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Panorama: "Das Traumpaar": In den Metropolen des Wahnsinns

Was ist ein Traumpaar? Müssen die Partner jung, reich und schön sein?

Was ist ein Traumpaar? Müssen die Partner jung, reich und schön sein? Sich ideal ergänzen und auf romantische Weise zueinander gefunden haben? Müssen sie ein Geheimnis haben? Oder wenigstens gemeinsame Träume? All das und noch viel mehr verrät Jörg Uwe Sauer in seiner neuer Erzählung "Das Traumpaar", die in Berlin mit Mignon beginnt und in Triest, beziehungsweise Salzburg, mit Berenice endet. Dazwischen macht der Erzähler irrwitzige und groteske, deprimierende und lächerliche Erfahrungen mit den Bildungsinstitutionen dieser Städte - naturgemäß, könnte man hinzufügen; aber alles der Reihe nach.

Unibetrieb ist dumm

Jörg Uwe Sauer, 1963 in Wanne-Eickel geboren, hatte bereits vor zwei Jahren mit seinem ersten Roman "Uniklinik" ein virtuoses und abgründig-satirisches Werk vorgelegt: Der namenlose, hartnäckig schweigende Ich-Erzähler beschreibt in einem unaufhaltsamen, teils monotonen, teils rasanten inneren Monolog den Wahnsinn und die aufgeblasene Dummheit des ihn umgebenden Universitätsbetriebes.

Mit bösartiger, absurder Konsequenz entwickelt der Erzähler ein einziges Gegenmittel gegen die umfassende Abstumpfung, nämlich Holzfällen, ein verbürgtes Mittel der Erregung, speziell geeignet für seelisch deformierte Akademiker. Die Idee wird ein großer Erfolg, und jeder Professor oder Assistent, der etwas auf sich hält, hat bald eine schicke Säge und das dazugehörige Designer-Arbeits-Outfit. Die neue Erzählung "Das Traumpaar" knüpft nun direkt an "Uniklinik" an.

Auf dem Weg nach Triest hatten wir den Erzähler des ersten Buches verlassen; mit dem ersten Satz des neuen kommt er, nach einem längeren Zwischenstopp in Berlin, dort an: "Das also ist Triest, eine weitere Metropole des Wahnsinns, so dachte ich damals, das also ist Triest, war mein erster Gedanke bei unserer Ankunft in dieser Stadt des Todes, in dieser Metropole des Merkantilen, in dieser somit geist- und auch kulturfeindlichen Stadt, in dieser künstlichen, nicht naturgemäß entstandenen Stadt, in dieser Grenzstadt mit ihrer österreichischen und ebenso faschistischen Vergangenheit, in dieser Frau, wie Umberto Saba schrieb, in dieser Stadt aus Papier, wie es bei Claudio Magris heißt, in questa città senza hinterland, wie das übrige Italien abwertend feststellt", heißt es im ersten Satz (der dreieinhalb Seiten lang ist); und darin steckt schon im Kern das ganze Programm dieser Erzählung. Um den alltäglichen Wahnsinn geht es, der sich dank der Sprach- und Literaturbesessenheit des Erzählers an jedem Detail neu entdecken und fortschreiben lässt. Dabei treiben die Phantasie und diverse Versatzstücke aus der Literatur- und Filmgeschichte die Handlung in immer neue, Schwindel erregende Verstrickungen; wobei die Geschichten immer die schlimmstmögliche Wendung nehmen.

Eine Freude für alle, die schon länger in Berlin leben, ist auch die bösartig zutreffende Charakterisierung der manchmal so dünkelhaften Stadt als Gurkenstadt, als völlig vergurkte Stadt (dank der gigantischen Gurkenfelder an der Peripherie zur Erzeugung der weltweit marktführenden "Spreewälder Gurken"). Und so vergurkt wie die ganze Stadt, ist naturgemäß auch das Revier des Erzählers: die Universität. Dort gelingt es ihm, eine Professur für Tonsatz zu ergattern, ein ebenso ausgefallenes wie ergiebiges Einsatzgebiet, von dem er allerdings nur sehr beschränkte, um nicht zu sagen: verschwindend geringe Kenntnisse besitzt. Ein Betrüger also, auf den die Professoren und Universitätsdekane wegen ihrer Dummheit und Selbstverliebtheit und vor allem wegen ihres Standesdünkels hereinfallen.

