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Panorama: Das perfekte Mädchen

Madonna hat sich schon wieder neu erfunden – als Kinderbuchautorin. Und verbreitet dabei Kabbalah-Mystik

Es ist eine Geschichte so richtig aus dem Leben. Die Mädchen Grace, Nicole, Amy und Charlotte sind die „Englischen Rosen" – „keine Pralinensorte, keine Fußballmannschaft und keine Blumen im Garten", wie es im Buch heißt, nein, die besten Freundinnen der Welt. Alles wäre wunderbar, wäre da nicht ein fünftes Mädchen aus der Nachbarschaft mit Namen Binah, das die vier auf den Tod nicht ausstehen können – weil sie zu perfekt ist. Schön ist Binah, „eine tolle Schülerin und sehr gut im Sport", kurz: „etwas Besonderes". Zu besonders für die „Englischen Rosen", also schneiden sie Binah nach Kräften. Bis ihnen eines Nachts eine Fee erscheint und sie darüber aufklärt, dass das fünfte Mädchen es gar nicht gut hat – die Mutter ist gestorben, und so muss sich Binah ganz allein um ihren Vater und den Haushalt kümmern. Da schämen sich die vier gar sehr, und schon am nächsten Tag nehmen sie Binah deshalb in ihrer Mitte auf – ab nun gibt es fünf „Englische Rosen".

Jederzeit skandalfähig

Gerade einmal 45 Seiten hat das mit reichlich bunten Illustrationen verzierte Buch, das diese rührende Kindergeschichte erzählt. Aber dafür entschädigt die Prominenz der Autorin für die Inhaltskürze des Bändchens: Madonna, die größte lebende Pop-Ikone und Nebenerwerbsschauspielerin, debütiert damit als Schriftstellerin. Ihr erstes Buch allerdings ist es mitnichten: Vor elf Jahren erschien ihr Erstling „Sex", doch darin waren noch viel weniger Buchstaben als in „Die Englischen Rosen" zu finden – stattdessen bloß bunte Fotos, auf denen die unterdessen zweifache Mutter allerlei Geschlechtsakte simulierte. Doch auch wenn sich die 45-Jährige nun am Sonntag bei der Buchvorstellung in den Londoner Kensington Roof Gardens in Begleitung ihres Ehemanns Guy Ritchie sowie ihrer Kinder Lourdes und Rocco züchtig und äußerlich hochgeschlossen gab, markiert der Verkaufsstart von „Die Englischen Rosen" keineswegs das Ende ihrer Skandalfähigkeit – vor zwei Wochen erst sorgte Madonna bei den MTV-Awards für Aufsehen, als sie Britney Spears und Christina Aguilera auf offener Bühne abknutschte.

So ist das mit großem Publicity-Aufwand in über hundert Ländern und 42 Sprachen am Montag gleichzeitig veröffentlichte Kinderbuch, das einzig in Deutschland wegen Lieferproblemen erst am Freitag erscheint, letztlich wieder nur Teil eines Image-Spiels: Madonna hat in ihrer zwanzig Jahre umfassenden Karriere fast jede denkbare Rolle angenommen. Die Sünderin und die Heilige hat sie gegeben, Luder und Liebchen, sie war Eva Peron im Film und Marlene Dietrich im Musikvideo, doch vor allem war sie immer: die Frau, die mit jeder Platte ihr öffentliches Bild neu erfand. Als visuelle Trendsetterin ist sie für die Modewelt unverzichtbar, als Musikerin blieb sie wichtig, indem sie stets im Untergrund schwelende Trends erfolgreich adaptierte. Selbst in Glaubensfragen ist Madonna Trendsetterin: Erst war sie bekennende Katholikin, dann flirtete sie mit fernöstlichen Heilslehren, nun ist sie bei der jüdischen Mystik der Kabbalah angelangt. Sie unterstützt in diesem Zusammenhang das umstrittene „Kabbalah Centre“, das weltweit über 50 Filialen unterhält. Jüdische Gemeinden distanzierten sich davon, vor allem die Mischung mit Elementen aus dem Esoterik- und Psychomarkt sowie das Spendengebaren sorgten für negative Presse. Tatsächlich ist der Name der Protagonistin von „Die Englischen Rosen" dieser Mystik entnommen. „Binah" bezeichnet in der Kabbalah-Lehre eine von zehn Stufen des so genannten „Baums des Lebens" – nämlich „Mutter". Insofern klingt eine Äußerung Madonnas vom Sonntag durchaus missionarisch: „Ich habe kein Interesse daran, als Schriftstellerin anerkannt zu werden, ich will eine Botschaft vermitteln." Die allerdings hat auch einen autobiografischen Hintergrund – der zur einen Hälfte bei Madonna und zur anderen bei ihrer Tochter zu finden ist. Denn während Madonna wie Binah früh ihre Mutter verlor, gab die frischgebackene Autorin nun zu, dass ihre eigene Tochter Lourdes im wahren Leben ganz ähnliche Verhaltensweisen von Kindern erlebe wie das Mädchen im Buch. Und doch gibt es einen gewichtigen Unterschied zwischen Fiktion und Realität: Die kleine Lourdes muss mitnichten den Haushalt der Familie Ritchie schmeißen.

Andreas Grosse

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