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Panorama: "Big Brother": Klassenkampf im Container

Nun hat auch England seinen Zlatko. Er heißt Craig, ist Bauarbeiter und Bodybuilder und spricht mit starkem Liverpooler Akzent.

Nun hat auch England seinen Zlatko. Er heißt Craig, ist Bauarbeiter und Bodybuilder und spricht mit starkem Liverpooler Akzent. Alle machen sich über ihn lustig, aber bei Londons Buchmachern ist der 28-Jährige Favorit.

Sein gefährlichster Gegner, der Börsenmakler Nick Bateman (33), ist - erstmals in der Big Brother-Geschichte - disqualifiziert worden. Die Reality-Soap im Wohncontainer hat sich inzwischen zu einem Klassenkampf entwickelt, der nach Ansicht politischer Kommentatoren die ganze Zerrissenheit der englischen Gesellschaft spiegelt. Die Fernsehserie hat dazu geführt, dass in den Medien über Hegelsche Dialektik und die Tragik Churchills debattiert wird.

Craig, Thomas und Darren, allesamt aus einfachen Verhältnissen, hatten sich dem ehemaligen Privatschüler Nick anfangs ohne zu murren untergeordnet. Sie bemerkten nicht, dass der gewiefte Mitbewohner seine Konkurrenten systematisch gegeneinander aufhetzte. Er selbst dagegen verschaffte sich Sympathien, indem er zum Beispiel fälschlich behauptete, seine Frau bei einem Autounfall verloren zu haben. Nach vier Wochen war er der einzige, der noch von niemandem für den Rauswurf nominiert worden war.

Das Massenblatt "The Sun", das sich selbst als Anwalt der kleinen Leute versteht, hatte unterdessen eine Kampagne gegen "Nasty Nick" (den ekligen Nick) gestartet. Die Zeitung versuchte sogar, Pamphlete mit der Aufschrift "Schmeißt Nick raus" über dem Garten des Big Brother-Hauses abzuwerfen. Fotografen beförderten Tennisbälle mit der Botschaft "Nick lügt" über den Zaun. Doch schließlich entdeckten Craig und Darren selbst, dass Nick seinen Mitspielern systematisch Zettel zuschob, auf denen er ihnen vorschlug, welche Kandidaten sie aus dem Haus wählen sollten. Daraufhin musste er wegen Verstoßes gegen die Spielregeln ausscheiden.

Ein Teil der Öffentlichkeit feierte dies als Sieg der "ehrlichen" Staatsschulen über die Trickserei der Privatschüler. Andere demonstrierten mit Transparenten: "Bringt Nick zurück!" "Nasty Nick" selbst schluchzte: "Ich habe doch keinen Mord begangen." Doch die Tränen trockneten schnell, als ihm die ersten Verträge angeboten wurden und er bemerkte, dass er innerhalb eines Monats einen ähnlichen Bekanntheitsgrad erreicht hatte wie Prinz Charles und Madonna. PR-Experten sagen voraus, dass er bald Millionär sein wird.

Zurück blieben die Arbeiterkinder, die sich mit einem Schlag "aus der Herr-und-Sklaven-Dialektik befreit" hatten, wie der "Observer" frohlockte. Die links orientierte Zeitung sah Hegels Beherrschungsprinzip dadurch eindrucksvoll bestätigt. Andere Beobachter zogen Parallelen zum Zweiten Weltkrieg, als viele einfache britische Soldaten erkennen mussten, dass ihre Offiziere aus gutem Hause auch nicht mehr taugten als sie. Diese Erfahrung soll wesentlich zur Wahlniederlage des konservativen Premierministers Winston Churchill kurz nach dem Sieg über Hitler beigetragen haben: "Wie Churchill konnte auch Nick kaum fassen, was ihm da widerfahren war", schrieb ein Kolumnist.

Der "Independent" preist Big Brother nunmehr als "Mikrokosmos des englischen Klassensystems". Und so ist der Reality-Soap das Kunststück gelungen, Massenblätter und seriöse Presse gleichermaßen in ihren Bann zu ziehen. Die Zuschauerzahl ist inzwischen auf über fünf Millionen gestiegen - die höchste, die der Privatsender "Channel 4" je erreicht hat. Nach Ansicht des "Guardian" muss es denn auch nicht mehr heißen: "Big Brother is watching you", sondern: "We are watching Big Brother."

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