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Babyleichenfund: Ein Mädchen wurde lebend geboren

Die drei Neugeborenen, die tot in einer Tiefkühltruhe gefunden wurden, waren Mädchen. Mindestens eines davon wurde nach ersten Erkenntnissen lebend geboren. Den Anwohnern des Dörfchen Wenden-Möllmicke wäre die Nachricht einer Totgeburt lieber gewesen.

Die Ruhe ist noch lange nicht wieder eingekehrt im kleinen Dörfchen im Sauerland. Genau wie Polizei und Staatsanwaltschaft fragen sich auch die Nachbarn der fünfköpfigen Familie, warum die 44 Jahre alte Frau drei weitere Babys nach einer heimlichen Schwangerschaft und Geburt möglicherweise getötet und in der Kühltruhe versteckt hat. Doch Erklärungen für das unbeschreibliche Geschehen in der gemütlich restaurierten Fachwerkhaus-Hälfte hat keiner der schockierten Nachbarn im Ortskern des Dorfes.

"Ich habe noch immer Gänsehaut pur", sagt Irmgard Stracke nach einer schlaflosen Nacht wieder und wieder in die Kameras der Fernsehteams, die auch am Tag nach Bekanntwerden des Babyleichenfundes vor dem Haus stehen. Auch viele der anderen Nachbarn haben kaum Schlaf gefunden, "trotz Tabletten", sagt Willi Weber. Während einige Dorfbewohner versuchen, ihre Fassungslosigkeit mit Worten zu verarbeiten, winken andere ab, wenn Journalisten auf sie zukommen. Still stellt eine Nachbarin drei Kerzen auf einen Stein vor dem Grundstück - für jedes der Mädchen eine.

Bis zum Abend hatten viele im Dorf noch gehofft, dass sich der Verdacht auf ein Verbrechen nicht erhärtet. Doch dann teilte die Staatsanwaltschaft kurz mit, dass das erste von Rechtsmedizinern untersuchte neugeborene Mädchen lebend und lebensfähig zur Welt gekommen war. Am Mittwoch sollen die beiden anderen Kinder untersucht werden. Die Nachricht ließ Nachbar Willi Weber noch einmal zusammenzucken: "Wir sind jetzt auf alles gefasst. Die Nachricht, dass es eine Totgeburt war, wäre uns lieber gewesen."

Nicht voreilig verurteilen

Bereits um vier Uhr morgens war am Dienstag eine Zeitungsbotin in Möllmicke unterwegs und schob eine Zeitung in den Schacht neben der Eingangstür des Fachwerkhauses. "Es war schon ein komisches Gefühl", sagt die 45-Jährige. "Ich habe mit mir gekämpft, ob ich auch die Ausgabe mit dem Unglückshaus auf der Titelseite ausliefern soll. Aber es ist ja mein Job", sagt die Zustellerin, die selbst nur einige Straßen entfernt wohnt. "Man fragt sich, was in der Frau vorgegangen ist, welche Not sie gehabt haben muss. Man kann die Frau erstmal nicht verurteilen."

Mit einer Hacke wühlt am Vormittag eine Frau ein paar Meter entfernt in ihrem Vorgarten. Als sie am Montag von dem Fund erfuhr, habe sie alles bei Seite gelegt. "Es geht mir nicht mehr aus dem Kopf", sagt sie und zupft weiter Unkraut. "Ich versuche, mit den Händen zu arbeiten, aber der Kopf ist woanders."

Der Alltag bleibt

Während sich am Dienstagvormittag wieder Schaulustige und Journalisten vor dem Haus versammeln, ist vom nur 100 Meter entfernt liegenden Kindergarten entspanntes Lachen zu hören. "Ich glaube, die Eltern haben das von den Kindern ferngehalten, uns ist heute nichts aufgefallen“, sagt eine Erzieherin. Ein Stückchen Alltag haben sich die Möllmicker trotz des schrecklichen Geschehens noch bewahrt.

"So richtig werden wir das erst verarbeiten können, wenn der Rummel vorbei ist", sagt Willi Weber. Er schätzt, dass die funktionierende Dorfgemeinschaft ihm und seiner Frau und auch den anderen Nachbarn hilft, mit dem Geschehenen klar zu kommen. "Das ist doch anders als in einer anonymen Großstadt", sagt er. Da bleibe jeder mit seinen Gefühlen für sich allein.

Jörg Taron[dpa]

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