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Panorama: Blut in den Straßen

Trotz aller Appelle: Viele Türken schlachteten Tiere zum islamischen Opferfest in der Öffentlichkeit

Obwohl ihnen hohe Geldstrafen drohen, führten viele tausend Türken beim islamischen Opferfest ihre Schafe und Rinder auf die Straßen, schlachteten sie und zogen ihnen das Fell ab. Selbst die Grünstreifen entlang der Autobahn und in einigen Städten sogar die Kinderspielplätze wurden zu illegalen blutigen Schlachtplätzen. Die Polizei war trotzdem kaum zu sehen. Tierschützer hatten schon vor dem Opferfest befürchtet, dass sich wie in den letzten Jahren überall im Land grausame Szenen auf den Straßen und Plätzen abspielen würden. Vergeblich rief die Regierung in Ankara dazu auf, zumindest Kinder vom blutigen Schlachtritus fernzuhalten.

Beim viertägigen Opferfest „Id alAdha“, dem höchsten Fest des Islam, werden Schafe oder Rinder geschächtet, um des Urvaters Abraham zu gedenken. Allein in der Türkei sind es jedes Jahr etwa 2,5 Millionen Tiere. Die Stadtverwaltungen und die Armee boten schon am ersten Festtag am Donnerstag im ganzen Land einen kostenlosen Schlacht-Service mit professionellen Metzgern und hygienischen Bedingungen an. Islam-Gelehrte schärften den Gläubigen ein, dass unnötiges Leid der Opfertiere nicht gottgefällig sei.

Genutzt hat es wenig. Viele Türken wollten auch diesmal wieder selbst zum Messer greifen. Die Behörden wollten mit dem Schwung der EU-Reformen und mit Geldstrafen von 500 Euro pro Tier in diesem Jahr das illegale Opfern auf offener Straße verhindern. Das türkische Parlament hatte im letzten Jahr ein neues Tierschutzgesetz verabschiedet – mit Geldstrafen, die doppelt so hoch sind wie der Monatsverdienst vieler Türken. Doch wie bei vielen Reformschritten in der Türkei haperte es mit der Umsetzung: Nur an wenigen Stellen ließen sich Polizisten blicken, um Strafzettel zu verteilen und illegale Schlachter zu vertreiben. In der Zwölf-Millionen-Stadt Istanbul wurden ganze 23 Bußgeldverfahren eröffnet.

In Istanbul und anderen Städten rechtfertigten sich die Menschen mit dem Argument, die städtischen Schlachtzentren seien überfüllt. Sie hingen die Opfertiere teilweise an den Verstrebungen der Strommasten von Überlandleitungen auf und nahmen sie dort aus. Im südtürkischen Adana wurde eine Ecke eines Spielplatzes zum Schlachthof umfunktioniert, während in einer anderen Ecke Kinder spielten und die Opfertiere streichelten.

Die Amateur-Schlachter fügten aber nicht nur den Opfertieren Schmerzen zu: Im westtürkischen Kütahya rutschte ein Mann beim Schächten mit dem Messer aus und brachte sich selbst tödliche Verletzungen bei. Zwei andere Menschen erlitten beim Opfern Herzinfarkte und starben. In einigen Städten rissen sich Rinder von der Schlachtbank und flohen durch die Straßen. In Istanbul mussten eigens aufgestellte Teams städtischer „Stier-Fänger“ mit Betäubungsgewehren etwa 70mal ausrücken. Die Krankenhäuser zählten schon am ersten Tag des Opferfestes fast 3000 Verletzte. Da das Opferfest in der Türkei oft zum Verwandtenbesuch genutzt wird, stieg auch die Zahl der Verkehrstoten sprunghaft: 27 Tote wurden von Donnerstag bis Freitagnachmittag gezählt. Das Fest dauert noch bis Sonntag.

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