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Familiengerechte, saubere Rockmusik. Cliff Richard, hier im Mai bei seinem jüngsten Auftritt in Amsterdam.

© dpa

Cliff Richard: Saubermann unter Verdacht

Die Vorwürfe gegen den Sänger Cliff Richard wegen eines Sexualdelikts verdrängen in England alle Nachrichten. An vorderer Front steht die BBC, die ihre eigenen Skandale um Jimmy Savile und andere wohl überkompensiert.

Als die Polizei kam, stand der BBC-Reporter schon an erhöhter Stelle vor dem Penthouse-Komplex in Berkshire westlich von London bereit, die Kameras in Position. „Acht Beamte“, zählte der Reporter, als die Ermittler durch die große Einfahrt des Luxuskomplexes marschierten, wo der britischer Popstar Cliff Richard eine seiner Wohnungen hat. Den Hausdurchsuchungsbefehl hatten die Polizisten in der Tasche. Fünf Stunden später, als sie wieder abzogen, Beweismaterial in Kisten und Kästen, war der BBC-Mann immer noch zur Stelle und berichtete.

Sir Cliff Richard, 73-jähriger, ewig junger britischer Popstar, bei den Briten in gleichen Maßen geliebt und bewundert wie verlacht und verspottet, ist „Big News“. Trotz Krisen in Irak und Ukraine machte die BBC die Abendnachrichten damit auf, dass der Popstar jetzt in die große Welle von Anklagen wegen Pädophilie hineingezogen wird, die das Land erschüttert. Offensichtlich war die BBC gut vorbereitet und hatte von der Polizei einen Tip bekommen. Auch ein kurzer Interviewausschnitt mit Oberkommissar Matt Fenwick war vorbereitet. „Ein Durchsuchungsbefehl wurde ausgestellt, nachdem bei der Polizei Anzeige wegen eines Vorwurfs sexueller Natur erstattet wurde. Der Vorwurf bezieht sich auf einen Jungen unter 16 Jahre“.

Sir Cliff und seine Fans waren außer sich, wie mit dem überlangen Sonderbericht Regeln der Fairness über Bord geworfen wurden. Es gab keinen Haftbefehl gegen Cliff Richard, nur eine Anzeige und einen Verdacht. War es Überkompensation für die Nachlässigkeit, mit der die BBC die Umtriebe ihres eigenen Stars Jimmy Savile jahrelang ignoriert, wenn nicht gar beide Augen zugedrückt hatte?

Keine Zeitung, die gestern nicht „Sir Cliff“ auf der Titelseite hatte. „Ich bin unschuldig“, zitierte ihn der „Daily Express“, „ich bin total unschuldig“ die „Daily Mail“. Von seinem Weingut an der Algarve in Portugal hatte Richard eine bittere Erklärung verbreiten lassen. Er kenne die Vorwürfe von „historischen Unanständigkeiten“ gegen ihn, die seit Monaten im Internet zirkulierten. „Diese Behauptungen sind vollständig falsch.“ Bisher habe er sie nicht mit einer Reaktion gewürdigt. „Aber heute hat die Polizei mein Apartment in Berkshire besucht, ohne Vorankündigung, mit Ausnahme, wie es scheint, für die Medien.“ Er werde voll mit der Polizei kooperieren, sollte diese mit ihm sprechen wollen.

Fünf Stunden lang durchsuchte die Polizei das Anwesen von Cliff Richard

Fünf Stunden war die Polizei in der Luxuswohnung im Charters Komplex in Sunningdale, einer Prominentensiedlung unweit der Pferderennbahn Ascot, wo sich Sir Cliff 2008 für 3,1 Millionen Pfund eingekauft hatte. Auch der Schreibtisch wurde durchsucht, auf dem der Ventilator stand, wie man auf den Hubschrauberbildern der BBC sah. Die Internetgerüchte über Cliff beziehen sich auf angebliche Pädophilenringe in den sechziger Jahren – als Cliff selbst noch jung war. Der jetzige Vorwurf dagegen hat mit den Polizeiermittlungen gegen diese Verschwörungen unter dem Kodenamen „Operation Yewtree“ (Eibenbaum) nichts zu tun. Es handelt sich vielmehr um einen isolierten Fall: 1985 auf einer Missionsveranstaltung des amerikanischen Predigers Billy Graham in Sheffield soll sich Cliff an dem damals unter 16-Jährigen vergangen haben, der nun Anzeige erstattete. Cliff war damals der Kronzeuge des Missionars, sang Gospelsongs und hielt Reden, wie wichtig ihm der Gottesglaube sei.

Die Skandale und Pädophilieprozesse um den toten Jimmy Savile, den zu Gefängnis verurteilten Kinderfernseh-Onkel Rolf Harris, den Starberater Max Clifford oder den verstorbenen Politiker Cyril Smith haben eine Welle von Anzeigen und Klagen der nun gealterten Opfer ausgelöst. Im Juli gab die Polizei bekannt, dass über 650 Verdächtige verhaftet wurden – darunter Lehrer, Ärzte und Pfadfinderführer. Aber längst nicht alle werden angeklagt oder im Falle eines Gerichtsverfahrens für schuldig erklärt.

Für Cliff ist es besonders erniedrigend, zu diesem Kreis gerechnet zu werden. Denn der Anspruch absoluter Unschuld und Tugendhaftigkeit gehört zu seinem Image. Richard, 1940 als Harry Webb in Indien geboren, war nach einer kurzen Phase als echter Rocker der Vor-Beatles- Periode mit Elvis-Presley-Frisur und Hits wie „Move it“ der Erfinder eines neuen Pop-Genres: familiengerechte, saubere Rockmusik für alle Altersstufen. Auch die Älteren wiegen bei Cliff die Hüften. Seine Fangemeinde hält er bis heute mit einem simplen, aber nicht leicht realisierbaren Trick zusammen. Während sich alles in der Welt, in den Sitten, in den Moden, änderte, blieb Cliff Richard immer gleich.

Asexualität ist Teil seines knabenhaften Images. 1996, als er Tennisfans in Wimbledon bei einem seine berühmtesten Auftritte das Warten im Regen mit dem gemeinsamen Singen seiner alten Hits verkürzte, würdigte der eisern unverheiratete Sänger zum ersten und letzten Mal die Dauergerüchte, er sei ein heimlicher Homosexueller, mit einem rigorosen Dementi. Seither ist er etwas milder. Er setzte sich für die Schwulenehe ein und gab 2008 in seiner Autobiografie zu, dass er seit Jahren mit dem ehemaligen amerikanischen Priester John McElynn als seinem Begleiter zusammenlebt. Nicht wegen Sex, nur „weil ich es satthabe, alleine zu leben“.

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