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Panorama: Chronik eines schleichenden Todes

Eine Frau starb. Ihr Arzt und ihre Anwältin sagen, man hätte ihr helfen können – mit einer Behandlung, die die Kasse nicht zahlte

Es dämmert schon, als die zerbrechliche kleine Frau sich Meter für Meter voranarbeitet.

Unter ihren Füßen knirscht grober Kies. Sie setzt sich auf ihren Gehwagen, ruht sich aus und blickt aufs Wasser, das die weit in den Fluss ragende Landzunge umspült. Es ist ihr Lieblingsplatz in den Münchner Isarauen, seit drei Jahren war sie nicht mehr hier. Der Weg hierher strengt sie an, obwohl der Ort kaum 200 Meter von ihrer Wohnung entfernt liegt. Julia Längsfeld ist bei diesem Treffen todkrank. Sie hat eine Leberzirrhose im kritischen Stadium. Ihre statistische Überlebenschance: 30 Prozent für die nächsten zwölf Monate. Ihre Gesichtshaut ist pergamenten, spitz treten die Wangenknochen hervor. Ihre Hände sind knochig, jede Sehne ist sichtbar. Sie ist 38 und sieht aus wie eine alte Frau. Aber ihre Stimme klingt kräftig. „Vor ein paar Monaten hätte ich nicht gedacht, dass ich noch mal hierherkomme“, sagt sie. „Da hat mich meine Schwester aus dem Krankenhaus zu meiner Mutter gebracht, damit ich zu Hause sterben kann.“

Viel später, im Mai dieses Jahres, wird Julia Längsfeld doch sterben. Es ist dies eine Geschichte, die von einem Leben handelt, das vielleicht hätte gerettet werden können. Es ist eine Geschichte vom Gesundheitssystem, von privater und gesetzlicher Versicherung und davon, dass ein Unterschied besteht zwischen dem Wert eines Menschenlebens und den Kosten, es zu erhalten. Über mehrere Wochen vor ihrem Tod haben wir Julia Längsfeld immer wieder getroffen.

Die Krankheit kam über Nacht. Im Oktober 2001 will Julia Längsfeld, eine schlanke dunkelhaarige Frau mit blauen Augen, mit ihrem Freund nach Namibia fliegen. Seit ein paar Wochen hat sie Magenschmerzen und ist ständig erschöpft, sie ist eben urlaubsreif, denkt sie.

Am Tag der Abreise jedoch ruft jemand aus der Praxis ihres Hausarztes an und sagt, mit ihrem Blut stimme etwas nicht, sie müsse dringend zur Überprüfung vorbeikommen. Schnell fährt sie ins 20 Kilometer entfernte München und lässt sich noch einmal Blut abnehmen. Die Diagnose stimmt. Die Leberwerte sind vollkommen überhöht, viermal so hoch wie üblich. Der Urlaub fällt aus, stattdessen muss Julia Längsfeld in den nächsten zwei Wochen täglich zum Arzt, bekommt Medikamente, Bluttransfusionen und Aufbaupräparate. Von der Leberzirrhose weiß sie da noch nichts, der Arzt sucht fieberhaft nach der Ursache ihrer Symptome.

Und sie werden schlimmer. Eine Weile noch versucht Julia Längsfeld, ihr normales Leben aufrechtzuerhalten. Sie arbeitet als Logopädin, vor allem mit Kindern. Die Arbeit macht ihr Spaß. Doch sie kann sich immer weniger konzentrieren. Eines Morgens ist ihr so übel, dass sie früher von der Arbeit nach Hause fahren muss. Sie übergibt sich, aber es kommt nur Blut. Schließlich ruft sie den Notarzt; im Krankenwagen wird sie ohnmächtig. Sie wird in eine Klinik gebracht und dort sofort in den OP. Am nächsten Tag erwacht sie auf der Intensivstation, angeschlossen an piepende Geräte und Schläuche. „Rettung in letzter Sekunde“, sagt man ihr. Sie hatte innere Krampfadern bis hinauf in die Speiseröhre. Die waren geplatzt, sie wäre um ein Haar verblutet. In einer Notoperation wurde die Blutung erst einmal gestoppt.

