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Panorama: Der aus Originalaufnahmen gemachte Dokumentarfilm zeigt einen Mann, der Angst hat

Das Auffälligste in Eichmanns Gesicht ist der Mund, den er häufig nervös verzieht und in dem er mit seiner Zunge hartnäckig herumbohrt. Es zuckt in diesem Gesicht.

Das Auffälligste in Eichmanns Gesicht ist der Mund, den er häufig nervös verzieht und in dem er mit seiner Zunge hartnäckig herumbohrt. Es zuckt in diesem Gesicht. Eichmann hat Angst. Wir sehen einen Mann, dem bewusst ist, dass er bald sterben muß: Tod am Galgen. Der Angeklagte weiß, wie das Urteil lauten wird, dumm ist er nicht.

Adolf Eichmann, geboren 1906 in Solingen, hat die Deportation der europäischen Juden in die Vernichtungslager organisiert. Nach dem Krieg versteckt er sich in Argentinien. Der israelische Geheimdienst entführt Eichmann, 1961 wird er in Jerusalem vor Gericht gestellt, in einem Kasten aus kugelsicherem Glas, und zum Tode verurteilt. Hannah Arendt beobachtet den Prozess und schreibt anschließend ein Buch, dessen Titel zu einer der Metaphern unseres Jahrhunderts geworden ist: Die Banalität des Bösen. Denn Eichmann stellt sich während des Prozesses als ein unauffälliger, durchschnittlicher Mann heraus, ein beflissener Angestellter, dem alles Dämonische fehlt. Monströs sind seine Taten, nicht er. Wie schwer diese scheinbar einfache Tatsache zu begreifen ist, konnten wir schon oft im Kino besichtigen. Wider besseres Wissen stilisieren Drehbuchautoren und Regisseure die Nazimörder gerne zu diabolischen Superschurken, denen die Mordgier ins Gesicht geschrieben steht: zuletzt geschehen in dem Mengele-Film "Nichts als die Wahrheit" mit Götz George. Eichmann dagegen sagt vor Gericht über seine Rolle: "Es war im Wesentlichen eine transporttechnische Angelegenheit."

Der Film zum Buch

Die Sache Adolf Eichmann wurde, als einziger NS-Prozess, komplett auf Video aufgezeichnet. Der größte Teil der Bänder existiert noch. Rony Braumann, der frühere Vorsitzende der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen", und der israelische Dokumentarfilmer Eyal Sivan haben nun aus diesen Videobändern einen Film gemacht. Kann man aus "Der Spezialist" Erkenntnisse gewinnen, die wesentlich über Arendts Beobachtungen hinausgehen? Vermutlich nicht. Dennoch hat der Film eine ungeheure Wirkung. Zum ersten Mal kann das Publikum einem der deutschen Massenmörder ins Gesicht blicken, während er über seine Taten spricht, und zwar keinem Greis, sondern einem Mittfünfziger. Das Bild wirkt stärker als das Wort, auch dann, wenn in einem Film fast nur geredet wird: Man kennt das von Claude Lanzmanns "Shoah". Die Abwesenheit solcher Täterbilder in unserem öffentlichen Bewusstsein wird einem erst klar, wenn man "Der Spezialist" sieht: Sie waren in den Nebeln der Abstraktion verschwunden, diese unauffälligen Damen und Herren Mörder, als ein beinahe theoretisches Problem, während wir die Leichenberge von Auschwitz jederzeit in unserem Gedächtnis aufrufen können. So dient dieser Eichmann-Film der historischen Gerechtigkeit, indem er den Bildern der nackten, ihrer Würde beraubten Toten das Bild eines Mannes entgegensetzt, der Angst hat.

Einer, der mit sich reden ließ

Eichmann könnte sich gegen seine Richter auflehnen. Oder er könnte sich schuldig bekennen. Kampf oder Kapitulation, trotziges Beharren oder Selbsterkenntnis. Beides liegt allerdings jenseits seiner charakterlichen Möglichkeiten. Stattdessen beruft Adolf Eichmann sich auf die Befehle seiner einstigen Obrigkeit, und er tut dies mit Gesten der Unterwürfigkeit seinen israelischen Richtern gegenüber. Wenn jemand dem NSDAP-Mitglied Eichmann befehlen würde, als nächste Maßnahme Nazis umzubringen: Er würde es vermutlich tun.

Er war allerdings einer, mit dem man reden konnte. So berichten jüdische Zeugen: Eichmann hielt sich stets an Übereinkünfte, penibel in jeder Hinsicht. Vor Gericht blättert er meist konzentriert in den Akten, das Bild eines bis in den Tod perfekten Bürokraten, den eigenen Tod eingeschlossen. Oder er schaut ins Leere. Gelegentliche Anflüge von Renitenz zeigt er, wenn der Staatsanwalt mit ihm spricht. Während die drei Richter sachlich mit dem Angeklagten umgehen und gelegentlich sogar deutsch mit ihm reden, gefällt sich Staatsanwalt Hausner in theatralischen Anklägerposen. "Meine inneren Gefühle gebe ich nicht preis", sagt Eichmann auf die Frage, ob er Schuld spüre, aber Selbstmitleid zeigt er durchaus. Diese Gräuel mit ansehen zu müssen. Noch schlimmer als ihn hat es den armen Höss getroffen, den Kommandanten von Auschwitz. "Ich hätte mich an seiner Stelle erschossen."

"Das hat sich automatisch irgendwie ergeben" - dieser Satz fasst wahrscheinlich am besten zusammen, was Adolf Eichmann über sich und seine Schuld zu sagen weiß. Darf man mit Eichmann Mitleid haben, dem Mann, der Angst hat? Muss man es vielleicht sogar? Ich weiß es nicht.In Berlin in Eiszeit (OmU) und Hackesche Höfe.

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