zum Hauptinhalt

Christine Lemke-Matwey graust’s vor gar nichts: Sag zum Abschied leise Pudding

Ich würde mich nie verabschieden. Jeder Abschied ist ein kleiner Tod, sagen die Franzosen...

...und wenn ich überlege, wie oft ich in meinem Leben umgezogen bin und Abschied nehmen musste, nicht selten für immer, also rein rechnerisch müsste ich längst tot sein. Was ich nicht bin. Ergo kann an der Sache mit den kleinen Toden, die man bei den kleinsten Adieus angeblich stirbt, etwas nicht stimmen. Insofern, liebe Franzmänner (schon mal von Franzfrauen gehört? nein? eben!), schreibe ich diese Kolumne ganz beruhigt und ohne große Abschiedsphobie.

In den vergangenen 30 Monaten habe ich Dinge getan, die mir nie im Traum einfallen würden. Ich habe mich 30 Mal überwunden, oft rücksichtslos, und so das Dreißigfache meiner selbst erreicht, keine Therapie schafft das. Die schlichte Tatsache, Graus und Ekel in Kauf zu nehmen und ein inneres Dschungelcamp in mir zu errichten, hat mich, wie soll ich sagen, reifen lassen. Ich kann diese Strategie nur wärmstens weiterempfehlen. Nicht immer gleich jammern und jaulen, kannichnicht, magichnicht, willichnicht, gehtnicht, nee, einfach mal still sein und es tun. Das große Trotzdem wagen und sich selbst wieder achten lernen. Wären das nicht gute Aussichten für so ziemlich alles, für die Gesellschaft und was sie im Innersten zusammenhält?

Zur Erinnerung: Ich hatte einen Hund, Fuchsilein, und bin prompt ein besserer Mensch geworden; ich hatte diverse Allergien und übte mich in Demut; ich bin billig geflogen und war bei den Zeugen Jehovas (respektive diese bei mir), ich habe in WGs gehaust und Iris Berben beim Nicht-älter-Werden zugeschaut, ich durfte Frauenfußball spielen, Hühnern die Eier wegnehmen und gegen Elefantenherden kämpfen, ich bin bei Rot über alle Ampeln geradelt, und kurz bevor ich mir beim Klettern die Finger brach, habe ich sogar meine Geige vom Schrank geholt. Tote Ratten säumten meinen Weg, Kinderlose, militante Rechtsabbieger und immer wieder: Männer. Echte Kerle, die mich lehrten, was essen heißt; der fröhliche Herr Fröhlich, der so gerne mein Krankenversicherer geworden wäre; Führungskräfte aller Arten und der eine oder andere Idiot natürlich. Seit und mit dieser Kolumne verstehe ich viel besser, was den Mann im Innersten zusammenhält. Schließlich kann nicht jeder eine so empfindsame Seele haben wie der Kollege, mit dem ich lange Jahre die Freude hatte, Computer und Tisch zu teilen, der mit den Geheimratsecken und der Brille, Sie wissen schon.

Wird es mir in Zukunft nun vor nichts mehr grausen, habe ich alles durch? Weit gefehlt, immerhin gehe ich nach Hamburg. Nichts gegen Hamburg, absolut nichts, aber wo man statt Semmeln (na gut, wir sind immer noch in Berlin: Schrippen) „Rundstücke“ sagt, mit nordischem -ssst- in der Mitte, werde ich mich wohl erst einmal akklimatisieren müssen. Auf gut Hanseatisch sagt man auch „um den Pudding gehen“, was mich schon als dreijähriges Kind zur Verzweiflung brachte. Wir lebten damals in Norddeutschland, apropos Umzüge, und mein Großvater wollte mit mir einmal „um den Pudding fahren“, das Auto war neu, Teile der Familie schwören bis heute, es sei beige gewesen. Als notorisch schlechte Esserin geboren, ja berüchtigt, schwante mir Schlimmes: Pudding?? Schon wieder essen? Nein danke. Weil ich partout nicht aufhörte zu brüllen, musste die gut gemeinte Spritztour abgebrochen werden.

Vielleicht sollte ich mir in Hamburg als Erstes mal eine ordentliche Portion Labskaus bestellen. Dann auf die Reeperbahn. Dann nach Pöseldorf, Elbfloretten gucken. Und dann Hafengeburtstag feiern, mit allen anderen Hamburgern. Spätestens dann kriege ich bestimmt eine neue Kolumne.

An dieser Stelle wechseln sich ab: Elena Senft, Moritz Rinke, Christine Lemke-Matwey und Jens Mühling.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false