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Panorama: Der Kopierschutz fällt

Der Coup von EMI und Apple ist ein Meilenstein. Andere Musikkonzerne werden nachziehen müssen

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Das Lied war klug ausgewählt: The Good, The Bad & The Queen, die neue Band des Blur-Sängers Damon Albarn, spielte „Herculean“, um das Heldenhafte der Tat zu unterstreichen. Der Musikkonzern EMI hatte einen seiner Stars live aufgeboten, um einen „Meilenstein“ zu präsentieren, eine „wichtige und aufregende Ansage“, wie sich Firmenchef Eric Nicoli unbescheiden ausdrückte. Und Damon Albarn war noch nicht einmal der einzige Star. Auch Computerpionier Steve Jobs war aus den USA eingeflogen, um gestern in London die neue Kooperation seines Unternehmens Apple mit EMI zu verkünden. Der Musikkonzern verbreitet die digitalen Versionen seiner Songs künftig ohne Kopierschutz im Internet. Und Apple bietet den gesamten digitalen EMI-Katalog in seinem Online-Musikladen iTunes von Mai an als erstes Unternehmen kopierschutzfrei an. Bei EMI sind insgesamt rund 1300 Künstler unter Vertrag, neben Damon Albarn zum Beispiel noch Robbie Williams, Norah Jones, Herbert Grönemeyer oder die Rolling Stones. Die Lieder der Beatles sind aufgrund von Rechtsstreitigkeiten mit deren alter Plattenfirma Apple Records allerdings weiterhin nicht verfügbar. Auf die Frage, wann auch Beatles-Songs im Netz zu kaufen sein werden, antwortete Jobs: „Das würde ich auch gern wissen. Hoffentlich bald.“ Sein Computerkonzern teilt mit Apple Records zwar den Namen, hat aber ansonsten mit der Plattenfirma nichts zu tun.

„Revolution“ von den Beatles ist noch nicht zu haben, doch EMIs Entschluss könnte zumindest der Beginn einer Revolution im Internet sein. Denn der Kopierschutz hat nicht nur Raubkopien, sondern auch die einfache legale Verbreitung gekaufter Musikdateien erschwert. Wer zum Beispiel ein Stück auf seinem iPod abspielen wollte, konnte dies bislang nur bei iTunes kaufen – es sei denn über den Umweg selbst gebrannter CDs. Künftig sollen sich die Besitzer von MP3-Playern, egal welchen Fabrikats, ihre Musik auf Internetseiten ihrer Wahl kaufen können. The Good, The Bad & The Queen sehen sich dabei als Pioniere und wollen erste Songs auf ihrer Internetseite ab sofort anbieten. „Fucking brilliant“, soll Damon Albarn gesagt haben, als er von den Plänen seiner Plattenfirma erfuhr. Bedeutet der Wegfall des technischen Kopierschutzes, dass man künftig ohne Probleme kostenlos Musik kopieren und weitergeben kann? Nein. Die Weitergabe kopierter Musik an Dritte bleibt illegal. Aber eine solche Weitergabe ist jetzt technisch einfacher. „Der Wegfall des Kopierschutzes öffnet der Raubkopiererei Tür und Tor“, sagt Volker Zota, leitender Redakteur der unabhängigen Computerzeitschrift „c’t“. „Wer technisch keine Ahnung hat, kann jetzt problemlos kopieren, vorher konnten nur die Kundigeren den Kopierschutz überlisten.“ Die persönliche Weitergabe an Freunde wird in der Praxis wahrscheinlich weiterhin keine strafrechtlichen Folgen haben. Wohl aber verklagen die Musikkonzerne demonstrativ immer wieder Leute, die massenhaft Musik im Internet unentgeltlich anbieten.

Was ist der Grund, dass EMI als erster Konzern auf den technischen Kopierschutz verzichtet? Der technische Kopierschutz hatte bisher große technische Probleme bei den Kunden verursacht. Mal konnte man den Song nur auf dem Player, nicht aber auf seinem PC abspielen, oder umgekehrt. Oder man konnte den Song nur auf einem ganz bestimmten Player abspielen. Viele Kunden waren frustriert, weil sie online Musik kauften, sie aber wegen des Kopierschutzes nicht abspielen konnten, wie sie das wollten. Deshalb blieben die Verkaufszahlen hinter den Erwartungen zurück.

Mit dem Wegfall des technischen Kopierschutzes geht die Industrie ein Risiko ein. Aber: „Wir vertrauen den Verbrauchern“, sagt EMI-Chef Nicoli zu dem Problem. Sein angeschlagenes Unternehmen hofft, dass die Gewinne durch das neue kundenfreundlichere System die Verluste durch Raubkopien überwiegen. Dass EMI als Erster vorgeprescht ist, hängt damit zusammen, dass der Konzern wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand steht und sich etwas einfallen lassen musste. Selbst sein einstiges Star-Schwergewicht Robbie Williams hatte jüngst gefloppt. Auch die großen Verkaufserfolge von Norah Jones konnten den Musikriesen nicht aus der Krise führen. EMI will jetzt auch die Hörqualität seiner Musikdateien erhöhen – und damit aber auch die Preise. Bei iTunes zum Beispiel werden Stücke mit besserem digitalen Sound künftig für 1,29 Euro angeboten. Wer darauf keinen Wert legt, kann weiterhin Titel für 99 Cent runterladen, die dann immer noch kopiergeschützt sind. Nicoli rechnet mit großer Nachfrage bei den teureren Titeln. Die Marktforschung habe ergeben, dass Verbraucher bereit seien, für bessere Qualität höhere Preise zu zahlen.

Werden die anderen Konzerne folgen? Offiziell wollen die Großen nicht von ihren etablierten Kopierschutzsystemen (DRM) weichen. Hinter vorgehaltener Hand werden dem herkömmlichen Kopierschutz aber wenig Überlebenschancen eingeräumt. „Das Thema bekommt durch die Apple-EMI-Allianz so viel Schwung, dass die gesamte Branche bald Farbe bekennen muss“, heißt es bei einem großen Musikkonzern. „Auf die Dauer wird der bisherige Kopierschutz nicht zu halten sein.“ Die Kooperation von EMI mit Apple bringt die anderen großen Musikkonzerne in Zugzwang, die ebenfalls unter dem massiven Einbruch des Musikgeschäfts leiden. Der Umsatz im weltweiten Tonträgermarkt ist seit Mitte der 90er Jahre um 25 Prozent geschrumpft.

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