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Borneo: Die Umwelt der anderen

Der Regenwald auf Borneo schützt das Weltklima, zu seiner Erhaltung muss vor allem die lokale Bevölkerung beitragen. Doch die Umstellung fällt nicht leicht.

Er arbeitet immer tagsüber, draußen – und doch im Dunkeln. Mit ruckartigen Bewegungen führt Nooran seine Machete, entfernt Stacheln von den Rattantrieben und dann die Triebe selbst von den Palmen. Die Vegetation aus Blättern, Lianen und Baumkronen ist so dicht, dass nur einzelne Sonnenstrahlen durchkommen. Das Dorf Jahanjang, Provinz Zentralkalimantan, Borneo, Indonesien: Ein Ort, in den keine Straße führt, sondern nur ein Fluss. Ein Ort, der auf den ersten Blick immun gegen Veränderungen scheint. Doch wird von Nooran und den anderen Bewohnern nicht weniger verlangt als wirtschaftlicher Strukturwandel. Sonst droht dem in dieser Gegend alles bestimmenden Torfmoorwald mit seinen gigantischen Mengen an gespeichertem CO2 der Garaus. Und das Weltklima ist auf ihn angewiesen.

Früher war Nooran selbst Teil jenes Problems, dessen Lösung heute die indonesische Regierung und Nichtregierungsorganisationen gemeinsam suchen: Nooran war illegaler Holzfäller. Nachdem weite Teile Borneos – die drittgrößte Insel der Welt – bis Mitte der 90er Jahre durch falsche Landnutzung und die Habgier von Politikern und lokalen Wirtschaftsgrößen planmäßig entwaldet wurden, kam die große Zeit des unkontrollierten Holzeinschlags. Die Torfmoorwälder verschwanden, riesige Feuersbrünste folgten, Waldflächen von der Größe eines Lands wie Portugal wurden innerhalb weniger Monate vernichtet. Rauchschwaden hingen über Jahanjang, viele Dorfbewohner litten an Atembeschwerden. „Dafür habe ich als Holzfäller 30 Euro verdient, pro Tag“, erzählt Nooran, auf einen langen Stab gestützt, eine lange indonesische Gewürzzigarette hängt ihm aus einem Mundwinkel. Heute verdient Nooran 100 Euro im Monat, das ist in etwa der heutige Durchschnittslohn in der Gegend.

2004 entschied sich die indonesische Regierung zum Durchgreifen und gründete den Sebangau-Nationalpark, dessen Grenze unweit des Flusses beginnt. Der WWF begann mit der Hilfe von Sponsoren – zunächst die Post, später Krombacher – degradierte Flächen wieder aufzuforsten, Ranger wurden eingestellt, rigide Gesetze erlassen und hohe Strafen gegen illegale Holzfäller verhängt. Die Waldrodung ging seither stark zurück, doch damit sanken auch die Chancen für Menschen wie Nooran, schnelles Geld zu verdienen. „Ich habe sieben Kinder, die wollen alle essen“, sagt er.

Deutschland? Macht vor allem gute Motorsägen

Bei Deutschland denkt Nooran als Erstes an Stihl-Motorsägen, wahre Gelddruckmaschinen waren das hier früher. Bei der Frage, bis wann er illegal gerodet hat, muss er lange nachdenken, wie bei der Frage nach seinem Alter. Er sagt „55“, als würde er es schätzen. Sein wie in Fels gemeißeltes Gesicht zeigt keine Regungen. Tropisches Laubholz wie Meranti hat er früher aus dem Wald geholt, Ramin- und Bangkirai-Bäume, wertvolle Hölzer. „Ich fühle mich schon etwas schuldig“, sagt er, und streicht sich durch den stoppeligen, weiß-grauen Dreitagebart. Er sagt es in einem Ton, als habe er das Gefühl, das jetzt sagen zu müssen.