„Das war wie ein Alptraum“, sagt Julia Längsfeld beim Treffen in den Isarauen. „So plötzlich aus dem Leben gerissen. Damals konnte ich ja nicht wissen, dass das erst der Anfang war.“

Im Sommer 2002 dann der nächste Zusammenbruch. In den Armen ihrer Mutter wird Julia Längsfeld ohnmächtig. Wieder spuckt sie Blut. Wieder kommt der Notarzt. Es folgt die gleiche Prozedur wie beim ersten Mal: Notoperation, Schläuche, Infusionen. Der entscheidende Unterschied ist: Nach der Operation kommt der Oberarzt zu ihr, setzt sich ans Bett und sagt: „Sie wissen schon, Frau Längsfeld, dass Sie an der Leberzirrhose sterben werden!“ Nun hat sie eine Diagnose.

„Ich saß da, fassungslos, geschockt, hab gesagt: Nein, das weiß ich nicht“, erzählt Julia Längsfeld rückblickend. „Dann hab ich eine unglaubliche Wut entwickelt, eine Wut, die man gar nicht beschreiben kann.“ Sie kann damals nur noch Obstbrei aus Hipp-Gläschen essen, sie ekelt sich, doch irgendwann entscheidet sie: Ich werde das essen. Ihr ganzer Lebenswille, sagt sie sich, hängt mit diesem Brei zusammen und dass sie ihn auslöffelt. „Das ist mein Leben, und ich werde kämpfen.“

Die Leberzirrhose ist entstanden als Nebenwirkung von Medikamenten, die Julia Längsfeld gegen eine chronische Erkrankung schon jahrelang nahm. Sie hatten die Leber geschädigt, die nicht mehr richtig durchblutet wurde: Sie konnte die Gifte nicht mehr filtern und vergiftete sich so selbst immer weiter. Ein Teufelskreis. Vor der Leber bildet sich in solchen Fällen ein Blutstau, und der ist es, der jene Krampfadern bis hinauf in die Speiseröhre verursacht hat. Sie können jederzeit wieder platzen, und Julia Längsfeld könnte verbluten oder ersticken, das weiß sie. Die Ärzte sehen keine Möglichkeit, diesen Prozess aufzuhalten.

Sie beginnt, auf eigene Faust nach Hilfe zu suchen. Im Herbst 2002 stößt sie im Internet, auf der Seite der Uniklinik Rostock, auf ein Verfahren, das Hoffnung verspricht: die „Mars“-Maschine. Mit ihr lässt sich eine sogenannte Leberdialyse durchführen, bei der die Gifte aus der Leber gefiltert werden. Als Therapieverfahren bei Nierenerkrankungen ist die Dialyse längst bekannt, bei Lebererkrankungen ist es relativ neu, etwa zehn Jahre alt. Vor allem bei akutem Leberversagen wird es eingesetzt, es dient zur Überbrückung, bis das Organ wieder normal arbeitet; die Leber ist das einzige Organ, das sich selbst regenerieren kann. Der Einsatz bei chronisch Erkrankten – um deren Leberfunktion zu unterstützen – ist allerdings erst in den Anfängen.

Julia Längsfeld berichtet ihrem Arzt von der Methode. „Er war skeptisch, aber auch aufgeschlossen“, sagt sie.

Ihr Hausarzt, Dr. Mandelartz, ein großer, dunkelhaariger Mann Anfang 40, befasst sich intensiv mit dem Verfahren und kontaktiert das Unternehmen, das das Gerät vertreibt. Die Behandlungen, die er probeweise durchführt, überzeugen ihn, sodass er beschließt, ein „Mars“-Gerät in seiner Praxis aufzustellen. Die Maschine steht dort in einem kleinen abgedunkelten Raum, daneben ein Krankenbett. Sie ist kaum größer als eine Obstkiste.

