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Panorama: Der Rückschlag

Von Julia Boenisch Thomas Haas wirkt, als sei er just einer amerikanischen TV-Seifenoper entsprungen. Braungebrannt, locker, schön und sympatisch.

Von Julia Boenisch

Thomas Haas wirkt, als sei er just einer amerikanischen TV-Seifenoper entsprungen. Braungebrannt, locker, schön und sympatisch. Der smarte Junge, der ins sonnige Florida, die Gegend der Beach Boys und Motorradfreaks, viel besser passt als nach Hamburg, die Nieselheimat seiner Kindertage. Der in seinem neuen Porsche Capriolet für die Fotografen posierte – oder mit der Harley über breite amerikanische Straßen schwebte. Der einen idealen Werbeträger hergäbe für Surfbretter, Sonnencremes oder Tropensaft.

Irgendetwas ohne Alkohol, denn jedewede Ausschweifung scheint dem derzeit besten deutschen Tennisspieler so fremd zu sein wie ein Ausbruch seiner Gefühle oder Empfindungen widersprüchlicher Art. Gleichermaßen nett ist Haas, ob er auf dem Tennisplatz gewinnt oder verliert. Ob Fans oder Journalisten etwas von ihm wollen. Ob er über Sex redet ("nicht vor Turnieren"), den Stellenwert seiner Liebesbeziehung zu Alessandra Meyer-Wölden ("ein Super-Mädchen") oder über vergebene Matchbälle.

Auf dem Platz rastet er nicht aus, auch nicht vor lauter Freude, weshalb es denen, die ihm gern zusehen, meist mehr um den Sport geht als um die Schau.

In Interviews gibt er wohlüberlegte Antworten. Und eben weil er immer antwortet, nichts verweigert und über private Empfindungern so sachlich spricht wie über den neuen Ausrüstervertrag, erscheint er manchem langweilig. Mindestens gesichtslos. Da gibt es nichts, woran sich einer reiben könnte. Das Verhältnis zum deutschen Konkurrenten Nicolas Kiefer? „Normal.“ Der häufig erhobene Vorwurf, oberflächlich zu sein? „Ich denke, es gibt nicht viel an mir auszusetzen. Ich bin immer freundlich, schreibe Autogramme, selbst wenn ich verloren habe. Und ich stehe auch immer zum Gespräch bereit.“ Das Verhältnis zum Vater? „Ab und zu hat man seine eigene Meinung. Genauso kann es dann passieren, dass man eingestehen muss, etwas falsch gemacht zu haben.“ In Interviews antwortet Thomas Haas gern in der dritten Person, wenn es um ihn und seine Gefühle geht. Und selbst Journalisten, die ihn seit seiner Kindheit begleiten, wissen nichts Skandalöses, nichts Unebenes zu berichten. Da gab es keine Selbstfindungsphasen a la Boris Becker, aber auch nichts überschenglich Positives. Zumindest drang nichts von alldem aus der glatten, freundlichen Fassade.

Es scheint, als sei Thomas Haas der Inbegriff amerikanischer Lebensart.

Immerhin lebt der Schüler des amerikanischen Tennis-Schleifers Nick Bollettieri seit 11 Jahren vorwiegend in den USA, wo die Frage nach der Befindlichkeit „How are you today“, obwohl sie stets brav mit „fine" beantwortet wird, eine Höflichkeitsfloskel ist wie in Deutschland das „Guten Tag.“ Was sich hinter der Maske verbirgt, geht niemanden etwas an. Und antwortete einer nicht mit „fine“, würde dies wohl auch kaum bemerkt.

Kann es denn sein, daß ein 24 Jahre alter Mann kaum ein paar Stunden weiß, dass er um ein Haar Vater und Mutter bei einem Motorradunfall verloren hätte, und schon bereitwillig Auskunft gibt: Ja, er mache sich große Sorgen um das Leben seines Vaters. Nein, er könne jetzt nicht an das Turnier in Wimbledon denken, das am Montag beginnt. Ja, er sei inzwischen an der Unfallstelle gewesen und sitze nun rund um die Uhr auf der Intensivstation an Vaters Bett. Nicht, dass es Zweifel an der Echtheit seiner Gefühle gäbe. Es sind die Worte, die sich nicht vereinbaren lassen mit der Stimmung die sie vermitteln sollen. Da redet dieser Thomas Haas , und doch ist nichts zu spüren. Ein anderer würde weder zu Wort noch Tat fähig sein, bangte er gerade um das Leben von Vater und Mutter.

Freunde sind sich eing, dass der drohende Verlust des Vaters ihn tief in der Seele getroffen habe. „Es ist das Schlimmste, was hat in diesem Leben passieren können“, sagt ein Freund. „Tommy hatte sich äußerlich gelöst, aber er hatte steten Kontakt mit dem Vater. Sie waren wie durch ein unsichtbares Band miteinander verbunden. Es ist kaum denkbar, dass er in dieser Situation in Wimbledon antreten kann.“ Niemandem außer seinem Vater, um dessen Leben die Ärzte seit Dienstag kämpfen, verdankt Thomas Haas, dass er derzeit zu den besten Tennisspielern der Welt gehört. Wie einst Steffi Grafs Vater verdiente auch Peter Haas sein Geld als Tennislehrer und hegte den Traum, irgendeines seiner drei Kinder Sabine (heute 27), Thomas und Karin (heute 23) solle einmal zu den ganz Großen in diesem Sport gehören. Täglich übte er mit den Kleinen in Hamburg. Thomas und Sabine zeigten schon bald Talent und sammelten Pokale bei den Jugendturnieren. Das Trophäen mehrten sich, das Geld aber wurde knapp, zumal der Vater nicht mehr mit dem Balleimer für tägliche Brötchen sorgen konnte.

