zum Hauptinhalt

Panorama: Das Wunderkind

Ouarda litt an Krebs und hätte gar keine Kinder bekommen können. Jetzt kam ihre Tochter zur Welt

Am vergangenen Donnerstag, um 19 Uhr 05, kam das Wunder auf die Welt. Die Belgierin Ouarda Touirat, 32, hat ein Mädchen geboren, Tamara, 3,72 Kilogramm schwer, gesund. „Ich bin sehr glücklich“, sagte die junge Mutter vor Blitzlichtern und Mikrophonen auf einer Pressekonferenz in Brüssel. „Was ich mir immer gewünscht habe, ist wahr geworden. Es war ein Traum.“

Ein Traum ist wahr geworden – und zugleich ist ein großes medizinisches Wagnis in einer weltweiten Premiere geglückt. Nach einer Krebsdiagnose hatte Touirat 1997 einen Teil ihres Eierstocks entfernen und einfrieren lassen. Letztes Jahr tauten die Ärzte das Gewebe auf, reimplantierten es in den Körper der Frau, die knapp elf Monate später schwanger wurde und nun ein Mädchen zur Welt gebracht hat.

„Dieses Ergebnis eröffnet Perspektiven für Frauen, die in jungen Jahren mit einer Krebserkrankung konfrontiert und deren Eierstöcke in Gefahr sind“, erklärt der leitende Gynäkologe Jacques Donnez. Viele Krebsformen junger Menschen können inzwischen gut behandelt und geheilt werden. Bei über 90 Prozent der Mädchen und jungen Frauen springt eine Chemo-, Strahlentherapie oder auch Knochenmarkstransplantation an. Gerade das Eierstockgewebe jedoch wird dabei oft in Mitleidenschaft gezogen. Die häufige Folge: Unfruchtbarkeit.

Eine Möglichkeit ist es deshalb, sich vor der aggressiven Chemo- und Strahlentherapie ein Teil des Eierstockgewebes entfernen und einfrieren zu lassen. In Tierversuchen war dies Forschern bereits mehrfach geglückt. Beim Menschen jedoch noch nie.

Anfang des Jahres noch berichteten Forscher über eine Fallgeschichte von einer Frau mit Brustkrebs, die aber auch nach dem Versuch einer künstlichen Befruchtung nicht schwanger wurde. Nun ist es gelungen. In der Online-Ausgabe des britischen Fachmagazins „The Lancet“ berichten der Gynäkologe Donnez und sein Team ausführlich , wie es dazu gekommen ist.

1997 hatte das Ärzteteam von Touirats linkem Eierstock fünf Gewebeproben entnommen, mit dem Ziel, diese einzufrieren und so zu konservieren. Die Patientin litt unter dem Hodgkins-Lymphom, einer Form von Lymphknotenkrebs. Damals 25 Jahre alt, bestand die einzige Hoffnung für die Frau in einer Chemotherapie, die aller Voraussicht nach jedoch ihr Eierstockgewebe nachhaltig schädigen würde.

Die Ärzte kühlten das Gewebe bis auf minus 196 Grad. Währenddessen bekam die junge Frau zunächst eine Chemo-, danach eine Strahlentherapie. Der Krebs bildete sich zurück, zugleich aber blieb von nun an auch der Monatszyklus aus – Folge der Behandlung, die das Eierstockgewebe stark geschädigt hatte.

Touirat besiegte den Krebs. Und sie wollte ein Kind. Also tauten die Ärzte 2003 die Gewebsproben behutsam auf, implantierten sie wieder an den Eierstock heran. Kein halbes Jahr später hatte der Monatszyklus bereits wieder eingesetzt, und Frau Touirat wurde auf natürlichem Weg schwanger – eine künstliche Befruchtung war gar nicht nötig.

Die Geburt des Mädchens kröne „zehn Jahre Forschung“, wie es aus der belgischen Saint-Luc-Klinik heißt, in dem Tamara geboren wurde. Experten zufolge ist die Verpflanzung von Eierstockgewebe nicht nur eine Hoffnung für krebskranke Frauen. Theoretisch ist es auch möglich, mit Hilfe dieser Technik die Menopause von Frauen um Jahre hinauszuschieben. Die biologische Uhr würde etwas langsamer ticken. Dazu stehen allerdings auch andere Möglichkeiten offen, wie etwa das Einfrieren von bereits befruchteten Eizellen.

Noch ist das weitgehend Zukunftsmusik, und obwohl den Ärzten ein weiterer Sieg im Kampf gegen den Krebs gelungen ist, so war und ist auch dieser Eingriff nicht ohne Risiken. Beispielsweise ist nach wie vor die Gefahr nicht auszuschließen, dass das reimplantierte Gewebe Krebszellen enthält, die die Krankheit wieder aufleben lassen, wie die Ärzte in dem Fachmagazin „Lancet“ berichten. Die Untersuchungen der Gewebsproben jedoch hätten darauf nicht hingewiesen.

Und so gibt es für Ouarda Touirat und ihre Ärzte gleich doppelten Anlass zum Feiern: Die Geburt und die erfolgreiche Bekämpfung des Krebs.

Zur Startseite