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Panorama: Das überschreitet die Grenzen

Die verstärkten Kontrollen machen Deutschen und Schweizern schlechte Laune – dagegen sollen Gummibärchen helfen

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An der deutsch-schweizerischen Grenze kocht der Volkszorn hoch: Grenzfahrer, die bislang nur selten den Ausweis zücken mussten, sollen seit knapp zwei Wochen bei jeder Einreise nach Deutschland die Papiere bereit halten. Die Menschen in der Region rätseln, was das Grenzschutzamt Weil am Rhein bewegt hat, Tage vor den Terroranschlägen in Madrid von den bisher üblichen Stichprobenkontrollen abzuweichen. Offiziell heißt es, man habe sich auf die Vorschriften des Schengener Abkommens an einer EU-Außengrenze besonnen.

In den ersten Tagen der verschärften Kontrollen staute sich bei der Einreise nach Deutschland kilometerlang der Verkehr. Der deutsche Handel protestierte, Grenzfahrer reagierten mit Hupkonzerten am Schlagbaum und beschimpften Beamte des Bundesgrenzschutzes. Inzwischen wurden 80 Zusatzkräfte an die Grenze verlagert. Auch wenn der Verkehr in den vergangenen Tagen fast wie gewohnt rollte, das Unverständnis über die verschärften Kontrollen bleibt. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Hochrhein-Bodensee spricht gar von einem „skandalösen“ Vorgehen. Sie ist mit einer Delegation nach Berlin gereist, um mit Vertretern des Innenministeriums über die langfristigen Auswirkungen der neuen Kontrollpraxis für den deutschen Handel zu reden. Der setzt jährlich 440 Millionen Euro um.

Raimund Franke, Chef des Kaufhauses Karstadt in Konstanz, beklagt massive Einbußen in der Woche nach den verschärften Grenzkontrollen. Gut die Hälfte der Schweizer Kunden sei weggeblieben, die Umsätze seien um 70 000 Euro geschrumpft. Franke steht mit dieser Erfahrung offenbar nicht allein da. In einer Umfrage der IHK in den Landkreisen Konstanz, Lörrach und Waldshut wurden die Umsatzeinbußen mit durchschnittlich 30 Prozent beziffert. Geschäftsleute bemühen sich inzwischen, Schweizer Kunden durch Anzeigen („Kommen Sie doch trotzdem!“) und Sonderaktionen wiederzugewinnen. Am vergangenen Wochenende versuchten Mitarbeiter des Konstanzer Stadtmarketings Autofahrern die Wartezeiten an der Grenze zu versüßen – sie verteilten Gummibärchen.

Über den Grund für die offiziell weiterhin verschärfte Kontrollpraxis wird viel spekuliert. In Bern wurde gemutmaßt, sie sei als Druckmittel eingesetzt worden, um die Schweiz zur vorzeitigen Unterschrift unter das Abkommen zur Zinsbesteuerung mit der EU zu bewegen. Beim Grenzschutzamt Weil am Rhein heißt es: Von Ausnahme-Möglichkeiten bei den Kontrollen an der EU-Außengrenze zur Schweiz sei zu stark Gebrauch gemacht worden. Man habe die Praxis dem Schengener Abkommen angepasst.

Der Zollkonflikt fällt in eine Zeit, in der es zwischen der Schweiz und Deutschland politisch nicht rund läuft. Die Länder streiten sich über Lärmbelastungen durch Anflüge auf Zürich, verhandeln in Sachen Bankgeheimnis. Inzwischen sind die Luftverkehrs- und Grenzkonflikte Chefsache. Sie sollen Thema eines Spitzengesprächs im April zwischen dem Schweizer Bundespräsidenten Joseph Deiss und Bundeskanzler Gerhard Schröder in Berlin sein.

Claudia Rindt[Konstan]

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