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Langes Verfahren. Das Bundesverfassungsgericht hatte der Klägerin das Erbrecht verweigert. Die zog daraufhin in Straßburg vor Gericht.

© Jens Büttner / picture alliance / dpa

Ausschluss vom Nachlass: Auch uneheliche Kriegskinder haben ein Recht auf ihr Erbe

Trotz Trennung vom Vater darf eine Frau Vermögensanteile haben, sagt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte - entgegen der deutschen Justiz

Erben und vererben ist ein heikles Thema, nicht nur für Betroffene, sondern auch für den Staat. Die Regelungen sollen Erblassern Möglichkeiten geben, ihr Vermögen nach eigenem Willen weiterzugeben. Zugleich soll es gerecht zugehen, mit Rücksicht auf familiäre Bande und gesellschaftlichen Frieden. Aber was sind familiäre Bande? Die Auffassungen darüber unterliegen dem Wandel.

Dass mal gerecht war, was heute ungerecht wirkt, zeigt der Fall von Gertraud Mitzinger, die heute weit über 70 Jahre alt ist und in Bayreuth lebt. Erst vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (EGMR) hat sie am Donnerstag recht bekommen (Az.: 29762/10). Ihr war das Erbe ihrer Vaters verweigert worden, obwohl sie seine einzige Tochter ist. Der Grund: Sie wurde unehelich geboren. Früher taugte dieses Kriterium einmal für den Ausschluss von allen möglichen bürgerlichen Rechten. Heute ist anerkannt, dass es sich dabei um eine unzulässige Diskriminierung handelt. In Artikel 6 Absatz 5 des Grundgesetzes heißt es: „Unehelichen Kindern sind (...) die gleichen Bedingungen für (...) ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.“ Das steht dort seit 1949. Selbst in der Weimarer Verfassung von 1919 gab es schon einen entsprechenden Satz.

Bei Gertrude Mitzinger kommt noch etwas hinzu: Sie war ein Kind der deutschen Teilung. Geboren 1940 lebte sie zunächst mit ihrer Mutter in der DDR, während ihr leiblicher Vater im Westen wohnte. Trotzdem hatte sie eine feste Bindung zu ihrem Erzeuger. Er erkannte seine Vaterschaft an, als die Tochter elf Jahre alt war. Beide standen regelmäßig in Kontakt, und nachdem Mitzinger mit eigener Tochter und Ehemann nach Bayern ausreisen konnte, besuchte sie diesen auch wiederkehrend bis zu dessen Tod im Jahr 2009.

Unmittelbar danach meldete sie bei den Gerichten den Anspruch an, den Nachlass verwalten zu dürfen. Auch weil die Frau ihres Vaters unter Demenz litt. Doch die Gerichte wiesen sie ab. Sie fiel unter eine Stichtagsregelung des Gesetzgebers, die nichteheliche Kinder vom Erbe ausschloss. Da Mitzinger vor dem 1. Juli 1949 geboren wurde, habe sie weder Anspruch auf das Erbe noch auf finanzielle Entschädigung. Auch Kopien oder andere Dokumente über den Nachlass dürfe sie nicht erhalten. Mitzinger klagte sich erfolglos durch die bayerischen Instanzen und scheiterte auch vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Denn die Verfassungsrichter hatten bereits im Dezember 1976 in einem Grundsatzurteil die umstrittene Stichtagsregelung für verfassungskonform erklärt. Ziel sei es, den rechtmäßigen Erben Rechtssicherheit zu verschaffen, begründeten die Richter den Ausschluss. Zudem seien die wissenschaftlichen Methoden zur Feststellung einer Vaterschaft vor diesem Stichtag unzureichend gewesen.

Diese Regelung sei diskriminierend und verletze außerdem das Grundrecht auf Schutz des Familienlebens, stellten dagegen jetzt die sieben Richter einer kleinen Kammer des EGMR einstimmig fest. Der Straßburger Gerichtshof rügte den vollkommenen Ausschluss der Klägerin vom Erbe des Vaters als „unverhältnismäßig“. Im vorliegenden Fall habe zudem die Frau des Vaters von der Existenz der unehelichen Tochter gewusst. Insofern sei ein Teilen des Erbes zumutbar. Zudem gebe es in Europa eine „klare Tendenz“, jegliche Diskriminierung von nichtehelichen Kindern im Erbrecht zu beseitigen. Über ein Schmerzensgeld für die Klägerin wird der Gerichtshof später entscheiden. Gegen das Urteil der kleinen Kammer kann die Bundesrepublik binnen drei Monaten Rechtsmittel einlegen. Der Gerichtshof kann den Fall dann an die 17 Richter der Großen Kammer verweisen – er muss dies aber nicht tun.

Vor dem Straßburger Gericht sind noch zwei ähnliche Beschwerden anhängig, über die zu einem späteren Zeitpunkt entschieden werden soll. Sie wurden von Männern eingereicht, die 1943 unehelich geboren wurden und daher ebenfalls keinen Anspruch auf das Erbe der Väter haben. Wie viele unehelich geborene Deutsche heute wegen der umstrittenen Stichtagsregelung vom Erbe ihrer Väter ausgeschlossen sind, ist nach Angaben aus dem Bundesjustizministerium nicht bekannt. Darüber gebe es keine verlässlichen Statistiken, sagte ein Sprecher. Das Ministerium werde das Urteil eingehend prüfen und anschließend entscheiden, ob es Rechtsmittel dagegen einlegt. Die Straßburger Richter hatten die Ungleichbehandlung von ehelichen und unehelichen Kindern im deutschen Erbrecht bereits am 28. Mai 2009 gerügt. Daraufhin wurde das Erbrecht geändert – aber nur für Todesfälle nach diesem Datum.

Anwalt Felix Steinhoff, der einen der zwei weiteren Kläger vertritt, schätzt, dass zwischen 20 000 und 50 000 Leute betroffen sind. „Das sind Kinder, die während des Kriegs geboren wurden“, sagt er. „Da waren die familiären Verhältnisse ziemlich chaotisch.“ Er will, dass der Gesetzgeber die Stichtagsregelung vollständig aufhebt. „Da geht es ums Prinzip“, sagt Steinhoff. „Als mein Mandant 1943 geboren wurde, da fühlte er sich im Grunde als Kind zweiter Klasse. Das ist jetzt die letzte Mauer, die noch fallen muss.“ (mit AFP/dpa)

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