Streit mit Anlegern

So gründete Haas 1990 mit 15 Anlegern, die jeweils 50 000 Mark investierten, die TOSA-GmbH – benannt nach den Kindern Thomas und Sabine. Das Kapital von 750 000 Mark sicherte die sportliche Ausbildung der Kinder am Tennis-College von Nick Nick Bollettieri in Florida. Ein Vertrag garantierte den Anlegern bei Erfolg den sportlichen Einsatz zurück und eine entsprechende Gewinnbeteiligung – zu der es allerdings bis heute trotz der Millionenverdienste von Thomas Haas nicht kam. Kaum, dass der Junge sein erstes nennenswertes Preisgeld erhalten hatte, meldete Vater Haas den Konkurs der GmbH an. „Die jetzige Agentur meines Sohnes IMG stellte fest, dass es eigentlich rechtswidrig ist, so einen Vertrag zu machen“, so begründet er den Vorgang, der ihn viele Freundschaften gekostet hat.

Richtiger scheint zu sein, dass Sohn Thomas Haas nach dem Konkurs eine neue, eigene Vereinbarung mit den Anlegern schloss, um deren Wut zu mäßigen und seinen Vater vor Strafe zu bewahren. Ärger gab es dennoch. Die 15 Anleger haben beim Landgericht München Klage eingereicht und per gerichtlichem „Arrestbefehl und Pfändungsbeschluss“ Gelder aus Werbeeinnahmen sowie Preis- und Antrittshonorare sperren lassen. Der Vorgang, um den sich längst weder Vater noch Sohn, sondern Anwälte kümmern, dokumentiert doch deutlich den Wandel in der Vater-Sohn-Beziehung – und auch dort gibt es Parallelen zu Steffi Graf. Peter Haas genossen Aufstieg seines Sohnes in vollen Zügen und verlor dabei immer mehr das Maß.

Während der Sohn auf dem Platz und in der Öffentlichkeit stets brav sein Bestes gab, Jugend-Weltmeister-Wurde, Turniere gewann, für Deutschland im Daviscup-Spielte und bei Olympia in Sydney die Silbermedaille gewann, mischte der Vater heftig hinter den Kulissen. Mal beschimpfte er Sponsoren, mal fiel er durch eigene Großmannssucht auf, dann wieder legte er sich mit Funktionären an oder prahlte, wie schnell sein Ferrari diesmal auf einer Bundesautobahn gefahren sei. Seit einigen Jahren fällt auf, dass Peter Haas den Sohn kaum noch zu Turnieren begleitet. Dennoch schwärmte er noch vor Monaten stets von der guten und engen Beziehung zu Thomas. Und auch Thomas Haas hat bei allen Ausfällen des Vaters nie ein schlechtes Wort über ihn verloren. „Ab und zu ist es auch ganz gut für mich, allein zu sein“, sagte er 1999, gefragt, warum der Vater seltener an seiner Seite zu sehen sei.

Dramatischer Einschnitt

„Aber er weiß nach wie vor über alles Bescheid." Über all die Jahre hatten sich die Rollen ähnlich wie bei Steffi Graf verschoben. Dem erfolgreichen Kind gelingt die Ablösung nicht – da hindern Dankbarkeit und tiefe Verbundenheit. Aber es nimmt mehr und mehr die Rolle des Versorgers an. Immer wieder, so hieß es, habe Thomas Haas dem Vater Geld geschickt. Das Vermögen des Tennisprofis wird derzeit auf mehrere zehn Millionen Euro geschätzt. Immer wieder habe er Verständnis für die Eskapaden des Vaters gehabt, ihn aufgefangen – und es passt in diese Entwicklung, dass der Vater mit dem Motorrad des Sohnes unterwegs war, als er am Dienstag so schwer verunglückte, nicht mit einem eigenen Gefährt. Und einen Führerschein besaß er auch nicht.

Ein dramatischer Einschnitt – wie einst die Verhaftung Peter Grafs – ruft nun das erwachsen gewordene Wunderkind erneut in die Verantwortung. Thomas Haas dürfte an dieser Erfahrung nicht zerbrechen, sondern wachsen wie seinerzeit auch Steffi Graf. Auch sie war dafür bekannt, nicht eben viel über ihre Gefühle zu offenbaren, bis sie unabnhängig von Vater und Tenniserfolgen mit Mann und Kind eine eigene neue Heimat fand.

Alessandra Meyer-Wölden, seit drei Jahren Freundin von Thomas Haas, sitzt mit ihm am Bett des Vaters in Florida. Die 19 Jahre alte Tochter des ehemaligen Manangers von Boris Becker, Axel Meyer-Wölden, hat Erfahrung mit tiefen Lebenskrisen. Sie war ein Teenager, als der Vater an Krebs erkrankte - und starb.

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