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Panorama: Der Prozess gegen Monika Böttcher wird nun schon zum dritten Mal aufgerollt

Die Richter gehen morgen in eines der seltsamsten deutschen Strafverfahren der vergangenen JahreKarin Matussek Wie es wirklich war, wer kann das schon ganz sicher wissen. Davon aber hängt es ab, ob die Frau, die einmal Monika Weimar hieß, eine Mörderin ist - oder ein Opfer der Justiz.

Die Richter gehen morgen in eines der seltsamsten deutschen Strafverfahren der vergangenen JahreKarin Matussek

Wie es wirklich war, wer kann das schon ganz sicher wissen. Davon aber hängt es ab, ob die Frau, die einmal Monika Weimar hieß, eine Mörderin ist - oder ein Opfer der Justiz. Den Namen hat sie abgestriffen, die Geschichte bleibt: Ihre eigenen Kinder soll sie umgebracht haben, zwei Töchter, Melanie und Karola. Sieben und fünf Jahre waren die beiden erst alt, als man sie ermordet auffand. Das ist 13 Jahre her.

Inzwischen hat Monika Böttcher wieder ihren Geburtsnamen angenommen, ist einmal verurteilt und einmal freigesprochen worden. Aber die Geschichte, die im August 1986 begann, ist noch immer nicht abgeschlossen. Die Justiz nimmt einen weiteren Anlauf: morgen beginnt zum dritten Mal ein Mordprozess gegen Monika Weimar, diesmal vor dem Landgericht Frankfurt am Main. Der Kindermord im hessischen Philippstal-Röhrigshof ist zum seltsamsten deutschen Strafverfahren der vergangenen Jahre geworden. Der Fall zog Menschen wie Medien in den Bann vor allem Boulevardpresse und Fernsehen. Es war wohl die Mischung aus Liebe, Haß und Betrug, ein tödliches Drama, das alle faszinierte.

Nach dem Tod der Kinder gaukelt die Mutter, die es besser weiß, wochenlang eine Entführung vor. Als sie selbst mehr und mehr in Verdacht gerät, beschuldigt sie ihren Mann, Reinhard Weimar. Er soll ihr gesagt haben: "Jetzt kriegt keiner von uns die Kinder." Für die Staatsanwaltschaft Bad Hersfeld aber sprechen viele Indizien gegen die Mutter. Die unglückliche Ehefrau soll die Kinder getötet haben, um mit ihrem Geliebten in die USA gehen zu können. Das Landgericht Fulda verurteilt sie im Januar 1988 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Revision und Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil bleiben erfolglos. Normalerweise ist dies das Ende. Aber der "Fall Weimar" ist nicht normal. Als Monika Böttcher bereits neun Jahre Strafhaft verbüßt hat, erreicht ihr Anwalt Gerhard Strate im Dezember 1995 die Sensation: der Fall wird neu wiederaufgenommen. Möglich ist das nur, wenn neue Beweise auftauchen. Gerichte sind normalerweise außergewöhnlich streng, bevor sie etwas als "neu" bezeichnen. Böttchers Anwalt erschütterte ein Fasergutachten, auf das sich die Richter gestützt hatten. Auch neue Zeugen brachte er vor, die mehr oder weniger glaubhaft behaupten, Reinhard Weimar habe ihnen den Mord gestanden. Monika Böttcher kam frei. Der neuen Prozeß vor dem Landgericht Gießen endet 1997 mit einem Freispruch.

Als das Urteil verkündet wird, bricht die Angeklagte zusammen. In Fulda war sie bespuckt worden, im jetzt applaudieren die Zuschauer. Diese Sympathien, so scheint es, waren nicht auf das Publikum beschränkt. Es gab Zeichen, die belegten, daß zumindest eine der zwei Schöffen - Menschen aus dem Volk ohne juristische Vorbildung gegen die drei Berufsrichter und damit gegen eine Verurteilung gestimmt hatte. Eine Stimme reicht dazu aus. Einer Schöffin lief bei der Urteilsverkündung eine Träne über das Gesicht. Völlig durchsetzen konnten sich die Laienrichter aber nicht. Schöffen stimmen zwar mit ab, aber die Berufsrichter schreiben und begründen das Urteil allein. Im Fall Weimar, so kann man annehmen, hat ein Berufsrichter ein Urteil schriftlich verteidigen müssen, gegen das er gestimmt hat. So blieb der Freispruch nicht lange bestehen. Die Staatsanwaltschaft Gießen legte Revision ein. Der Bundesgerichtshof hob im November 1998 das Urteil auf. Eine wichtige Zeugin - es handelt sich um eine Nachbarin der Weimars - sei nicht gehört worden. Die Richter, die morgen in Frankfurt in das neue Verfahren gehen, werden es nicht leicht haben - in jeder Hinsicht.

Selbst wenn die Beweise für eine Verurteilung ausreichen, ist unklar, ob Monika Böttcher noch einmal ins Gefängnis muss. Das Gericht muss bei der Höhe einer Strafe berücksichtigen, daß die Sache schon seit 13 Jahren schwelt. Neun Jahre sind bereist verbüßt, und so könnte es sein, daß am Ende kaum noch Haftzeit übrig bleibt. Außerdem verschärfen sich für das Gericht die Fallstricke, die jeder Indizienprozess mit sich bringt. Zeugen und andere Beweise werden mit der Zeit unzuverlässiger. Ob sich die sogenannte Tagversion der Staatsanwaltschaft, die Mutter habe die Kinder am Montagvormittag im Auto getötet, nachweisen lassen wird, bleibt daher abzuwarten. Monika Böttcher hat immer bestritten, ihre Töchter getötet zu haben. Sie behauptet, sie habe nachts ihren Mann mit den toten Kindern vorgefunden. Diese "Nachtversion" hat ihr kaum jemand geglaubt, denn dazu gehört, daß sie nicht die Polizei gerufen hat.

Reinhard Weimar wird seit Jahren psychiatrisch behandelt. Er hat einmal gesagt: "Wenn ich es war, hatte ich einen Blackout." Wie es wirklich war, sagt Monika Böttcher, "das wissen nur wir beide." © 1999

Karin Matussek

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