung für ihre Arbeit für das Deutsche Aussätzigen Hilfswerk e.V (DAHW) zu werben. Sie hat Tausenden von Menschen wieder Hoffnung gegeben und zu einem normalen Leben in der Gesellschaft verholfen. Gemeinsam mit ihren zahlreichen Helfern erfasste sie bisher 50 000 Leprakranke. In jahrelanger Arbeit ist es ihr gelungen, für lepra- und später auch für tuberkulosekranke Menschen in Pakistan ein flächendeckendes Betreuungsnetz aufzubauen. Im Herzen Karatschis steht heute das „Marie Adelaide" Leprazentrum mit integriertem Ausbildungszentrum. Es gilt als renommierteste Lepraklinik der Welt. Für ihren unerbitterlichen Einsatz wurde sie unter anderem mit dem großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. In Pakistan genießt sie den Rang einer Staatssekretärin. Nur, dass sie auf die damit verbundenen Vergünstigungen – einen schicken Dienstwagen und das Recht, in der Öffentlichkeit eine Waffe zu tragen – gerne verzichtet.

Angst vor Terror

Wenn sie ihre Erlebnisse schildert, bedient sie sich einer Tonlage, in der andere die Handlung eines durchschnittlichen Kinofilms wiedergeben. Einen, den man sieht und ein paar Wochen später schon wieder vergessen hat. Nicht, dass Ruth Pfau vergisst. Im Gegenteil. Doch es ist nicht ihre Art, viel Aufsehen zu machen.

Ihr Gesicht erzählt die Erlebnisse viel nachhaltiger. Manche Erfahrungen haben sich tief in ihre Haut gegraben. Wenn sie erzählt, glänzen ihre Augen nicht, wie man es bei so viel Engagement eigentlich erwarten würde. Doch die Ordensfrau weiß, worauf es ankommt. „Ich habe gelernt, instrumentell verfügbar zu sein", sagt sie sich auf ihrer Deutschlandtour und verzieht dabei keine Miene. Emotional zu sehr involviert zu sein, wäre für sie nur hinderlich. Denn das Leid ist allgegenwärtig und sich jedes Mal zu verausgaben, würde sie in ihrer Aufgabe bremsen.

Doch manchmal weiß auch Ruth Pfau nicht mehr weiter und wird kurzzeitig von ihren Gefühlen übermannt. Etwa als sie vom 25. September erzählt. Dem Übergriff auf Karatschi, dem fünften Anschlag gegen christliche Einrichtungen seit Herbst vergangenen Jahres. „Ich habe sechs mir sehr nahe Menschen verloren", erzählt sie und versucht, ihre Tränen aufzuhalten. Als sie davon erfuhr, war sie in Hamburg bei der Johannes B. Kerner-Show und hätte sich am liebsten sofort ein Ticket gekauft, um zurückzufliegen. Ihr Auftritt im Fernsehen kam ihr plötzlich so irrsinnig vor. „Keiner weiß, wann der nächste Anschlag droht", sagt die Christin, die im Alltag keine Ordenstracht trägt und auch sonst nicht viel Aufsehen um ihren Glauben macht. Als Mutter Theresa sieht sie sich schon gar nicht. In der Johannes B. Kerner-Show sagt sie sogar, dass sie wahrscheinlich nicht gut mit ihr hätte zusammenarbeiten können. Fragt man sie nach Gott, antwortet sie zunächst lakonisch: „Ich weiß auch nicht, wo er ist", um dann zu schildern, wie er ihr jeden Tag in den Kranken begegnet.

Was ihr Angst macht, ist der Terror. Für sie ist er das Problem des 21. Jahrhunderts. „Davor kann man sich nicht schützen." Gegen Ungerechtigkeit dagegen schon. Das hat die gebürtige Leipzigerin, die nach dem Krieg über die grüne Grenze in den Westen ging, um in Mainz Medizin zu studieren, ihr Leben lang bewiesen. Ungerechtigkeit war auch ihre Hauptantriebsfeder, als sie vor 42 Jahren ihre Arbeit begann. Die Leprakrankheit an sich war nicht das Schlimmste. Schlimmer noch empfand sie die soziale Ausgrenzung. Richtig wütend wurde Ruth Pfau, als sie erkannte, dass die Kranken ihr Schicksal als gottgewollt ansahen und sich nicht wehrten. Wenn sie von Saskia erzählt, die 20 Jahre bis zur Unkenntlichkeit entstellt in einem Stall siechte, weil ihre Eltern sie als Schande der Familie ansahen, spürt man noch heute wie in ihr der Zorn aufsteigt. Als nach dem Eingreifen der Amerikaner in Afghanistan die Flüchtlingswelle in Richtung Pakistan rollte und die Lager überfüllt waren, war Ruth Pfau schockiert, dass sie keine Frauen und Kinder sah. „Die Männer hatten sie einfach zurückgelassen." Als das Deutsche Aussätzigen Hilfswerk (DAHW) in Würzburg sie vergangenen Herbst wegen der Unruhen in Pakistan zurückholen wollte, lehnte sie dankend ab. Es sei in einer schwierigen Phase leichter "dabei zu sein", als sich aus der Ferne Sorgen zu machen.

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