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China: „Komme vom Dorf, habe viel Milch“

Mit dem Melaminskandal erlebt in Chinas Städten ein altes Gewerbe seine Renaissance: das der Stillamme.

Das Bewerbungsschreiben war kurz und bündig: „Komme vom Dorf, bin total biologisch und habe viel Milch“, lautete die Anzeige, mit der dieser Tage eine Chinesin im Internet auf Jobsuche ging. Sie unterschrieb mit ihrer Handynummer und dem Hinweis „Peking“. Auf den ersten Anruf dürfte sie nicht lange gewartet haben. Ihre Qualifikationen passten zu den Stellenangeboten, die sich auf der gleichen Seite fanden. Etwa: „Suche Frau mit genügend Milch, verheiratet, gesund, normales Aussehen, keine schlechten Hobbys, kinderlieb, ohne psychische Probleme.“

„Naima001“ heißt die Online-Jobbörse, die derartige Angebote und Nachfragen zusammenbringt, wörtlich: „Milchmutter Nummer eins“. Als die Website Ende September gegründet wurde, war sie die erste ihrer Art, inzwischen gibt es bereits Konkurrenten mit Namen wie „Liebe Milchmutter“ oder ähnlich. Denn seit dem Skandal um verseuchte Babynahrung erlebt in China ein uraltes Gewerbe eine Renaissance: das der Stillamme.

Tausende Mütter, die ihren Neugeborenen nicht selbst die Brust geben können oder wollen, suchen derzeit Frauen, die ihre Muttermilch verkaufen wollen. „Künstlicher Säuglingsnahrung traue ich nicht mehr“, sagt eine Pekingerin, deren Kind im August geboren wurde, kurz bevor bekannt wurde, dass die Babymilch vieler chinesischer Molkereien vergiftet war. Zwischenhändler hatten den Eiweißgehalt gepanschter Milch mit der Industriechemikalie Melamin manipuliert, die bei Kleinkindern Nierensteine auslösen kann. Allein in der Hauptstadt trank jeder vierte Säugling verseuchte Babynahrung. Das Gesundheitsministerium registrierte landesweit 54 000 Erkrankungen und vier Todesfälle. 5800 Babys werden noch immer in Krankenhäusern behandelt.

Es brauchte nur wenige Tage, bis die Verunsicherung der Eltern zur Entstehung des neuen Marktes führte. Ausgelöst von einem Bericht auf dem populären Internetportal Sina, wonach wohlhabende Familien einer Amme einen Monatslohn von 20 000 Yuan (2340 Euro) zu zahlen bereit seien, machten sich Personalagenturen auf die Suche nach geeigneten Frauen. Attraktiv war das Angebot vor allem für Mütter aus ländlichen Gebieten, wo das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen bei nur 340 Yuan (40 Euro) im Jahr liegt. Sie fanden die Idee auch weniger befremdlich als Städterinnen. Denn auch wenn Ammendienste in chinesischen Dörfern nicht mehr weit verbreitet sind, so sind sie trotzdem noch immer besser bekannt als in den Metropolen.

Allerdings birgt der Entschluss, als Stillmutter zu arbeiten, ein erhebliches soziales Risiko. Für viele moderne Chinesen ist der Beruf ungewohnt oder gar anrüchig, und unter Mao Zedong war der einst alltägliche Handel mit Muttermilch sogar verboten, weil er als feudalistisch galt. „Wenn meine Bekannten von meinem Job hören würden, gäbe es eine Menge Spott“, sagt eine Amme aus Henan. Ihr eigenes Kind ist sechs Monate alt und lebt nun bei den Schwiegereltern, während sie in Peking den Sohn einer anderen Familie stillt. Gut 10 000 Yuan (1170 Euro) Monatslohn bekommt sie dafür. Theoretisch könnte sie monatelang so arbeiten, denn die in der Schwangerschaft angeregte Milchproduktion hält in der Regel so lange an, wie an den Brüsten gesaugt wird. „Nur meine engste Familie weiß davon, und obwohl sie darüber nicht glücklich ist, akzeptiert sie es“, meint die Amme. „Es ist nicht leicht für mich, aber ich handle schließlich auch im Interesse meines eigenen Kindes, denn wir können das Geld sehr gut gebrauchen.“ Eine andere Frau erzählt, ihr Mann habe ihr verboten, das Kind ihrer Arbeitgeber direkt zu stillen. „Ich pumpe mir die Milch zu Hause ab und sie können sich dann die Flaschen abholen“, sagt sie. Pro Tag verlangt sie 200 Yuan (23 Euro), wovon ein Drittel die Vermittlungsagentur einbehält.

Nicht nur für die Ammen ist die Überwindung groß, sondern auch für ihre Arbeitgeber. Viele Mütter können sich nur schwer an den Gedanken gewöhnen, ihr Baby einer anderen Frau an die Brust zu legen. Außerdem haben sie Sorgen, dass die Amme Krankheiten übertragen könnte. Einige Agenturen werben deswegen bereits damit, dass ihre Stillmütter zunächst zu Gesundheitstests geschickt werden. „Trotzdem gibt es dann noch viele offene Fragen“, berichtet ein Angestellter der Firma „Zhongjia Familienservice“ im südchinesischen Shenzhen, die schon 2006 als erste in ganz China anfing, Ammen zu vermitteln. „Viele Arbeitgeber verlangen etwa, dass die Amme bei ihnen wohnt und unter ihrer ständigen Kontrolle ist.“ Außerdem hätten viele Frauen Sorge, dass die Stillmütter hinter ihrem Rücken ihre Männer verführen könnten.

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