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Panorama: Bad Godesberg: Wonderful world (Kommentar)

Der Himmel wird schwarz über Bonn-Bad Godesberg. Hier, am Rande des hübschen Kurparks, gesäumt von der Redoute, dem Theater, Tennisplätzen und einer der letzten verbliebenen (afrikanischen) Botschaften der Ex-Hauptstadt, öffnet die Idylle all ihre Abgründe.

Der Himmel wird schwarz über Bonn-Bad Godesberg. Hier, am Rande des hübschen Kurparks, gesäumt von der Redoute, dem Theater, Tennisplätzen und einer der letzten verbliebenen (afrikanischen) Botschaften der Ex-Hauptstadt, öffnet die Idylle all ihre Abgründe. Gegenüber dem Kurpark eine Fußgängerzone und eines jener bundesdeutschen Betonkaufhäuser aus den Sechzigern, die - mit den Worten des jungen Peter Handke - noch immer "wie entsicherte Bomben" in unseren Innenstädten stehen.

Nun aber gleicht das Kaufhaus, dessen beste Kunden exotisch gewandete Diplomatenfamilien gewesen sein sollen, selbst einem Kriegs- oder Notopfer. Die riesigen Hallen sind ausgeschlachtet, Wände eingerissen, es sieht aus, als hätten im Inneren Brände und Plünderungen stattgefunden. Hertie Bad Godesberg hat für immer geschlossen. Und im düsteren Erdgeschoss heulen die Wölfe. Wölfe tatsächlich, an Ketten. Ein Theatermann vom Balkan hat das Haus zum "Hotel Europa" erklärt, jetzt treiben hier auch Russen, Litauer, Makedonier seltsame Spiele. Das alles gehört: zum Finale der Bonner Biennale, die Europas neue Dramen und Dramatiker am Rhein versammelt (vgl. den Bericht auf Seite 27).

Am nächsten Vormittag der schwarze Himmel über dem Kurpark und dem Festivalzelt. Es ist für Künstler vom Baltikum bis zur Biskaya zwei Wochen lang, tief in die Nächte hinein, zur Lobby ihres Hotels Europa geworden. Nun naht das Ende. Gebeten, mit dem russisch-deutschen Philosophen Boris Groys über "DAS NEUE" in der Kunst und im Theater zu disputieren, fällt mir ein, dass der allerneueste Dramatiker nach 1945 einen Roman mit der Bemerkung eröffnet hatte, es gebe nichts Neues unter der Sonne - was vor Beckett wohl auch schon der weise Salomo wusste. Nach anderthalb Stunden Gespräch über das Kunstneue aber hat die Natur uns wieder, und am Himmel steht die alte Sonne.

Kein Schwarz, kaum eine Wolke. Jetzt kommt die junge Belgrader Autorin Biljana Srbljanovic ins Zelt: Sie wird dort ab 15 Uhr einen Workshop junger europäischer Dramatiker leiten. Wir verabreden uns um 15 Uhr, kurz danach wartet ein Auto zum Flughafen. Um 15 Uhr ist der Himmel indes wieder schwarz, du drehst ab vom Zelt, stellst das Fluggepäck in Rufweite ab beim Theaterpförtner. Dann der Regen, ein Sturzbach, so dicht und weiß wie Schnee. Schnee im Juli? Das ist zehn Minuten später vorbei. Dann treffen alte und neue Dramatiker beim Bühnenpförtner ein: eine durchnässte, verwirrte Herde, Flüchtlinge aus dem Zelt. Ein Baum habe das Zelt getroffen, Verletzte. Und der Fahrer zum Flughafen, ein Biennale-Helfer, mahnt die Abfahrt an. Es könne Stauungen geben wegen des Unwetters.

Das Wetter ein Unwetter? Draußen das Zelt ist eingeknickt, im Kurpark haben Blitz und Sturm eingeschlagen, haushohe Bäume sind gespalten, Äste abgerissen, Büsche zerfetzt. In Minuten - als hätten Bomben eingeschlagen. Und es gibt drei Verletzte, am schwersten hat es Biljana Srbljanovic erwischt. Vor einem Jahr ging ihr Internet-Kriegstagebuch aus Belgrad um die Welt. Nun dieser Airstrike. Es ist makaber. Biljana muss ins Krankenhaus, Bluterguss am Kopf, eine Gehirnerschütterung. Am nächsten Tag aber flieht sie das Hospital und die Idylle.

Und Stunden später feiern Hunderttausende auf den Champs Eylsées. Das ist natürlich eine andere Geschichte. Dennoch, dort tobte zuletzt ein Bäume entwurzelnder Orkan: zum Ende des alten Jahrtausends, auf jenem prächtigen Boulevard, auf dem ein Menschenleben zuvor der exilierte Dramatiker Ödön von Horváth sein Leben beschloss. Bei Gewitter, von einem Ast erschlagen. Doch für Biljana Srbljanovic swingt der just heute hundertjährige Louis Armstrong, besingt die "colours of a rainbow": What a wonderful world.

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