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Panorama: Bärentatze am Hosenbund

Auf der Münchner Wiesn erleben Berliner das abgrundtief Herzige der blauweißen Seligkeit

Von Elisabeth Binder

Ja, kann man denn mehr erwarten vom Leben? Da sitzt der Bob(bi) Arnold in der Schützenfesthalle auf der Wiesn und tut Gutes. Edelweißkrawatte, Trachtenjanker und so steinreich, dass er nicht nur seinen selbstgebrannten Schnaps von Vogelbeeren und Aprikosen an liebe Gäste ausschenken und seit 22 Jahren seinen eigenen, grob gezimmerten, dafür aber sehr langen Tisch mitbringen darf, sondern auch noch Zugang zu einer Privattoilette hat. Letzteres hat die angenehme Folge, dass immer mal wieder so extrafesche und kesse Mädels wie die Doreen, die hier jeder kennt, vorbeischauen und den „lieben Bobbi“ sehr charmant nach dem Schlüssel fragen. Alle hat er sie an seinem Tisch gehabt, den Kohl den Strauß, alle, die wichtig sind halt. Außerdem besitzt er die Macht, die hübschen Kuscheltierverkäuferinnen froh zu machen, weil er so ein guter Kunde ist. Auf der Bierbank ist es richtig eng, immer wieder quetscht sich noch jemand dazu. Aber was hülfe es, allein daheim im einsamen Lehnstuhl zu sitzen?

Nebenan hat ColumbiaTriStar-Boss Jürgen Schau seine Box mit Lebkuchenherzen und Spidermen geschmückt und erzählt stolz, woher er seine speckige, kurze Lederhosn hat. Einem Schmied in Rosenheim hat sie gehört, 75 Jahre ist sie alt, und der Bobbi hat sie für ihn gefunden und ihm wie ein Erbstück überreicht. So muss es sein. An der Hose hängt eine silberne Kette mit Anhängern, einer Bärentatze zum Beispiel und einem Wal. Nur in der Seitentasche steckt kein Hirschmesser, wie es sich eigentlich gehören würde, sondern ein kleines Handy.

Die Lederhose ist aber nicht das Einzige, was Jürgen Schau an diesem Abend seinen bayerischen Freunden zeigt. Nach umzugsbedingter Wiesn-Abstinenz („Ach , das hat mir so gefehlt"), führt der Filmboss diesmal dem staunenden Oktoberfest-Volk einige lebendige Society-Exemplare aus seiner neuen Heimat Berlin vor, Isa Gräfin von Hardenberg (comme il faut im Dirndl) zum Beispiel oder Shawne Fielding. Und der Arnie (Schwarzenegger) ist auch gekommen, aber aus London. Super!

Ach was fehlt der Jürgen den Münchnern und seine schönen Partys erst! Da ist der Star-Gynäkologe und schwärmt von der großen Vergangenheit und auch der Anwalt mit der angetrauten Fernsehberühmtheit wird ganz wehmütig, wenn er an die Verluste denkt, die dieser Abgang für München bedeutet hat. Was ihn nicht davon abhält, gute Ratschläge zu verteilen („Man muss das Leben genießen"). Eine schöne Fernsehmoderatorin feuert Charmesalven ab, als stünde ihr dazu ein Wasserwerfer zur Verfügung. Und der Jürgen Schau betrachtet beglückt einen kleinen Orden mit Strauß-Abbild, ein Geschenk vom Wirt der Schützenfesthalle.

Sind schon sehr persönlich diese Münchner, sehr herzig. Wo man in Berlin draufhaut oder sich bestenfalls achtet, liebt man sich in München (oder tötet sich mit Freundlichkeit). Irgendwann kippt der Bob Arnold dem Jürgen einen Schnaps in die Hose und lacht sich fast krümelig ob des deftigen Scherzes, während in der Mitte zum zehnten Mal die Kapelle der Gemütlichkeit ein Prosit, ein Prosit darbringt und mehr als 4000 Leute auf Bänken und Tischen tanzen. Die Preußen werden mit vereinten Kräften zurechtgestutzt. Den Cherno Jobatay hat Schau erstmal Einkaufen geschickt zwecks Erwerbs einer ordentlichen Trachtenjacke, und der Gynäkologe und der Anwalt geben Nachhilfe im korrekten Halten einer Maß Bier (über den Handrücken stemmen). Als das alles ein bisschen viel wird mit den Scherzen und der Enge, schenkt der Bobbi der Fremden einen mit Herzen übersäten Plüschhund verbunden mit der aufmunternden Bemerkung „Jetzt schaust nimmer so".

Mit großem Appetit schaufeln alle beachtliche Mengen des überraschend köstlichen Essens in sich hinein, Brezeln mit Obatzer, Ente und Hendl und dann noch Apfelstrudel. Für Profi-Honoratioren wie Helmut Markwort ist das natürlich schon die dritte Wiesn-Gesellschaft an diesem Abend, und während gerade alle wie aus einer Kehle „We are the Champions" singen, möchte er so gern noch mal das Lied von vorhin hören. Auch der Focus-Chef wirkt mit, wo es darum geht, die Berliner Gäste münchenfit zu machen. Führt später, als sich die Gesellschaft noch in den Bayerischen Hof begibt, die Zugereiste, die für ihren Trachtenversuch nur Achtungskomplimente erringen konnte, zwecks Studiums von Steigerungsmöglichkeiten an den Schaufenstern von Lodenfrey vorbei.

Das renovierte Hotel finden sie wieder supertoll, erinnert an die alten Filmpartys. Lieben und Respekt zollen, das können sie hier wirklich besser als anderswo, und man muss jeden bewundern, der das zurücklässt. Als Markwort mit seinem Wiesn-Outfit durch die Smoking-Träger flaniert, öffnen sich die Reihen, starren ihm ergebene Blicke ein unsichtbares Zepter in die Hand.

Am nächsten Morgen wacht der Plüschhund mit seinen vielen Herzchen auf dem Hotelzimmertisch wie ein Bote aus einer surrealen Welt und fragt vorsichtig: „Ist das wirklich ein Land, in dem wir leben?"

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