„Ende 2002 haben wir Julia Längsfeld fünf Tage hintereinander therapiert“, sagt Mandelartz bei einem Besuch in seiner Praxis. „Ihr Zustand hat sich damals erheblich gebessert, sie ist leistungsfähiger geworden, und ihre Konzentrationsfähigkeit hat deutlich zugenommen. Die Therapie hat sehr gut angeschlagen.“

Julia Längsfelds Augen strahlen, wenn sie sich an diese Zeit erinnert: „Es war phantastisch. Nach wenigen Tagen ging es mir schon viel besser. Die Schmerzen ließen nach, ich war von Woche zu Woche wieder belastbarer. Ich dachte, bald würde ich wieder arbeiten können.“

Nach fünf Behandlungen muss der Arzt die Therapie abbrechen. Die gesetzliche Krankenkasse von Julia Längsfeld – die dem Autor für einen Kommentar nicht zur Verfügung stand – will die Kosten für die ambulante Therapie bei ihrem Hausarzt nicht tragen. Pro Behandlung, sagt Mandelartz, fielen rund 3000 Euro an Materialkosten an. Das Filterset für eine Sitzung koste allein 1850 Euro plus Mehrwertsteuer, dann müsse man die Füllung der Maschine mit dem sogenannten Albumin dazurechnen, menschlichem Eiweiß, das im Körper Stoffe transportiert: Hormone zum Beispiel, Fette oder eben auch Giftstoffe. Da koste eine Flasche etwa 100 Euro. Und es werden sechs Flaschen gebraucht, bis das saubere Albumin aus der Maschine beim Dialyseaustausch dem Albumin aus dem Körper des Patienten die Giftstoffe abgenommen hat. Hinzu kämen Materialkosten für Katheter und anderes Zubehör.

Rechnet man die Praxiskosten hinzu, bleibt für den Arzt kaum etwas übrig.

Julia Längsfeld ist wie vor den Kopf gestoßen. Doch dann kommt Hilfe von unerwarteter Seite. Von der Ehefrau des Arztes, Ulrike Mandelartz, sie ist Rechtsanwältin.

Ein Treffen in deren Kanzlei, als sich Frau Mandelartz schon seit zweieinhalb Jahren um Julia Längsfeld kümmert. Die Anwältin, schlank, brünett, elegant in Schwarzweiß gekleidet, ist eine energische Frau. Sie spricht laut und scheut auch vor explosiven Thesen nicht zurück. „Es ist doch empörend, dass einem in diesem System lebenswichtige Therapien vorenthalten werden.“ Ulrike Maldelartz ist andererseits auch jemand, der schwierige Sachverhalte geduldig erklärt. Und es gibt viel zu erklären. Zu ihren Füßen steht an diesem Tag ein roter Wäschekorb aus Plastik, er ist voller Akten. Sie alle handeln vom Fall Julia Längsfeld.

Schon häufig, sagt Ulrike Mandelartz, habe sie von ihrem Mann und anderen Ärzten erfahren, dass gesetzlich versicherten Patienten neue und innovative Behandlungsmethoden bei niedergelassenen Ärzten verwehrt blieben, während privat Versicherte diese Therapien meist ohne Weiteres von ihrer Krankenversicherung bezahlt bekämen. Menschen in lebensbedrohlicher Situation treffe es besonders schwer, sagt Mandelartz. Sie hätten meist nicht die Kraft, neben dem Kampf gegen ihre Krankheit auch noch einen um eine Therapie zu führen.

Irgendwann will Ulrike Mandelartz nicht mehr tatenlos zusehen und gründet den „Patientenschutzbund“, der gesetzlich Versicherten die Möglichkeit bietet, sich im außergerichtlichen Vorverfahren zur Wehr zu setzen – gegen Krankenkassen, die Therapiekosten nicht erstatten wollen. Außerdem versucht sie, Therapien für Betroffene per Eilverfahren durchzusetzen. Denn Sozialgerichtsverfahren dauern zwei bis drei Jahre. Zeit, die die wenigsten ihrer todgeweihten Patienten haben. Vor zwei Jahren hat sie mit diesen Eilverfahren begonnen, 100 Fälle seien es bereits im Jahr. Tendenz steigend.

