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Panorama: Der Kanarienvogel in der Kohlegrube

Er hat Mike Tyson und Mia Farrow verteidigt und ist selbst längst berühmt. Die Autobiografie des amerikanischen Anwalts ist soeben erschienenAlan Dershowitz ist Amerikas bekanntester Strafverteidiger.

Er hat Mike Tyson und Mia Farrow verteidigt und ist selbst längst berühmt. Die Autobiografie des amerikanischen Anwalts ist soeben erschienen

Alan Dershowitz ist Amerikas bekanntester Strafverteidiger. Er vertritt die Prominenz aus Kultur, Sport und Politik, möchte von ihm vertreten werden: Jährlich erreichen ihn etwa 5000 Anfragen. Seine spektakulären Plädoyers für Claus von Bülow lieferten bereits den Stoff für einen Film. Dershowitz, 62, lehrt in Harvard, gewinnt Prozesse, schreibt Bücher und Kolumnen. Streitbar ist er auch in seinem Engagement für Bürgerrechte, insbesondere für die Rechte der Juden in Amerika und für die Abschaffung der Todesstrafe. In der Europäischen Verlagsanstalt ist soeben seine Autobiografie "Chuzpe" erschienen.

Mr. Dershowitz, wie spricht man als Anwalt mit Mike Tyson?

Man verwendet klare Worte.

Wie klar?

Hier ist mein Schlüsselerlebnis mit Tyson. Ich traf ihn vor dem Vergewaltigungs-Prozess in einem Hotel in Indianapolis. Mister Dershowitz, sagte er, bevor Sie mich verteidigen, muss ich unbedingt zwei Sachen von Ihnen wissen. Erstens: Glauben Sie an meine Unschuld? Zweitens: Was halten Sie von mir als Mensch - nein, er sagte: Was halten Sie von mir als Mann? Um ihn herum saß eine kleine Gang von Freunden. Okay, meinte ich, ob Sie unschuldig sind, kann ich unmöglich wissen. Ich werde mein Bestes tun, Sie zu verteidigen. Und was ich von Ihnen als Mensch halte: Sie sind ein Schmock!

Das kann Mandanten vergraulen ...

Man muss als Anwalt ehrlich sein, anders gibt es keine Basis für gute Zusammenarbeit. Tyson drehte sich jedenfalls zu seinen Freunden um und rief: Habt Ihr das gehört? Der Mann nennt mich einen Schmock! Ich bezahle ihn, und der Kerl beschimpft mich!

Bekamen Sie es mit der Angst zu tun?

Nein. Ich sagte ihm, stellen Sie sich doch mal vor, was Sie da getan haben. Sie sind betrunken, und Sie nehmen eine wildfremde Frau nachts um drei mit auf Ihr Zimmer. Damit riskieren Sie, dass Sie eine Dummheit machen, und Sie riskieren auf alle Fälle, dass man schlecht über Sie spricht. Tyson guckte mich völlig verdutzt an. Er hielt einen Moment inne, und dann wandte er sich wieder an seine Jungs, die ihn restlos bewunderten. "Hey, der Mann hat Recht!" rief er. "Ich bin ein Schmock! Warum hat mir keiner von Euch Typen das je gesagt?"

Er war wieder auf dem Teppich.

So war es, und dann konnte ich den Fall annehmen, weil er meine Kritik angenommen hatte. Ich habe diese Geschichte mit Tyson und dem Schmock auch Bill Clinton erzählt, als er mich fragte, was ich von seinen Anwälten hielt, die ihn im Amtsenthebungsverfahren vertraten. Sie hätten ihm niemals zuraten dürfen, unter Eid auszusagen. Aber offenbar waren sie zu beeindruckt von ihm und wagten nicht zu widersprechen. Vielen Stars fehlt ein Korrektiv, Freunde, die einem sagen, wer man ist und wann man Mist gebaut hat.

Leute, die einen lieben?

Das ist wesentlich. Ein Star zu sein, eine Berühmtheit, das hält die Seele nur aus, wenn es ein freundliches, nüchternes Gegengewicht gibt: jemanden, der einen erdet.

Wer hat denn auf Sie einen solchen Einfluss?

Carolyn, meine Frau. Sie unterscheidet zwischen dem "Dersh-Character", dem Mann, den sie mit Larry King auf CNN sieht und der von hundert Fotografen und Mikrofonen belagert ist, und dem wirklichen "Dersh", dem Mann, den sie liebt. Was uns dabei verbindet, ist, dass sie den Dersh-Character genauso wenig leiden kann wie ich. Er ist nicht identisch mit mir, er ist eine Fernsehgestalt. Als ich meine Frau kennen lernte, wusste sie überhaupt nicht, wer ich bin und was ich mache. Das fand ich bezaubernd. Dass sie mir die Wahrheit sagt, das hält mich beisammen.

