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Kinderarmut

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Buchvorstellung: Am Rand der Gesellschaft - Kinderarmut in Deutschland

Keine warme Mahlzeit, Verwahrlosung, häusliche Gewalt: Der Gründer des Projektes "Arche" wirft in seinem Buch "Deutschlands vergessene Kinder" einen ungeschönten Blick darauf, was Existenznot in Familien anrichten kann. In Berlin lebt bereits jedes dritte Kind auf Sozialhilfeniveau.

Peter war sechs, als sein Vater die Mutter mit Benzin übergoss und anzündete. Claudia wurde acht, als die Eltern zum ersten Mal ihren Geburtstag vergaßen. Simons Mutter schob ihren Sohn mit neun in ein Heim ab; ihr neuer Job war ihr wichtiger. Das sind nur drei der vielen Kinderschicksale, die Bernd Siggelkow, Gründer des christlichen Kinder- und Jugendwerks "Arche", protokolliert hat. Sein Buch "Deutschlands vergessene Kinder" wirft einen ungeschönten Blick auf das, was die Not in Familien am Rande des Existenzminimums anrichten kann.

Bernd Siggelkow (43), gelernter Kaufmann, hat früher als Jugendpastor der Heilsarmee gearbeitet. 1995 gründete er die erste "Arche" im Ostberliner Stadtteil Hellersdorf. Das Haus sollte ein Rettungsboot für Kinder sein, denen ein Zuhause mit menschlicher Wärme fehlte. 2001 eröffnete in der "Arche" Deutschlands erste Suppenküche für Kinder. "Dafür haben wir viel Prügel bezogen", erinnert sich Siggelkow. Dass Kinder in Deutschland nicht genug warme Mahlzeiten bekamen, habe damals als unvorstellbar gegolten.

Grundsicherung für Kinder gefordert

Heute gibt es offizielle Armutsberichte. Der Kinderschutzbund spricht von 2,6 Millionen Kindern und Jugendlichen, die in Deutschland auf Sozialhilfeniveau leben. In Berlin ist es nach Angaben der Senatssozialverwaltung bereits jedes dritte Kind. Siggelkow fordert eine Grundsicherung für Kinder, eine Art Sonderetat im Bundeshaushalt, der jedem Kind zum Beispiel ein Schulessen und Fahrkarten für den öffentlichen Nahverkehr garantiert.

Was Siggelkow und Co-Autor Wolfgang Büscher in "Deutschlands vergessene Kinder" berichten, ist nicht als Skandalerzählung angelegt. In ruhiger, einfacher Sprache schildern sie ihre Erlebnisse mit den Arche-Kindern und mit deren Eltern. Sie führen ihre Leser in Wohnungen, in denen es nur Matratzen, Umzugskartons und leere Kühlschränke gibt. Sie treffen auf apathische, überforderte Mütter, auf ewig laufende Fernseher, auf Sucht und Gewalt. Sie erleben kleine Kinder die sehnsüchtig fragen: "Willst Du mein Papa sein?"

Erst im vergangenen Herbst begann in Deutschland eine öffentliche "Unterschichten-Debatte". Der Begriff vom "Prekariat" kam auf. Was das für Kinder bedeuten kann, beschreibt Siggelkow in seinen kurzen Geschichten. Es geht nicht allein um materielle Armut. Es geht um den Mangel an Geborgenheit und Zuneigung in vielen Familien, den Verlust von Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl, das Verkümmern von Talenten.

Weitere Häuser geplant

In die erste Berliner Arche kommen heute 400 bis 600 Kinder pro Tag. Nach dem Berliner Vorbild sind Häuser in Hamburg und München entstanden, weitere sind geplant. Zur einstigen Suppenküche sind Hausaufgabenhilfe und Betreuung bis hin zum Ferienlager gekommen. In Berlin gibt es die erste Arche-Grundschule mit kleinen Klassen und individueller Förderung.

Die Finanzierung bleibt schwierig. Zwei Millionen Euro kosten Deutschlands Archen im Jahr 2007. Zu großen Teilen komme das Geld aus Privatspenden und von Unternehmen, sagt Siggelkow. Öffentliche Hilfe ist knapp. Dennoch geht es weiter. "Hoffnungsgeschichten aus der Arche" heißt der Untertitel des Buchs. Peter, der einst seine Mutter brennen sah, randaliert nicht mehr. Er hat die Sonderschule verlassen und will bald sein Abitur machen. Den neuen Arche-Kindern gibt er Breakdance-Unterricht.

(Deutschlands vergessene Kinder, Gerth-Medien, 192 Seiten, 14,95 Euro. Internet:www.kinderprojekt-arche.de)

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