„Wenn man todkrank ist, liegt es ja meist in der Natur der Sache, dass es keine gängigen Verfahren gibt“, sagt die Anwältin. „Doch das System der gesetzlichen Krankenversicherung ist gar nicht auf neue Verfahren zugeschnitten, auch wenn sie im Einzelfall helfen.“

Gesetzlich Versicherte bekommen von ihren Krankenkassen jene Behandlungsmethoden bezahlt, die für ihr Krankheitsbild im Leistungskatalog vorgesehen sind. Es dauert jedoch oft über zehn Jahre, bis alle Voraussetzungen für die Aufnahme neuer Therapien in diesen Katalog erfüllt sind. Hinzu kommt, dass jede Krankheit individuell verläuft. Beim einen hilft eine Therapie, beim anderen nicht. Die Krankenkassen können jedoch im Einzelfall außergewöhnliche Therapien bezahlen, wenn sie helfen. Für solche Fälle unterhalten die gesetzlichen Kassen den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK): Er soll feststellen, ob eine Therapie bei einem Patienten anschlägt oder nicht. Doch Ulrike Mandelartz macht eine andere Erfahrung: „Ich habe noch nie erlebt, dass der MDK eine Therapie befürwortet, die nicht im Leistungskatalog steht.“

Nur langsam findet sich Julia Längsfeld mit dem Gedanken ab, dass sie nicht mehr zu ihrer Arbeit zurückkehren wird. Über ein Jahr wohnt sie bei ihrer Mutter. Doch – damals ist sie 35 – sie will ihr eigenes Leben führen. Im Juni 2003 findet sie eine Wohnung in Ismaning, nicht weit von ihrer Mutter entfernt und direkt an den Isarauen, ihrem Lieblingsplatz. Sie bekommt Pflegestufe II und damit eine Haushaltshilfe, alleine kommt sie nicht mehr zurecht. Sie richtet sich ein. Die schwere Sitzgruppe aus Rattan und Bast stammt noch aus besseren Zeiten, sagt sie damals während eines Treffens. Die Wände schmückt sie mit Postern aus Ländern, in die sie gerne reisen würde.

Drei Monate später, im September 2003, entscheidet das Bayerische Landessozialgericht, dass Julia Längsfeld in einem Krankenhaus die Therapie bekommen muss – vorausgesetzt, sie findet eine Klinik, die bereit ist, die Behandlung durchzuführen. Ende Januar 2004 nimmt die Uniklinik in München sie auf, und Julia Längsfeld hofft. Doch schon kurz darauf wird sie unbehandelt wieder nach Hause geschickt.

Man lasse sich nicht von einem Gericht vorschreiben, welche Therapie man anwende, habe man ihr dort gesagt. Den Ärzten der Uniklinik erscheint laut schriftlichen Unterlagen der Gesundheitszustand als nicht akut genug.

Eine Haltung, die Julia Längsfelds Arzt Dr. Mandelartz unbegreiflich ist: „In der Uniklinik hat man ihr ein chronisches Leberversagen im Stadium ’Child C’ bestätigt. Das ist die extremste Stufe“, sagt er. „70 Prozent der Menschen mit diesem Krankheitsbild sterben innerhalb eines Jahres.“ Warum hat Julia Längsfeld die Behandlung dann nicht bekommen?

In einem Radiointerview für „Antenne Bayern“ nimmt einer der zuständigen Ärzte in jener Zeit Stellung zum Fall Längsfeld. Es ist ein Dokument seltener Offenheit: Ein Verfahren, „das 3000 Euro kostet, damit sich ein Patient etwas besser fühlt – ich meine nicht, dass die Gesellschaft das tragen kann … Wir sind nicht dazu da, die Wünsche von Patienten zu erfüllen.“ Erst für den Fall, dass Julia Längsfelds Leber gänzlich versagt, also akut, stellt man ihr eine Behandlung in Aussicht, zur Überbrückung für einige Tage. Doch dann wäre das Organ wohl nicht mehr zu retten.

„Im Kern der Sache“, sagt Anwältin Ulrike Mandelartz, „streiten das Krankenhaus und sozusagen die Krankenkasse mit dem Gericht und damit mit meiner Partei darüber, wie schlecht es Julia Längsfeld gehen muss, damit man eine Therapie anbieten kann, die bestimmten Formalien genügt.“

Julia Längsfeld hat keine Zeit für einen langen Rechtsstreit. Und das Sozialgericht lässt mit dem endgültigen Urteil seit Jahren auf sich warten, obwohl ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 die Rechte schwer kranker Patienten deutlich gestärkt hat. Es hat festgestellt, dass man einem todkranken Patienten, für den es keine schulmedizinisch anerkannte Behandlungsmethode gibt, eine Behandlung nicht vorenthalten darf, wenn auch nur im Entferntesten Aussicht auf Heilung oder Besserung besteht.