Hatte O.J. Simpson eigentlich jemanden, der ihn vor Realitätsverlust schützte?

Ich fürchte nein. Er kannte wenig Distanz zwischen dem privaten O.J. und dem öffentlichen O.J., er reflektierte das nicht.

Dann geht ein Prominenter sich selbst auf den Leim?

Auf sein Prestige und auf Prestigeobjekte fällt er herein. Meine Frau ist genau wie ich an so etwas nicht interessiert. Es stört sie nicht, dass ich oft nachlässig angezogen bin. Beim O.J. Simpson-Prozess begutachteten die Anwälte dauernd gegenseitig ihre Kleidung. Sie zupften einander sogar an den Anzugärmeln, um rauszufinden, was für eine Sorte Kaschmir das ist. Schauen Sie mal, ich trage eine Uhr für 29 Dollar. Na und? Es zeugt immer von unglaublicher Unsicherheit, wenn einer es nötig hat, sich durch Gegenstände aufzuwerten.

Ihre Frau ist eine sozial engagierte Psychologin.

Sie interessiert sich kaum für "Society". Wenn wir bei den Clintons zum Dinner eingeladen sind, findet Carolyn das eher anstrengend. Und weder sie noch ich haben Vergnügen daran, von Kameras umgeben zu sein.

Was ist so schrecklich am Fernsehen?

Zum Beispiel die soundbites, die superkurzen Statements, mit denen man eine komplexe Sache in weniger als einer Minute rüberbringen muss. Meine Frau nennt mich dann den "Soundbite-Dersh".

Sie haben überhaupt keinen Spaß an Ihrer öffentlichen Rolle?

Am allerliebsten sitze ich zu Hause in einem Sessel mit meinen langen, gelben Notizheften und höre Mozart oder schreibe. Ich schreibe immerzu, immer von Hand. Ich schreibe im Jahr, das habe ich mal ausgerechnet, ungefähr eine Million Wörter. Zur Zeit erfinde ich eine Oper, die mit dem Holocaust zu tun hat. Es geht um einen Kantor, der 1943 im Warschauer Getto starb. Und ich unterrichte gern. Auch wenn es schwer zu glauben ist: In Harvard habe ich noch nie eine Vorlesung oder ein Seminar ausfallen lassen, noch keine Stunde! Sicher, ich weiß, dass ich seit dem Fall Claus von Bülow der "Dersh-Character" bin, ein öffentlicher Intellektueller. Es macht mir Spaß, wenn ich Debatten anstifte, wenn ich etwas bewegen kann, gegen Rassendiskriminierung, für die jüdische Kultur.

Sie bekommen eine Menge böser Briefe.

Viele schreiben mir. Zum Beispiel fand ein Fernsehzuschauer, ich solle "nach Israel übersiedeln" und "die Mexikaner und Nigger gleich mitnehmen". Mit solcher hate-mail tapeziere ich meine Büroräume, ich verstecke sie nicht. Es sind hunderte von Briefen, viele davon antisemitisch. In meiner Autobiografie "Chuzpe" habe ich bewusst ein Dutzend davon abgedruckt.

Solche Post ist ein ganz gutes Barometer der Gegenwart.

Jedenfalls lese ich sie aufmerksam. Früher hat man Kanarienvögel in die Kohlegruben heruntergelassen, im Käfig an einer Seilwinde. Es war ein Test: Ehe die Bergleute unter Tage gingen, wollte man wissen, ob unten genug Luft zum Atmen ist. Manchmal fühle ich mich wie so ein Kanarienvogel. Ich bekomme ziemlich genau mit, welcher Wind in der Gesellschaft weht, wo Vorurteile und Hass brodeln.

Das klingt eher wie eine ambivalente Folge des Berühmtseins.

Eine andere ist, dass im Jahr etwa 5000 Anfragen in unsere Kanzlei flattern, alle von Leuten, die gern wollen, dass wir sie vertreten. Außerdem kommen hunderte von Briefen, in denen Leute um finanzielle Unterstützung bitten, für Projekte, für Verwandte, für sich selbst.

Wie reagieren Sie?

So gut ich kann. Wir vertreten etwa sechzig Prozent unserer Mandanten gratis, Geld verdienen wir mit den anderen. Zum Beispiel vertrete ich eine Frau, die mir aus der Psychiatrie schrieb, sie sei dort zu Unrecht eingewiesen worden. Oder eine andere, die ihren Mann ermordet hat, von dem sie schrecklich misshandelt wurde.

Glauben Sie, dass Prominenz verpflichtet?

Ich bin davon überzeugt. Prominenz, mit der einer inhaltlich nichts anfängt, gesellschaftlich, politisch, bleibt völlig hohl. Leider sind die meisten Prominenten, die Filmstars, Popstars und Superreichen oft sehr langweilig. Sie sprechen über nichts anderes als sich selbst und meinen, dass alle anderen die Ohren spitzen müssen. Bill Gates ist da ein gutes Gegenbeispiel. Er ist ein Mensch, der mit seinem Geld und seinem Kopf - mit seinem Überschuss - etwas Sinnvolles anfängt.