Der Gegensatz zwischen den Bedürfnissen der gesamten Welt, die ihre „grüne Lunge“ aus Regenwäldern in Brasilien, Zentralafrika und Indonesien braucht, und jenen der Lokalbevölkerung, in Jahanjang tritt er offen zutage. Das Dorf wurde vorwiegend auf Stelzen gebaut, wie ein verwunschenes Venedig im Dschungel liegt es am Katingan- Fluss, dessen Fische den meisten der 600 Bewohner als wichtigste Nahrungsquelle dienen. Der Dorfälteste, gewählt auf sechs Jahre, heißt Jonnedy und sieht alles andere als alt aus. „Was wir vor allem brauchen, sind klare Regeln, was wir im Nationalpark angeln und holzen dürfen und was nicht. Wir müssen leben“, sagt der Mann mit dem ausgezehrten Gesicht leise während eines Rundgangs durch Jahanjang. Die Menschen hier schlendern statt zu laufen, es gibt eine Krankenstation, seit zehn Jahren sogar Handyempfang. Neben dem Sportplatz rostet eine von der Regierung gebaute Aufbereitungsanlage für Trinkwasser vor sich hin, sie ging kaputt, und es ist niemand da, der sie reparieren könnte. Kinder spielen barfuß Fußball, nach Anbruch der Dunkelheit mit einem „Feuerball“, einer angezündeten Kugel aus Kokosnussschalen.

Jonnedy muss den Dorfbewohnern vermitteln, dass ihre seit Jahr und Tag gewohnten Abläufe sich zu ändern haben, damit der Regenwald auf Borneo nicht vollkommen ausstirbt. Ihre gewohnten Baumaterialien, wie das stabile Eisenholz, sind kaum noch vorhanden, sie müssen umdenken. Neben Angeln, Rattan und dem Anzapfen von Gummibäumen will das Dorf Jahanjang sich auch dem Ökotourismus öffnen. Dazu hat die lokale Verwaltung zwei schmucke Gästehäuser gebaut, direkt an einem kleinen See. Um zu ihnen zu gelangen, müssen Touristen über einen 200 Meter langen Steg mitten durch den Dschungel, in dem Nasenaffen, Sonnenvögel und viele weitere seltene Tierarten leben. Doch die Anlage wird kaum genutzt, die hölzernen Sonnenschirme neigen sich gefährlich ins schwarze Moorwasser, „wir müssen noch lernen, wie wir uns vermarkten“, erzählt Jonnedy. Mehrere Dorfbewohner nehmen Englischunterricht, auch das Problem Müllentsorgung werde irgendwann angegangen, erzählt er.

Die Kinder sollen etwas anderes lernen

Richtig motiviert, Gäste anzulocken, scheint hier niemand. Ob das alles etwas wird, bevor die Stelzen morsch werden und die Gästehäuser im Wasser versinken? Jonnedy zuckt mit den Schultern. Dabei könnte der Ökotourismus neben nachhaltiger Forstwirtschaft Jahanjang nach vorne bringen. In dieser Gegend lebt die größte zusammenhängende Population an Orang-Utans weltweit, bis zu 9000 sind es, früher konkurrierten sie mit den Bewohner um Lebensraum, sogar gegessen wurden die dem Menschen so ähnlichen Primaten. Doch Jonnedy scheint unsicher, ob Dschungel, Sonnenschein und seltene Tierarten wirklich Westler hierher locken könnten, „wir sind schon sehr weit weg“, sagt er. Zu selbstverständlich ist für ihn der Anblick eines Nashornvogels, als das er ihn für einzigartig halten könnte. Regierung und NGOs wollen den nachhaltigen Ökotourismus in die Gegend bringen, allein vor Ort scheint sich kaum jemand dafür zu interessieren. Holzfällen ist hier einfacher, als Werbung für Westler zu machen.

Damit die Dorfbewohner nicht nur als Rohstofflieferanten mit geringen Profiten dienen, wird der Rattan, den Nooran und andere liefern, noch in der Gegend weiterverarbeitet. Einige Kilometer den Fluss aufwärts schrubben 15 Arbeiter unter einem Wellblechdach mit Eisenketten die letzten Stacheln von den Trieben, danach werden sie in Schwefel eingelegt, um eine helle Tönung zu erhalten. Anschließend gibt es ein Wasserbad, danach trocknet das biegsame Möbelmaterial. Die Arbeiter verdienen zwei Dollar am Tag, Kinder helfen nach der Schule mit, für sie gibt es nur den halben Lohn. Auch diese Verarbeitung existiert, weil WWF und andere NGOs und ihre Sponsoren Geld dazuschießen. Nur hinter vorgehaltener Hand murmeln einige Leute, dass sie jetzt für die Umweltverschmutzung des Westens die Zeche zahlen müssen. Nein, dass seine Kinder das Gleiche machen wie er, wolle er nicht, erzählt Nooran. Die sollen eine gute Ausbildung erhalten. Und dann den Sonnenschutz von Bürogebäuden gegen seinen aus Dschungelpflanzen eintauschen.

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