zum Hauptinhalt
Justizreporter während der Verhandlung im Presseraum des Gerichts. Foto: Reuters

© REUTERS

Panorama: Demaskierung eines Massenmörders

Eine Staatsanwältin bringt Breivik durcheinander – den Angehörigen hilft das.

Sie haben ein unglaubliches Blutbad überlebt. Sie wurden angeschossen, stellten sich tot, blickten einem kaltblütigen Mörder in die Augen. Doch jetzt kann Anders Behring Breivik den Überlebenden der Schießerei auf der norwegischen Fjordinsel Utøya keine Angst mehr machen. „Ich erlebe ihn nicht mehr als beängstigend“, sagt Haakon Roalsö in die Fernsehkameras. Die Überlebenden sehen Breivik vor Gericht, machtlos und unsicher. Die souveräne Staatsanwältin Inga Bejer Engh demaskiert ihn Stück für Stück.

Sie lässt sich nicht provozieren, zerlegt sein „Manifest“, lässt sein irres Weltbild bröckeln. Breivik hat sichtlich Angst, als lächerlich dargestellt zu werden. Immer wieder beschwert er sich, er werde bloßgestellt. Das hilft den Angehörigen der 77 Menschen, die am 22. Juli 2011 bei der Explosion einer Bombe in Oslo und der anschließenden Schießerei auf Utøya starben.

Am dritten Tag des Prozesses sitzen noch viele im Gerichtssaal. Die Überlebenden von Utøya verfolgen den Prozess in einem eigenen Raum. Sie alle durchleben ihre schlimmsten, grausamsten Stunden noch einmal. Die meisten tragen Aufkleber mit der Aufschrift „no interviews“ – sie wollen nicht reden.

Einige aber äußern sich doch: „Es war sehr schwer für mich, dem Mann zuzuhören, der mich umbringen wollte und so viele meiner Freunde getötet hat“, sagt Björn Ihler. Auf Utøya rettete er zwei Jungen das Leben, zusammen versteckten sie sich. Jetzt kommt die Erinnerung wieder hoch. „Dort wollte er mich damals töten und hätte es auch fast geschafft. Jetzt ist er entwaffnet und sitzt vor Gericht“, sagt Ihler. Es sei wichtig, ein klares Bild von Breivik zu bekommen, „um zu erfahren, was hinter seinen Taten steht“. Den Massenmörder aber zu verstehen scheint unmöglich.

„Es ist interessant zu sehen, wie dieser Mann, der uns und unseren Familien so unglaublich wehgetan hat, eine Wirklichkeit aufgebaut hat, die jetzt mehr und mehr zusammenbricht“, sagt Christin Bjelland von der nationalen Unterstützergruppe für Angehörige. Ihr Sohn Vebjörn konnte sich von Utøya retten. Jetzt erlebt sie, wie Staatsanwältin Engh Breiviks Ideen Fakten entgegensetzt.

Die 41-jährige Vertreterin der Anklage spricht mit dem Massenmörder fast wie mit einem Kind. Das mache sie vor Gericht immer so, hatte die blonde, schlanke Frau am Vortag schon erklärt. Sie wolle ihn aber nicht lächerlich machen, versichert sie Breivik am Mittwoch mehrmals – und schafft es mit sachlichen Fragen doch, den Attentäter immer wieder bloßzustellen.

Für die Angehörigen seien vor allem die ersten zwei Tage schlimm gewesen, berichtet Bjelland. Die Anklage mit jedem namentlich genannten Todesopfer und die dramatische Tonaufnahme eines Notrufes hätten viele mitgenommen. „Und am zweiten Tag der Angriff Breiviks auf die sozialdemokratische Jugendorganisation AUF und alles, wofür sie steht.“ Der Massenmörder hatte die AUF, deren Sommerlager auf Utøya er überfiel, mit der Hitlerjugend verglichen. Es seien keine unschuldigen Kinder gewesen, die er getötet habe. Der Schrecken im Gerichtssaal war hörbar. Inzwischen aber sieht man viele, die, zwischen all der Trauer, auch über Breiviks wirre Aussagen lachen. Im Internet allerdings haben sich bereits erste Unterstützer des Angeklagten gemeldet. Auf der Facebookseite „Stoppt die Islamisierung Norwegens“ schrieben laut dem norwegischen Fernsehsender TV2 viele, dass sie zwar Breiviks Morde verurteilten, seine Gedanken aber generell unterstützen.

Eigentlich sei es ihm ganz egal, was der Attentäter sage, betont der 24-jährige Tore Bekkedal. „Hauptsache er bekommt einen normalen Prozess und wird verurteilt.“ Breivik selbst hält eine langjährige Gefängnisstrafe für seine Taten für „erbärmlich“. Es könne nur zwei gerechte Urteile geben: Freispruch oder Todesstrafe. Ihm drohen die Einweisung in die geschlossene Psychiatrie oder die maximale Freiheitsstrafe von 21 Jahren, je nachdem, ob die Richter ihn für zurechnungsfähig oder geisteskrank halten.

Dass der Mörder so oder so nie wieder freikommt, davon ist Freddy Lie überzeugt. Seine 16 Jahre alte Tochter starb auf Utøya, ihre große Schwester überlebte schwer verletzt. „Ich muss wissen, warum das passierte. Dann können wir weiterleben.“INSEL UTØYA] Theresa Münch (dpa)

Zur Startseite