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China: Ohrfeige gegen Stress

In Schanghai hat eine Firma gestressten Managern professionelle Hilfe angeboten: Rund 100 Yuan kostete eine saftige Beleidigung, eine kräftige Ohrfeige gab es für 120 Yuan.

Schanghai - Wie ein riesiger Magnet zieht Schanghai hoffnungsvolle Talente aus ganz China an. Bei jährlichen Wachstumsraten von bis zu zehn Prozent braucht die Wirtschafts- und Finanzmetropole ständig mehr Arbeitskräfte - und viele von ihnen stehen ständig unter Strom. Bei dem rasanten Tempo mitzuhalten, sich gar an die Spitze setzen zu wollen, bedeutet Dauerstress. Die Hälfte der höheren Angestellten in den Unternehmen Schanghais hätten psychologische Probleme, schätzt die Ärztin Zheng Anlin vom örtlichen Huadong-Krankenhaus. Ein riesiger Markt, findet der Komiker Chen Jun und ersann Abhilfe für stressgeplagte Manager: Eine kräftige Ohrfeige oder eine deftige Beleidigung sorgen für den sofortigen Abbau von Aggressionen.

Wie so viele kam auch der 27-jährige Chen vor zwei Jahren aus der Provinz nach Schanghai, um in der Boomstadt sein Glück zu machen. Im März gründete er zusammen mit seinem Kompagnon Zhang Li die Firma Wantong, Geschäftsfeld: Stressabbau. 100 Yuan (knapp zehn Euro) kostete eine zehnminütige Beschimpfung, nur etwas mehr, 120 Yuan, eine ordentliche Ohrfeige - die vorsichtshalber nur Frauen verteilen durften. Die Wange hielten Freiwillige hin. Die Behörden fanden diese Art der Stressbehandlung allerdings nicht besonders komisch und verboten Chen die Ohrfeigen- und Beschimpfungskurse, die sie als tätliche Angriffe werteten. Trotzdem und obwohl auch sein Geschäft eher schleppend angelaufen war, ist Chen nach wie vor überzeugt von seiner Idee. «In einigen Wochen werde ich neue Kurse vorschlagen», sagt er eifrig.

Der Bedarf ist da, das bestätigt auch eine Umfrage der chinesischen Gesellschaft Kerui: Danach fühlen sich 78 Prozent der Manager und Managerinnen in Schanghai unter Druck. In der Hauptstadt Peking sind es dagegen 53 Prozent, in Guangzhou im Süden der Volksrepublik 47 Prozent. Die Unternehmen interessiert die Not ihrer Beschäftigten wenig. Es gibt von Seiten großer Firmen oder Beratungsgesellschaften bislang kaum Studien oder Untersuchungen zu dem Thema. «Das wahre Problem ist vielmehr, dass die Firmen, gemessen an ihren Bedürfnissen, einfach nicht schnell genug Leute finden», sagt Alexander Morin, Leiter der Personalberatungsgesellschaft CEGOS. «Das erzeugt natürlich Druck. Aber ich würde nicht von Stress sprechen, eher von Überarbeitung.»

Der Umgang damit bleibt also jedem Betroffenen selbst überlassen. Doch professionelle Hilfe suchen die wenigsten, sagt die Ärztin Zheng Anlin: Von den geschätzten 50 Prozent der gestressten Manager entschieden sich wiederum nur fünf Prozent, einen Spezialisten aufzusuchen. Billiger und vor allem schneller ist da allemal eine saftige Beleidigung, selbst wenn sie den eigentlich Gemeinten niemals erreicht. Wenn Chen ein etwas sanfteres Geschäftskonzept vorlegt, könnte er sich von daher vielleicht über regen Zulauf freuen. (Von Julie Desne, AFP)

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