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Panorama: Der Ätna – am Rande der Explosion

Seit Tagen bebt auf Sizilien die Erde. Die Stöße werden härter. Experten befürchten das Schlimmste

Ohne Schirm kann man nicht aus dem Haus gehen. Die Asche fällt wie Schnee auf die Stadt. Und das stundenlang. Die kleinen weichen und schwarzen Rußpartikel legen sich wie eine dunkle Schicht auf Häuser und Straßen und alles, was sich bewegt. Sie heften an Jacken und an den Haaren und sind extrem schmierig. Nur vorsichtig bewegt man sich vorwärts. Die Asche ist glitschig.

„Da vorn, sehen sie“, ruft ein Straßenpolizist in der Viale Vittorio Veneto aufgeregt, „schon wieder ein Unfall“. Viele Autofahrer unterschätzen den dichten Aschenregen, der auf den Straßen einen Effekt erzeugt wie bei Eisglätte. An den meisten Kreuzungen kommt es deshalb zu Auffahrunfällen.

Wer nicht unbedingt etwas erledigen muss, bleibt daheim.

Nach den vielen Beben, die den Ausbruch des Ätna seit Tagen begleiten, gab es am Dienstag einen besonders starken Erdstoß: 4,4 auf der Richterskala wurden gemessen. 1000 Menschen sind obdachlos. Mehrere Menschen wurden leicht verletzt, als sie in Panik auf die Straße liefen. Viele Häuser der Ortschaft Santa Venerina sind zerstört.

Die Lava schoss 100 Meter aus den Kratern. Zugleich wälzte sich die Lavaflut weiter in das Tal. Die dunkle Aschewolke breitete sich bis nach Malta und Nordafrika aus. Rettungsmannschaften errichteten bei Santa Venerina Zelte für die Obdachlosen. Auch in der Hafenmetropole Catania waren die Erdstöße zu spüren. Unmittelbar darauf ging erneut ein dunkler Ascheregen über die Stadt nieder. „So schlimm waren die Auswirkungen eines Ätnaausbruchs noch nie“, meinte ein Bewohner. Die Behörden der Stadt kündigten an, gratis Atemmasken verteilen zu wollen.

Gespenstisch wirken die vielen leeren Straßencafes mit ihren aufgespannten Sonnenschirmen und ihren verwaisten Stühlen.

Fast alle Gemüse-, Fisch- und Fleischhändler haben ihre Läden dicht gemacht. In dem in der Regel belebten und populären Stadtviertel San Cristoforo sind Straßen und Plätze menschenleer. Die hier besonders beliebten „chianche“, das sind Lokale, in denen Pferdefleisch unter freiem Himmel gebraten wird, sind geschlossen. Der Ätna ist ein Berggigant von 3340 Metern Höhe. Er ist der größte Vulkanberg Europas. „Er gilt eigentlich als friedlicher Berg“, meint Chiara Vagoni, „doch das ist ein großer Irrtum“. „Wie wir nach jüngsten Forschungen heute mit Bestimmtheit sagen können“, erklärt die junge Vulkanologin vom vulkanologischen Institut nicht weit unterhalb des Hauptkraters, „rappelt es hier alle paar Jahrhunderte ganz gewaltig“.

Ein solches Datum scheint jetzt wieder anzustehen. „Seit Tagen bebt hier die Erde“, berichtet sie und zeigt uns im Vulkanzentrum, dass in 2200 Metern Höhe liegt, seismografische Aufzeichnungen. „Erdbeben kündigen Vulkanausbrüche an“, sagt sie. Vor allem solche Ausbrüche, „die nichts Gutes ahnen lassen“. Ausbrüche wie 1669. Damals zerstörten Asche und Regen einen Großteil der Stadt Catania, die 30 km vom Berg entfernt liegt. Gianni Frazzetta: „Wir müssen auch heute mit dem Schlimmsten rechnen“. Franzetta ist Vulkanologe und hat einige Jahre lang das vulkanologische Zentrum am Ätna geleitet. Er führt uns in die Nähe des neuen Kraters, der in den letzten Tagen am Nordwestrand des Berges entstanden ist.

„Die seit Jahren hier zu beobachtende verstärkte Erdbebentätigkeit“, erklärt auch Chiara Vagoni vom Vulkanzentrum, „deutet auf eine verstärkte Bewegung der afrikanischen und europäischen Erdplatten hin, die aneinander reiben“. Der Vulkanberg leidet darunter, „und könnte aufplatzen“.

Thomas Migge[Catania]

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