Doch die Hoffnungen Julia Längsfelds und vieler anderer Patienten in das Urteil haben sich bis dahin nicht erfüllt. „Noch in keinem meiner Eilverfahren“, sagt Ulrike Mandelartz, „ist es bislang dazu gekommen, dass man der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts gefolgt wäre. In keinem Einzigen.“

Zweieinhalb Jahre lang hat Julia Längsfeld keine Behandlung mehr bekommen als wir sie Anfang April dieses Jahres in den Isarauen treffen. Ihr Zustand hat sich seither dramatisch verschlechtert. Die Leber kann die Giftstoffe nicht filtern und wird immer weiter geschädigt. Blutstau und Krampfadern sind nur eine Folge, jede Woche müssen zudem fünf Liter Wasser aus ihrem Bauch abgesaugt werden. Zu diesem Zweck liegt Julia Längsfeld auf dem Krankenbett bei Dr. Mandelartz, direkt neben jener „Mars“- Maschine, mit der er sie nicht behandeln darf. Eine gut 20 Zentimeter lange Nadel wird in den Bauch geschoben. Das Wasser läuft in einen Beutel. Die Prozedur dauert drei Stunden. Gekrümmt liegt sie in einer Ecke des Bettes. Trotz der Wassereinlagerungen hat sie von Jahr zu Jahr mehr Gewicht verloren. „Heute morgen waren es noch 35 Kilo“, sagt sie, Tränen in den Augen, und blickt zu ihrem Arzt. „Ich möchte gerne Mitte fünfzig wiegen, 53, 54, das wäre so das Gewicht, wo ich hinkommen möchte. Und das schaffe ich auch, irgendwie.“

Damit ihre Leber sich erholen könnte, müsste Julia Längsfeld die Therapie regelmäßig bekommen. Der Arzt, der seiner Patientin beim Sterben zusehen muss, hat lange darüber nachgedacht, ob er die Behandlung nicht auf eigene Rechnung durchführen sollte. Aber, sagt er, „ich wäre in kürzester Zeit pleite“.

Hinzu kommt, dass Julia Längsfeld auch nicht die einzige Patientin ist, die diese Therapie benötigte.

Er sagt: „Seit Jahren behandeln wir jetzt Patienten mit dem Verfahren, meist Privatpatienten, denen die Therapie in aller Regel anstandslos bezahlt wird. Die chronisch erkrankten Patienten, die wir hier mit der Leberdialyse behandeln, dürften nach der Statistik eigentlich gar nicht mehr leben. Tatsächlich erfreuen sich aber alle bester Gesundheit. So könnte es auch Julia Längsfeld gehen.“

Die Krankenkasse lehnt die Therapie ab, die Julia Längsfeld womöglich helfen würde. Begründung: Würde sie im Krankenhaus durchgeführt, würde man die Behandlung ja bezahlen.

Doch dafür geht es Julia Längsfeld offenbar noch nicht schlecht genug.

Die endgültige Entscheidung des Sozialgerichts München steht noch immer aus. Also schreibt Ulrike Mandelartz dem zuständigen Richter in jener Zeit einen Brief, in dem sie ihre Vermutung äußert, dass man auf eine „biologische Lösung des Problems“ warte. Eine Antwort erhält sie nach eigener Aussage nicht.

„Ich möchte mich hinstellen, meinetwegen fast nackend“, sagt Julia Längsfeld darauf, „und fragen: Wollt ihr, dass ich und viele andere einfach verrecken?“

Sie will noch einmal zu dem Platz, zu dem sie früher so oft gelaufen ist, zu der kleinen Halbinsel in den Isarauen. Der Fluss reflektiert das blaue Abendlicht. Sie setzt sich auf ihre Gehhilfe und blickt so lange über das Wasser, bis die Dämmerung hereinbricht.

Im April 2006 wird Julia Längsfeld in der Uniklinik Rostock aufgenommen. Dort hofft man, dauerhaft etwas gegen die inneren Krampfadern unternehmen zu können. Nach einer plötzlich auftretenden Infektion stirbt sie am 18. Mai 2006 auf der Intensivstation.

Jan Schmitt[München]

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