Der Erzähler braucht dabei nichts weiter zu tun als sich selbst zum Spiegel ihrer Schwächen und zur Projektionsfläche ihrer Eitelkeiten zu machen und dabei schauspielerisch einigermaßen geschickt zu agieren. Damit offenbart sich eines der Geheimnisse dieses bitterbösen Endlosmonologs eines Hochstaplers, der auf alles und jeden nur schimpft, dessen sich immer wieder an sich selbst aufladende Sprachwut keine Grenzen und keine Abkühlung zu kennen scheint.

Überheblichkeit und Selbstmissachtung

Im Tiefsten ist er, wie alle seine Kollegen, ein Moralist. Die Abgründe menschlicher Verhaltensweisen ziehen ihn an, weil nur im Seiltanz darüber hinweg eine Balance möglich wird zwischen grandioser Überheblichkeit und Selbstmissachtung. So schreibt der Erzähler, inzwischen in der Psychiatrie einsitzend, seine "Bekenntnisse", unter der strengen Aufsicht von Frau Dr. Klammer, der Vorsitzenden der Ärztekommission (Namensähnlichkeiten mit lebenden Personen, etwa mit der liebenswürdigen Lektorin des Verlages Jung & Jung, sind selbstverständlich rein zufällig!).

Der ganze Tonfall dieses Romans, die endlosen Satzkaskaden, die Wortassoziationen, die die Handlung strukturieren und vorwärtstreiben: all das ist uns, ebenso wie "Holzfällen. Eine Erregung" von Thomas Bernhard her bekannt und ans Herz gewachsen. Auch der Erzähler, ein an seinem Werk scheiternder Künstler, der halb griesgrämig, halb wütend mit der Welt abrechnet und dabei vor allem seine eigenen Macken sprachlich konserviert, könnte von Thomas Bernhard sein - man hört fast schon Bernhard Minetti sprechen.

Halb Faustus, halb Don Quijote

Sollte hier ein Bernhard-Süchtiger am Werk sein, dem nach dem Tod des verehrten Meisters der Stoff ausgegangen ist und der jetzt gezwungenermaßen selbst für Nachschub sorgt? So ist es nicht ganz. Jörg Uwe Sauer macht natürlich aus seiner literarischen Liebe kein Hehl. Das Motto des Buches lautet: "Das Zitieren geht mir auf die Nerven. Aber wir sind ja eingeschlossen in eine fortwährend alles zitierende Welt, in ein fortwährendes Zitieren, das die Welt ist, Doktor." (Thomas Bernhard, Verstörung). Doch anders als bei Thomas Bernhard stammt das Personal bei Jörg Uwe Sauer klar erkennbar aus den siebziger und achtziger Jahren, was ein anderes Sortiment von Existenzialien bedeutet. Das Herzstück der Erzählung bilden die witzigen und skurrilen, mitunter auch grotesken Liebesgeschichten seines "Helden" - der halb ein Doktor Faustus, halb ein Don Quijote ist. Natürlich arbeitet der Autor auch hier leichthändig mit Zitaten - so landet die Berliner Liebesgeschichte mit Mignon, frei nach Goethe erzählt, sogar in der Bildzeitung. Doch das absolute Traumpaar in diesem Buch sind der Erzähler und Berenice.

Sie lernen sich unter absonderlichen Bedingungen in Triest kennen und sie spielen "Harold und Maude" perfekt. Bis zum nicht mehr zu überbietenden Showdown, einem Verkehrsunfall mit so verstörenden, so genüsslich zusammenmontierten, grässlichen Details, dass der amüsierte Leser vor lauter sprachlicher Anteilnahme danach fast so reif für die Insel ist wie der verstörte Erzähler.

Nicole Henneberg

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