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Panorama: Bigger als Biggs

Einer Bande ist der vermutlich größte Geldraub der Geschichte Großbritanniens gelungen

London - Unweigerlich haben die Briten wieder Ronnie Biggs vor Augen. Und natürlich den Königlichen Postzug, den er mit seiner Gang 1963 auf der Fahrt von Glasgow nach London ausraubte. In dieser Liga spielen auch Biggs geistige Erben, die dem Königreich nun mit einem kaltblütig ausgeführten Überfall den vermutlich größten Geldraub der britischen Kriminalgeschichte bescherten.

„Das war organisierte Kriminalität auf höchstem Niveau“, sagte der stellvertretende Polizeichef der betroffenen Grafschaft Kent, Adrian Leppard. Zugleich stellte er klar: „Wir werden diese Bande fangen, daran habe ich gar keinen Zweifel.“ Begonnen hatte der Überfall im Dämmerlicht. In freundlicher Feierabendstimmung war der Sicherheitsdirektor eines des größten Gelddepots Europas am Dienstagabend auf dem Weg nach Hause. Sein Arbeitsplatz – das Wertdepot der Firma Securitas in der Ortschaft Tonbridge in Südostengland – lag hinter und ein gemütliches Abendbrot mit seiner Frau und dem achtjährigen Sohn vor ihm.

Im Haus der Familie in Herne Bay an der Nordseeküste knisterte vermutlich schon der Kamin, als vor den Augen des Sicherheitschefs am Straßenrand der A249 zwei Gestalten in den leuchtend neongelben Umhängen der britischen Verkehrspolizei auftauchten und ihn in Richtung Straßenrand winkten. Der Fahrer hielt pflichtbewusst an.

Sekunden später schaute er in den Lauf einer Pistole und eine Stimme, die als klar, entschlossen und Furcht einflößend beschrieben wurde, sagte: „Deine Familie wird sterben, wenn du nicht genau das tust, was wir wollen.“ Kurz zuvor hatten zwei anderen neongelben „Polizisten“ an dem Haus in Herne Bay geklingelt. Sie schauten betroffen drein: „Tut uns leid, aber Ihr Mann hatte einen Unfall. Sie müssen bitte mitkommen und nehmen sie auch den Jungen mit, es könnte dauern.“ „Dies war eine traumatische Tortur für den Direktor, seine Frau und deren kleinen Sohn“, sagt später, als alles vorüber und die Bank of England um vermutlich bis zu 50 Millionen Pfund (73,3 Millionen Euro) „erleichtert“ war, der Detective Superintendent Paul Gladstone, der die Ermittlungen leitet. Allzu viele echte Anhaltspunkte hatte die Polizei am Donnerstag noch nicht. Aber vielleicht, so hoffen die Ermittler, melden sich bald „Plauderer“. Die Belohnung von nahezu drei Millionen Euro könne „ein starkes Motiv sein, uns zu helfen“. Die Täter, die ihren Plan mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks umsetzten, dürften ihre Flucht mindestens ebenso sorgfältig geplant haben wie den Überfall. Wochen oder Monate, wenn nicht Jahre haben sie unbemerkt alles beobachtet und Informationen gesammelt. Im Umgang mit Waffen waren sie offenbar bestens vertraut. Zweieinhalb Stunden nach Mitternacht tauchten die Gangster mit dem Direktor, dessen Frau und Kind sie als Geiseln hielten, vor dem Securitas-Depot auf. Rasch waren die 15 Securitas-Wachmänner mit Plastikhandschellen gefesselt. Das Schleppen der Geldsäcke machten sich die Täter leicht: Die Paletten voller gebündelter Geldscheine wurden per Gabelstapler in einen weißen Siebeneinhalb-Tonnen-Laster gebracht. Vermutlich war die Beute längst auf mehrere andere Fluchtautos verteilt, als sich die Wachleute befreiten und auf den Alarmknopf drückten.

Innenminister Charles Clarke und Premierminister Tony Blair ließen sich am Donnerstag ständig über die Fahndung informieren. Allzu viel Hoffnungsvolles konnte die Polizei zunächst nicht melden. „Das ganze Ding“, sagte ein Fahnder, „scheint Superhirn persönlich geplant zu haben.“ dpa

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