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Panorama: Chemie im Fluss

Die Giftwelle aus dem chinesischen Jilin erreicht Russland – sie trifft die Bevölkerung nicht unvorbereitet

Die Regale der Supermärkte, wo Käufer gewöhnlich zwischen mehreren Sorten Mineralwasser – mit und ohne Gas – wählen können, sind wie leergefegt. Limonade und Cola gibt es nicht mehr. Höchstens noch an Straßenkiosken – zum doppelten Preis. Bei den rund 600 000 Einwohnern von Chabarowsk, einer Großstadt im russischen Fernen Osten, geht Angst um. Langsam aber unerbittlich rollte die größte Umweltkatastrophe in der Geschichte der Region auf sie zu.

Die Stadt liegt am Amur, einem Fluss, der die Grenze zwischen Russland und China bildet. Am 13. November kam es in einem Chemiewerk der Stadt Jilin zu einer Explosion, bei der 100 Tonnen Wasser mit hochgiftigen Chemikalien in den Sungari, einen rechten Nebenfluss des Amur. Der Giftfleck mit einer Größe von rund 80 Quadratkilometern hat am Montagabend Russland erreicht. Ursprünglich hatten die Katastrophenschützer sich schon für die vorhergehende Nacht auf das Schlimmste gefasst gemacht. Doch auf dem verseuchten Sungari-Fluss bildete sich langsam eine Eisdecke; das Wasser fließt nur noch mit einer Geschwindigkeit von rund zwei Kilometern pro Stunde.

Die Chinesen, so klagte ein Sprecher der russischen Umweltbehörde, hätten offenbar nur höchst unklare Vorstellungen über Ausmaß und Entwicklung des Desasters und hätten die Meldungen dazu im Sekundentakt geändert. Das verringerte auch Russlands Chancen, die Katastrophe wenigstens unter Kontrolle zu bekommen und die Folgen zu mildern.

Rund 1150 km sind es vom Zusammenfluss des giftigen Sungari mit dem Amur bis zu dessen Mündung in den Pazifik. In den 70 Städten an seinem Unterlauf leben über eine Millionen Menschen, die Hälfte davon in Chabarowsk, wo mit einer für Russland fast blitzartigen Geschwindigkeit auf die Hiobsbotschaft aus China reagiert wurde. Der Mangel an abgefülltem Trinkwasser ist inzwischen behoben, Händler dürfen die Preise nur noch um maximal zehn Prozent erhöhen. Zur Wasserentgiftung wurden gestern 50 Tonnen Aktivkohle eingeflogen, in Windeseile sollte noch ein Damm gebaut werden, der verseuchtes Wasser umleitet. Ein Chaos wie im 700 km entfernten Harbin, so Oleg Mittwoll, Chef der russischen Umweltschutzbehörde, werde sich nicht wiederholen. Bevor die giftige Brühe dort am Wochenende vorbeischwappte, hatten die vier Millionen Einwohner die restlos ausgebuchten Züge und Flugzeuge gestürmt.

Auch wenn ständig Wasserproben gezogen werden, bleibt aber die Sorge, dass die Bewohner ihr Lieblingshobby nicht lassen könnten – Eisangeln: Giftspuren dürften sich wegen der Vereisung noch bis Frühjahr im Wasser finden lassen.

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