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Panorama: Der Platzhirsch

Ralph Siegel schickt zum 17. Mal ein Lied zum Grand Prix, trotzdem hat er schlechte Laune – die Zuschauerquoten brechen ein

Ist dem Mann mit menschlichen Maßstäben überhaupt noch beizukommen? Zum 17. Mal schickt Komponist Ralf Siegel sein Lied zum Grand Prix d’Eurovision – ein Rekord für die Ewigkeit. Das „Nie wieder“ vom vergangenen Jahr: vergessen. Abenteuerlicher Tablettenkonsum: macht erst richtig kreativ. Eigentlich ist Siegel nämlich nur nach einem süchtig: Nach Erfolg in eben dieser Veranstaltung.

Nun kann man dem von der karottenroten Lou gesungenen Siegertitel „Let’s get happy“ übermäßige Originalität ganz sicher nicht nachsagen. Eine flotte, von billigen Maschinen-Beats vorangetriebene TanzbodenNummer, wie sie Siegel schon zu tausenden geschrieben hat, z.B. im letzten Jahr für Corinna May. Der 39-jährigen Sängerin aus dem Schwäbischen – uncharmant gesagt: der Seniorin des Feldes – ist aber ansteckende Fröhlichkeit nicht abzusprechen. Sie gibt dem Song wenigstens etwas Charakter.

Bohlen zieht über den Kollegen her

Und den Refrain kann jeder sofort mitsingen: zumindest Wolfgang Petry-Fans wird die Tonfolge bekannt vorkommen! Die Chancen von „Let’s get happy“ in Riga? Wer weiß.

Trotz seines Sieges hatte Siegel schlechte Laune. Bei der deutschen Grand-Prix-Vorausscheidung am Freitag brachen die Zuschauerquoten ein. Sie lag diesmal weit unter der des Vorjahres; nur noch 18,9% wollten den „Countdown“ sehen, ein Drittel weniger als 2002. Ob dieser Einbruch mit dem „Superstar“-Hype der Häuser RTL und Bertelsmann zu tun hat, bleibt Spekulation. Sicher aber ist, dass die Medien seit Wochen mit Schlagzeilen von Daniel, Juliette und Alexander verstopft waren, da gab es einfach keinen Platz für Senait, Elija und Co. Selbst die geballte mediale Power von Springers „Bild“ konnte den „Gummikanzler“ nicht über Platz 3 hinaus hieven. Die Kandidaten der anderen Tageszeitungen erwischte es noch weit schlimmer. Ob Tobias Schacht, der Weltenretter mit der Gitarre, ins Rennen gegangen für die „FAS“, ob Senait, powered by „taz“ und Claudia Roth, ob „Tagträumer feat. Aynur“ („Hürriyet“), sie alle landeten abgeschlagen. Es bleibt abzuwarten, ob diese Ernüchterung zum Rückzug der Blätter oder zu einem trotzigen „Jetzt erst recht“ führen wird.

Dass das Engagement gerade von „taz“ und „FAS“, wie vollmundig angekündigt, zu einer Steigerung der Qualität des Gebotenen geführt hat, wird niemand ernsthaft behaupten. Oder doch: „Der höhere musikalische Anspruch, der die meisten Titel kennzeichnet, hat bei den Zuschauern zu einer geringeren Akzeptanz des Countdowns geführt.“ So erklärt sich Jürgen Meier-Beer, Unterhaltungs-Chef des NDR, den schwächeren Marktanteil. Das klingt ein wenig wie die Wahlschlappen-Erklärungsversuche von Politikern, deren Programme eben zu brillant waren, um vom Wähler verstanden zu werden. Und ein bisschen klingt’s auch nach beleidigter Leberwurst.

Von den 14 eingereichten Titeln waren diesmal elf langsam, von der klassischen Ballade über die Hymne bis zur triefenden Schnulze. Auch dies ist sicher Ausdruck der Stimmung im Lande: Adagio bis Largo, und sehr, sehr piano. Der Titel, der wohl die größten Chancen in Riga gehabt hätte, „Beatbetrieb“ mit „Woran glaubst Du?“ belegte mit 31,6 Prozent der Stimmen einen 2. Platz, der Song mit den europaweit geringsten Chancen, „Alles wird gut“ von der „Gerd Show“ rangierte knapp dahinter. Siegerin Lou trotzte der Balladen-Übermacht und wird, gemeinsam mit Ralph Siegel, den europäischen Nachbarn ein fröhliches Deutschland vorführen: Let’s get happy! Und von Siegen wird erst gar nicht geredet – Lou möchte „einen anständigen Platz für Deutschland“ erreichen.

Nachdem am Samstag die schlechten Zuschauerquoten bekannt wurden, empfahl Dieter Bohlen gegenüber der „Welt am Sonntag“ dem Grand Prix ein „Ganzkörperlifting“. „Es ist doch bezeichnend, wenn jemand, der seit 15 Jahren keinen Treffer hatte und nicht einmal in den Singlecharts war, mit einer Nummer gewinnt, die wie von 1952 klingt!“

Vielleicht wird doch alles gut. Am 23. Mai fällt die Grand-Prix-Entscheidung in Riga.

Jörn Wöbse

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