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Panorama: Darmkeim-Gefahr als Panikmache bezeichnet

Bundesinstitut und Berliner Klinika weisen Vorwürfe zurück VON HARTMUT WEWETZER Berlin.Der gestern im "Spiegel" erschienene Bericht über Versäumnisse beim Verbot gefährlicher Tierarzneien enthält offenbar eine Reihe von Fehlern und Übertreibungen.

Bundesinstitut und Berliner Klinika weisen Vorwürfe zurück VON HARTMUT WEWETZER

Berlin.Der gestern im "Spiegel" erschienene Bericht über Versäumnisse beim Verbot gefährlicher Tierarzneien enthält offenbar eine Reihe von Fehlern und Übertreibungen.Darauf wiesen gestern das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin in Berlin, das Bundesgesundheitsminsterium und die Berliner Universitätsklinika hin. Das Magazin hatte behauptet, "Tausende" seien in Deutschland "möglicherweise" schon an bestimmten Darmbakterien (Enterokokken) gestorben.In Berliner Universitätsklinika gehöre die Krankheit "fast zum Alltag", wie aus einem "vertraulichen Bericht der Bundesregierung" hervorgehe."Verantwortlich" sei unter anderem ein Tierarzneimittel und "Leistungsförderer" namens Avoparcin.Gegen das Antibiotikum - und ein ähnliches Mittel beim Menschen namens Vancomycin - abgehärtete (resistente) Keime könnten über Nahrung oder Wasser auf den Menschen "überspringen" und zum tödlichen Risiko für Geschwächte werden.Das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz habe aber ein Verbot hinausgezögert. Dieter Arnold, Direktor des Bundesinstituts, teilte dazu gestern mit, daß die Behörde im Gegenteil sogar fast im "nationalen Alleingang" das Verbot von Avoparcin durch das Bundeslandwirtschaftsministerium erwirkt habe.1995 habe Dänemark das Mittel verboten, im Januar 1996 erfolgte das Verbot in Deutschland.Bereits 1994 habe die Bundesrepublik als erster Mitgliedsstaat auf Initiative des Bundesinstituts die zuständigen Gremien der EU veranlaßt, die europaweite Zulassung von Avoparcin zu überprüfen. Nach neuen Studien aus Skandinavien fördert das Mittel die Ausbreitung widerstandsfähiger Keime bei Tieren; auch sind die Bakterien dazu in der Lage, ihren Schutzmechanismus gegen das Arzneimittel auf andere Keimarten zu übertragen.Ein Beweis dafür, daß die Antibiotika-Resistenz vom Tier auf den Menschen übertragen wird, gibt es nicht. Weil es keine konkreten Hinweise für eine Gefährdung beim Menschen gibt, sei das EU-weite Verbot aber bisher nicht durchzusetzen gewesen, führte Arnold aus.Er warf dem "Spiegel" eine "gravierende Mißachtung der journalistischen Sorgfaltspflicht" und "armselige Recherche" vor, da es die Zeitschrift nicht einmal für nötig befunden habe, vor der Veröffentlichung der schweren Vorwürfe gegen das Bundesinstitut dieses selbst zu befragen. Der von dem Magazin zitierte "vertrauliche Bericht der Bundesregierung" ist weder dem Bundeslandwirtschafts- noch dem Bundesgesundheitsministerium und auch nicht den vom "Spiegel" genannten angeblich besonders betroffenen Berliner Klinika bekannt.Eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums stufte den "Spiegel"-Bericht als "Schwachsinn" ein.Die Behauptung, Gesundheitsminister Horst Seehofer müsse sich in dieser Woche "wegen mangelnder Kontrolle" des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbarucherschutz im Bundestag verantworten, sei unrichtig.Das Bundesinstitut habe nichts "verschleppt".Die als Grundlage einer Debatte dienende "große Anfrage" der SPD-Fraktion sei noch nicht einmal eingangen; zuständig sei im Fall von Avoparcin ohnehin das Landwirtschaftsministerium. Gegen das Antibiotikum Vancomycin (das Avorparcin-Pendant beim Menschen) widerstandsfähige Darmbakterien sind in Berlin, anders als in dem Bericht suggeriert, bis auf seltene Einzelfälle offenbar kein Problem.Vancomycin wird nur bei schweren Infektionen eingesetzt.Es gehört zur "eisernen Reserve" bei hartnäckigen Krankheitskeimen.Die Behandlung könnte erheblich erschwert werden, wenn immer mehr Erreger unempfindlich gegen das Mittel werden. Werde ein entsprechend resistenter Bakterienstamm gefunden, müsse der Patient isoliert und mit anderen Antibiotika behandelt werden, sagte Michael Foerster, Ärztlicher Direktor am Universitätsklinikum Benjamin Franklin, dem Tagesspiegel."Gestorben ist deswegen bei uns niemand." Das Problem von Krankheitskeimen, die bestimmten Arzneimitteln widerstehen, habe es schon immer gegeben.Foerster nannte den Artikel "katastrophale Panikmache". Von einer "dreisten Unverschämtheit" sprach Eckart Köttgen, Ärztlicher Direktor des Virchow-Klinikums.Jede Klinik habe "von Zeit zu Zeit" solche Patienten, aber in Berlin sei das "überhaupt kein Thema".An der Charite wurden 1996 in insgesamt 17 Stuhlproben Vancomycin-resistente Enterokokken nachgewiesen, doch habe es sich in allen Fällen lediglich um eine "harmlose Besiedlung" des Darms gehandelt, wie das Universitätsklinikum mitteilte.Auch Todesfälle durch gegen das Mittel resistente Erreger habe es an der Charité nicht gegeben.Man sei sich aber der Gefahr bewußt, die von diesen Bakterien ausgehen könne, deshalb werde das Geschehen "strengstens krankenhaushygienisch und mikrobiologisch überwacht".

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