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Auch am Tag danach drang noch immer Rauch aus dem Gebäude.

© REUTERS

Bangladesch: Brandkatastrophe sorgt für Wut auf westliche Konzerne

Das Unglück in einer Textilfabrik mit mehr als hundert Toten hat in Bangladesch Wut und Trauer ausgelöst. Schuld an den verheerenden Arbeitsbedingungen sind aus Expertensicht vor allem westliche Konzerne.

Nach dem Brand in einer Textilfabrik in Bangladesch mit mindestens 109 Toten wird die Kritik an den dort herrschenden Arbeitsbedingungen immer lauter. In der Landeshauptstadt Dhaka gingen am Montag tausende Fabrikarbeiter aus der Textilindustrie auf die Straße und forderten, die für die Katastrophe Verantwortlichen zu bestrafen. Auch aus Deutschland kommt heftige Kritik. „Die Zustände in den Fabriken in Bangladesch sind verheerend“, sagte Kathrin Hartmann dem Tagesspiegel. Die Buchautorin war im vergangenen Jahr in dem südasiatischen Land und recherchierte in der Textilindustrie. „Ein Unglück wie das vom Wochenende kann in Bangladesch jeden Tag passieren“, glaubt sie. Denn verpflichtende Brandschutzbestimmungen gebe es in den Fabriken nicht, Notausgänge seien meist von Gerümpel versperrt. „Außerdem liegen brennbare Stoffe oft in der Nähe von Feuerquellen herum“, berichtete die Expertin.

In der Unglücksfabrik vom Wochenende gab es überhaupt keine Notausgänge, alle Treppen führten ins Erdgeschoss. Weil genau dort das Feuer ausbrach, hatten viele Arbeiter keine Chance, zu entkommen. „Hätte es zumindest einen Notausgang gegeben, wäre die Zahl der Todesopfer sehr viel geringer ausgefallen”, sagte Mohammad Mahbub von der Feuerwehr Dhaka nach dem Unglück.

Entsprechend groß ist nun die Wut unter den Arbeitern aus der Bekleidungsbranche. 200 der 4500 Textilfabriken des Landes blieben am Montag geschlossen, da viele Arbeiter sich einem wütenden Protestzug im Industrieviertel Savar anschlossen. In dem Vorort Dhakas stand die abgebrannte Fabrik der Firma Tazreen Fashion, sie hatte den Opfern eine Entschädigung von umgerechnet 948 Euro angeboten. Viele Demonstranten warfen Steine und lieferten sich Scharmützel mit Polizisten und Soldaten, die die Regierung geschickt hatte.

Dass in Bangladesch überhaupt unter solch schlechten Bedingungen gearbeitet wird, ist aus Sicht der Expertin Hartmann die Schuld der westlichen Bekleidungsfirmen. Viele von ihnen lassen in großem Stil in Bangladesch produzieren. Im vergangenen Jahr wurden aus dem südasiatischen Land Textilien im Wert von 20 Milliarden Dollar verschifft,  sie machen 80 Prozent der Exporte aus.

30 Euro Lohn im Monat

„Die westlichen Firmen üben wahnsinnigen Druck auf die Fabrikbesitzer in Bangladesch aus", berichtet Hartmann. Viele Konzerne arbeiteten seit einigen Jahren nach dem Konzept der „Fast Fashion“. „Sie wechseln sehr häufig ihre Kollektionen, um ständig ein neues Sortiment zu haben.“ Dementsprechend kurzfristig forderten die Konzerne von den Textilfabriken in Bangladesch, neue Ware zu liefern. „Wer die Zeitvorgaben nicht einhält, dem droht der Verlust der Verträge.“ Die Fabrikbesitzer wiederum gäben den Druck an die Arbeiter weiter. Die meisten von ihnen, etwa 80 Prozent, sind weiblich. „Sie müssen sehr oft unangekündigte Überstunden machen, natürlich ohne Bezahlung.“ Der Druck der westlichen Konzerne verhindere außerdem, dass sich gewerkschaftliche Strukturen herausbilden könnten. Obwohl in der Textilindustrie rund zwei Millionen Menschen arbeiten, ist nur ein Bruchteil von ihnen in Gewerkschaften organisiert.

Den Druck der westlichen Firmen hat Hasan Ashraf am eigenen Leib erfahren. Für seine Promotion, die er derzeit an der Universität Heidelberg schreibt, verdingte sich der Sozialwissenschaftler vor zwei Jahren in einer Textilfabrik in der Landeshauptstadt Dhaka als einfacher Arbeiter. Er arbeitete sechs Tage die Woche, durchschnittlich 14 Stunden am Tag. Wie lang er am Abend in der Fabrik bleiben musste, das wusste er morgens noch nicht, wenn er mit der Arbeit begann. „Wir mussten bleiben, bis das Produktionsziel erreicht war“, erzählt er. Um 17 Uhr sollte Feierabend sein, doch eingehalten wurde das fast nie. Die Schichten dauerten oft bis acht oder zehn Uhr abends, vorher war es den Arbeitern verboten, die Fabrik zu verlassen. Hinzu kamen die unangekündigten Nachtschichten, für die die Arbeiter einen Zusatzlohn von umgerechnet fünfzig Cent bekamen. Sie dauerten oft bis drei Uhr in der Nacht, am nächsten Morgen ging es pünktlich um acht Uhr weiter. Am Ende des Monats hatte Ashraf 30 Euro verdient, wie die anderen Arbeiter aus der Fabrik auch.

Zum Leben reicht ein solcher Lohn nicht. „Man braucht in Dhaka 100 Euro im Monat, um einigermaßen leben zu können“, sagt der Bangladescher. Wegen der Unterbezahlung gingen die Textilarbeiter kaum zum Arzt. „Sie ignorieren einfach, dass sie krank sind.“ Die meisten von Ashrafs Kollegen wohnten in Slums und gingen zu Fuß zur Arbeit, um das Geld für den Bus zu sparen. Und sie ernährten sich von alten, teilweise verdorbenen Lebensmitteln, die man in Bangladesch zu geringen Preisen kaufen kann.

Wie viele seiner Landsleute ist auch Ashraf traurig über die Toten aus der am Wochenende abgebrannten Fabrik. Ein Einzelfall aber ist das Unglück nicht. Seit 2005 sind einer Untersuchung der „Kampagne für saubere Kleidung“ zufolge 145 Textilarbeiter bei Unfällen in bangladeschischen Fabriken gestorben. Auch der Sozialwissenschaftler sieht eine Hauptverantwortung dafür bei den westlichen Auftraggebern, die für höhere Sicherheitsstandards sorgen müssten. „Dennoch wäre es keine Lösung, die westlichen Marken nun zu boykottieren“, sagt er. „Denn dass es die Industrie in Bangladesch gibt, ist grundsätzlich sehr gut für unser Land.“  

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