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Panorama: Bessere Männer braucht das Land

Kulturkampf im Nahen Osten: Geistliche wollen den Frauen Fernsehserien verbieten

Damit hatte der Anrufer der staatlichen Radioshow „Licht auf dem Weg“ nicht gerechnet. Was die Haltung des Islam zu den „schlechten Fernsehprogrammen“ der arabischen Satellitensender sei, wollte er von Studiogast Scheich Saleh al Lihedan wissen – immerhin Chefrichter des Obersten Gerichtshofes von Saudi Arabien. Dessen Fatwa erging sofort live über den Sender: „Es ist erlaubt, die Besitzer solcher Satellitenkanäle zu töten.“ Tagelang machte der unverhohlene Mordaufruf Schlagzeilen in der arabischen Presse – zumal die meisten populären Sender saudischen Prinzen oder superreichen Geschäftsleuten der Golfstaaten gehören. Seither fürchten Fernsehgewaltige und Mitarbeiter um ihr Leben. Und die saudische Polizei wirft dem Obermufti vor, er stachele zum Terrorismus an.

Doch al Lihedan steht mit seinem Feldzug gegen „Sittenverfall und Verruchtheit“ keineswegs allein. Bereits im Sommer hatte ein saudischer Kollege, der lange als Diplomat in den USA gelebt hat, eine Fatwa erlassen gegen Olympiaübertragungen und die in der arabischen Welt gefeierte türkische Seifenoper „Noor“. Nichts mache Satan glücklicher, als weibliche Athleten in knappem Sportdress, eiferte der Gottesmann. Die jüngste Fernsehfatwa traf gar Walt Disneys Mickey Mouse. „Die Scharia fordert die Ausrottung aller Mäuse, das gilt für lebende Mäuse genauso wie für die berühmte Comic-Maus“, dekretierte der saudische Scheich Muhammed Munajid im Al-Majd-TV. „Sie alle sind Soldaten des Satans.“

So irritierend und skurril diese Vorfälle auf den ersten Blick erscheinen, sie sind Indizien für wachsende gesellschaftliche Spannungen. Denn die digitale Revolution bei Fernsehen und Internet hat in der arabischen Welt einen schleichenden Kulturkampf ausgelöst zwischen dem Moraldiktat der traditionellen religiösen Machthaber und den Lebenseinstellungen junger Medienkonsumenten. Praktisch jeder Haushalt hat heute eine Satellitenschüssel auf dem Dach. Das Spektrum reicht von steifen islamischen Predigtserien und Sexkanälen über moderne Nachrichtensender wie Al Jazeera bis hin zu Familienprogrammen mit Spielfilmen, Quizshows und allen Arten von Seifenopern.

„Man kann den heutigen Zuschauer nicht wieder zurück in die Kiste sperren, und das finden die konservativen Autoritäten bedrohlich“, erläutert ein arabischer Fernsehproduzent in Beirut. „Eine neue Generation wächst heran, die mögen diese Serien, fühlen sich angesprochen und laden sich die Stars auf ihre Handys.“

Zum Beispiel den türkischen Schauspieler Kivan Tatliu. Monatelang verdrehte der gut aussehende 24-Jährige in seiner Rolle als Mohannad in der Fernsehserie „Noor“ Zuschauerinnen von Syrien bis Marokko den Kopf. Mohannad ist ein Mann, der seine Frau gleichberechtigt behandelt. Er unterstützt sie bei ihrem beruflichen Werdegang als Modedesignerin und reagiert mit Liebe und Verständnis. Nach einem Streit bringt er ihr Blumen oder überrascht sie mit einem Geschenk – ein Verhalten, was arabische Frauen offenbar bei ihren Männern sehr vermissen. Ein zärtlicher, hilfsbereiter Partner sei eben „eine rare Spezies im Nahen Osten“, vermerkte trocken die „Saudi Gazette“. „Es gibt bei uns überhaupt keine Romantik in irgendeinem Leben. In arabischen Ländern sitzen die Frauen zu Hause, schauen Fernsehen und vertrödeln ihre Zeit“, kritisiert die syrische Schauspielerin Laura Abu Saad, die der weiblichen Hauptfigur „Noor“ ihre arabische Stimme lieh. „Doch alle sehnen sich nach einem Ausweg.“ Junge Frauen träumen von einer eigenen Berufskarriere, notfalls im Ausland, um der ständigen Bevormundung durch die Männer in der Familie zu entkommen. „Die meisten, die im Ausland studiert haben, wollen nicht mehr nach Hause zurück – trotz intensiver patriotischer Gefühle“, schreibt die saudische Journalistin Sabria Jawhar.

In der Türkei ein totaler Flop, wurde „Noor“ in der arabischen Welt zur erfolgreichsten Fernsehserie aller Zeiten. Die Schluss-Sequenz vor fünf Wochen sahen nach Angaben der Middle East Broadcasting Cooperation 85 Millionen Zuschauer, darunter 51 Millionen Frauen über 15 Jahre – das heißt jede zweite arabische Frau. „Die Figuren in dem TV-Drama sind zwar alle Muslime, aber viel offener als arabische Muslime“, erläutert Schauspielerin Laura Abu Saad.

Mohannad hatte vor der Heirat mit Noor eine voreheliche Beziehung, aus der ein Kind stammt. Eine Cousine ließ ein Kind abtreiben, und zum Abendessen wird auch Alkohol getrunken – alles Realitäten, die in arabischen Gesellschaften tabuisiert und schamvoll verschwiegen werden. „Viele Mädchen werden schwanger und lassen abtreiben, nur sprechen wir nie darüber“, beklagt Laura Abu Saad. Als erstes arabisches Land überhaupt rückte Marokko letzte Woche mit den sensiblen Daten heraus – über 20 000 geheime Abtreibungen im letzten Jahr, die Hunderte Frauen das Leben gekostet haben.

„An solchen Serien sieht man, wie sehr die arabische Bevölkerung inzwischen zerrissen ist zwischen dem modernen Leben und ihren Traditionen“, erläutert der libanesische Mediensoziologe Melhem Shaul. Mit solchen Reflektionen hält sich der junge, hemdsärmelige Chef der syrischen Sama Production, die „Noor” ins Arabische synchronisiert hat, nicht auf: „Die Show zeigt, wie wir in 15 Jahren im Nahen Osten leben wollen – sozial, politisch und wirtschaftlich“, sagt Adib Khair. „Da wollen wir hin.“

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