Genügt es wirklich, gute Freunde zu haben, um nicht die Bodenhaftung zu verlieren?

Wahrscheinlich spielt auch die Herkunft eine große Rolle. Am übelsten sind die dran, die in die Sphäre des Ruhms hochkatapultiert werden, ohne sich den Weg dorthin erarbeitet zu haben. Ich hatte großes Glück mit meinem Vater. Von der Mutter habe ich das Mundwerk, das Argumentieren und Redenkönnen. Mein Vater war ein frommer, orthodoxer Jude, wir wohnten im armen New Yorker Stadtviertel Brooklyn. Ich vergesse nicht, wie überempfindlich mein Vater war, wenn Unrecht geschah, ganz gleich, ob es um Familiengeschichten ging oder um Probleme in der Nachbarschaft. Er war sehr stolz auf mich, wenn ich gerecht urteilte und wenn ich dann den Mut hatte, meine Meinung zu sagen.

Was für ein Star ist Mia Farrow, die Sie bei ihrem Rechtsstreit mit Woody Allen verteidigt haben, als Allen mit der Adoptivtochter durchbrannte?

Sie hat keine Allüren. Es geschieht mir selten, dass ich mich mit Mandanten anfreunde. In ihrem Fall ist das geschehen. Vorher waren wir auch mit Woody befreundet, das ist jetzt natürlich nicht mehr so innig... Wir sehen Mia Farrow oft; sie ist vollkommen unprätentiös, ein ganz realer Mensch.

Dabei hat sie mit achtzehn Frank Sinatra geheiratet ...

Offenbar war es bei ihr ähnlich wie bei mir: Sie hatte Eltern, denen sie nichts vormachen musste und die sich nicht beeindrucken ließen von der falschen Welt der Stars.

Wie war das, als Sie Ihr Foto zum ersten Mal auf der Titelseite der New York Times sahen?

Das weiß ich nicht mehr so genau. Aber mit solchen Stories fing das Berühmtsein an. Auf der Straße sprechen einen Leute an, man ist plötzlich irgendwie in ihrem Besitz. Sie sagen: Ich bin von Ihnen enttäuscht! Dass Sie einen Burschen wie O.J. Simpson verteidigen, hätte ich nie gedacht. Die Leute sind von mir "enttäuscht"! Komplett fremde Menschen. In Amerika ist das extrem, schlimmer als in Europa. In Deutschland werde ich selten angesprochen, das ist erholsam. Aber meine alte Mutter hat Angst, wenn ich nach Deutschland reise. Sie glaubt, dort sei man immer noch im Herzen der Bestie. Ich muss sie täglich anrufen und beruhigen.

Sie mögen Ihre Mutter, Sie kommen überhaupt gut mit Frauen aus ...

Es ist mir ein Rätsel, warum Frauen diskriminiert werden. Nehmen sie jedes andere Beispiel für Diskriminierung: Wo es wenig Ausländer gibt, ist der Hass am größten. Das beste Mittel gegen Antisemitismus ist die Anwesenheit von Juden. Das beste Mittel gegen Rassismus sind Schwarze. Wer jemanden gut kennt, kann sich nicht an Vorurteile klammern, die zum Hass verleiten. Aber Frauen kennen wir doch alle! Wir Männer haben alle eine Mutter, eine Schwester und Schulkameradinnen. Trotzdem stellen zum Beispiel die großen amerikanischen Anwaltskanzleien eher Männer ein. Ausgezeichnete Frauen bleiben auf der Strecke. Für mich ist das gut! Die bleiben alle für unsere Kanzlei übrig, so kriegen wir die besten Kolleginnen. Aber Sexismus ist mir ein Rätsel.

Es gibt ihn bei durchaus vernünftigen Männern.

Leider. Manche lernen ja. Neulich fragte mich ein Kollege um Rat. Ich sollte ihm den geeignetsten Anwalt für einen bestimmten Prozess nennen. Ich nannte ihm Gene Baker, eine ausgezeichnete Kollegin. Er war empört. Ich habe dich um Rat gefragt, wer der beste Anwalt auf diesem Gebiet ist, sagte er. Ich insistierte und sagte: Gene Baker ist die beste Anwältin! Er: Aber sie ist eine Frau! Er hat sie schließlich genommen und mit ihr gewonnen. Vielleicht ist das das einzige Mittel gegen Sexismus: dass Männer mit erstklassigen Frauen zusammenarbeiten. Das Gespräch führte Caroline Fetscher.

Mr. Dershowitz[wie spricht man als Anwalt mit Mik]

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